: Eine Liebe als U-Boot
■ Eine Ausstellung im Bremer Rathaus zeichnet „Das kurze Leben der Jüdin Felice Schragenheim“ nach
Vielleicht war ihr Traum vom anderen Leben doch von Eigennutz geprägt. Auch Jeanette Jakubowski kann sich da zu keinem endgültigen Urteil durchringen, obwohl sie es doch am ehesten wissen müßte. Denn die junge Historikerin kennt die junge Frau, die einmal von einem anderen Leben träumte, ziemlich genau und hat – freilich zusammen mit anderen – jetzt eine biographische Ausstellung nach Bremen geholt. Die zeichnet „Das kurze Leben der Jüdin Felice Schragenheim“ nach und ist ab Sonntag in der unteren Halle des Bremer Rathauses zu sehen.
Wenn Jeanette Jakubowski über Felice Schragenheim (1922-1945) spricht, hört man, wie sehr das Gerede von der Event-Kultur die Sprache schon vermurkst hat. Denn ihre Berichte über Biographie und Ausstellung haben so gar nichts mit der üblich gewordenen Kultur-Marketenderei zu tun. Sie sagt nicht, wie einzigartig, hervorragend oder gar überregional bedeutsam das Schicksal und dessen Dokumentation doch sind. Sondern sie sagt zuerst, was an der Ausstellung fehlt und was nach ihrer Ansicht nicht ausführlich genug dargestellt ist. Und erst danach weckt die kritisch neugierige Jakubowski, die an der Bremer Volkshochschule ein Seminar über Felice Schragenheim geleitet hat, kritische Neugier auf eine Biographie, in der die Stichworte jüdisch, lesbisch, Feuchtwanger und Todesmarsch eine große Rolle spielen.
Felice Schragenheim hätte es fast geschafft. Wie einige Tausend andere jüdische BerlinerInnen lebte sie nach 1940 als sogenanntes U-Boot in der Stadt. Zweimal hatte die Tochter eines Zahnärzteehepaares und Nichte des Schriftstellers Lion Feuchtwanger vorher Gelegenheit zur Auswanderung gehabt. Doch beide Male schlug die kaum 20jährige, diese Chance aus. Ende August 1944 wurde sie mutmaßlich von einer Nachbarin denunziert. Sie wurde erst nach Theresienstadt und dann nach Groß-Rosen deportiert. Ihre Todesumstände sind ungeklärt, doch sie starb wahrscheinlich während des „Todesmarsches“ Anfang 1945 nach Bergen-Belsen.
Es waren die Redaktion des Talkshow-Moderators Alfred Biolek und die Autorin Erica Fischer, die eines Tages auf diese Geschichte und vor allem eine Frau gestoßen sind, die sie noch erzählen konnte. Sie heißt Elisabeth „Lilly“ Wust und berichtete Bioleks Publikum und der Autorin Fischer vor einigen Jahren, wie Felice Schragenheim bei ihr den letzten Unterschlupf vor der Deportation fand und wie zwischen den beiden Frauen eine Liebesbeziehung entstand. Biolek machte seine Sendung und Fischer ein Buch, auf dem die Ausstellung basiert.
Mit über 80 Text- und Bildtafeln ist die Schau, die seit 1995 durch Deutschland tourt, relativ umfangreich. In einer Parallelmontage aus der Geschichte der NS-Judenverfolgung und der individuellen Geschichte dokumentiert sie diesen viel zu kurzen Lebenslauf. Gezeigt werden rührend unbeholfene Gedichte des Teenagers Felice Schragenheim und glühende Liebesbriefe von und an ihre Lilly. Dazu kommen viele Fotos – zum Teil aus dem Familiennachlaß, zum Teil aus dem Besitz von Lilly Wust, die Filme versteckte und erst nach dem Krieg entwickeln ließ. Die Texttafeln erläutern, wie sich Felice schon als 15jährige zu ihrem Lesbisch sein bekannte und wie sie es sogar schaffte, unter falschem Namen beim „Völkischen Beobachter“ zu arbeiten. Es ist dies nur ein aufregendes Detail dieser Biographie.
Die Ausstellung wird gleichwohl nicht mehr (direkt) aus öffentlichen Mitteln gefördert. Das „Rat & Tat Zentrum“, der Lesbenring und die Gleichstellungstelle der Frauenbeauftragten kratzten 8.000 Mark zusammen, um sie nach Bremen zu holen und ein Begleitprogramm auf die Beine zu stellen. Der Eintritt ist frei, doch bitten die Veranstalterinnen um Spenden. Ganz un-marktschreierisch mitten in den Zeiten der Event- und neuerdings Spaß-Kultur. ck
P.S.1: Jeanette Jakubowski findet, daß die Verfolgung von Homosexuellen in der Ausstellung nicht ausführlich dokumentiert wird. Auch der Widerstand, den beide Frauen geleistet haben, wird nach ihrer Auffassung nicht genug gewürdigt. Trotzdem empfiehlt sie einen Besuch.
P.S.2: Die Ausstellung ist vom 3. bis zum 15.8. täglich von 10-18 Uhr in der Unteren Rathaushalle zu sehen. Eröffnungsveranstaltung am Sonntag, 2.8., 14 Uhr.
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