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Das Soziale als wahre, schöne, gute Dekoration

■ Peter Zadek inszeniert „Mahagonny“ in Salzburg, Christoph Marthaler „Katja Kabanowa“

Der Auftakt der Salzburger Festspiele: noch immer ein Signal. Und wenn an jenem Platz, an dem das Edle, Schöne und Teure für immer seinen Ort gefunden zu haben schien, „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ präsentiert wird, ein garstiges Stück des jungen Bertolt Brecht, wenn diese Produktion von Peter Zadek angekurbelt wird, dann ist der Erwartungsdruck wenigstens dreifach.

Teuer war das Unternehmen gewiß – den Augen wurde eine wahre Pracht der falschen Welt geboten. Richard Peduzzi hat den Kern einer nordamerikanischen Kleinstadt in illusionistischer Echtheit auf die riesig breite Festspiel- Bühne gebracht. Im Hintergrund aber erhebt sich monumentale Architektur: altägyptische Pylonen, von Steinlöwen gesäumte Treppenaufgänge, Elefanten-Standbilder, Säulenhaine – eine Vision totalitärer Stadtplanung. Die entstellt dann noch die Freiheitsstatue zur Kenntlichkeit; doch sie steht auf einem durchsichtigen Sockel, also quasi in der Luft.

Die soziale Lautstärke des Stücks allerdings wurde durch Zadeks Zugriff gedämpft: die Parabel auf den wildgewordenen Kapitalismus, die vor siebzig Jahren der fortgeschrittenen Geldwirtschaft die Maske vom Raubtiergesicht zu reißen trachtete, zeigt nurmehr Schmuseschnäuzchen. Allerliebst choreographiert ist der Reigen der Genußsucht: das große Fressen, der edel gestylte Liebesmarkt, der unfaire Boxkampf, die Sauforgie, die äußeren und inneren Bedrohungen für die neugegründete Traumstadt – also Taifun und Zwietracht. Alles vom Feinsten. Das, was einst sozialer Sprengstoff war, ist nurmehr Dekor, Kolorit, nostalgischer Staub. Mit der Kapitalismuskritik ist es hier nicht mehr weit her. Das Unternehmen Mahagonny dreht hohl in Salzburg. Solch schöner Schein bleibt goutierbar, zumal wenn die höhnisch- süße und dann wieder neusachlich kühl reagierende Musik von Kurt Weill so glänzend gesungen und musiziert wird wie unter der Leitung von Dennis Russell Davies. Und eine Stimme wie die der Catharine Malfitano zuschlägt.

Wie „Mahagonny“ so ist auch die zur selben Zeit entstandene „Katja Kabanowa“ zum ersten Mal in Salzburg vertreten – eine der wichtigsten Opern Osteuropas. Christoph Marthalers Inszenierung und die Ausstattung von Anna Viebrock transportieren die Geschichte der Katja aus der ärmlichen und von Drangsal bestimmten Bauern- und Kaufmannswelt des tiefsten russischen 19. Jahrhunderts in die Sphäre des realen Postsozialismus. Die Ausstatter haben in Brno, der Heimat Janáčeks, Maß und Vorbild genommen. Sie präsentieren einen Hinterhof. Parterre wird Einblick gewährt in die Schlaf-Wohn-Küche der noch rüstigen Witwe Marfa Kabanowa, die hier das Sagen hat: viel Hausrat rings ums Plüschbett in der Nische, Alu-Töpfe und ein repräsentativer Schrank (für die Schnapsflasche und andere geistreiche Auftritte). Über diesem Blick ins Interieur erhebt sich trostloser Plattenbau in Außenansicht. Aus den oberen Etagen bekunden die Mitbewohner in unterschiedlichen Graden der Diskretion ihre Anteilnahme an Katjas Schicksal. Die zunächst etwas kühl wirkende Angela Denoke, die ihre Unzufriedenheit klagt, dann aber zu kurzer großer Liebe erblüht, beglaubigt es mit fulminanter Stimme. Ihr Zufluchtsort ist – in der Mitte der Spielfläche – ein Springbrunnen, wie er heute in der mährischen Hauptstadt zu finden ist; auch er ein Relikt aus hoffnungsvoll sprudelnden Zeiten. In seinen Bezirk verkriecht sich die Titelheldin der Oper im Gram über Tichon und die Schwiegermutter, hier sucht und finden sie den Tod.

Leoš Janáčeks Musik gerät unter den Händen von Sylvain Cambreling feinnervig, präzise, energisch. Die Salzburger „Katja“- Aufführungen vereinen die auseinandergebrochene Tschechoslowakei. Cambreling dirigierte die Tschechische Philharmonie Prag und den Slowakischen Philharmonischen Chor Bratislava – das hat praktische Vorteile: das Gros der Ausführenden hat bei diesem mährischen Stück „Heimvorteil“, zumindest keine Sprachschwierigkeiten. Und das Unternehmen besitzt hohen Symbolwert. Frieder Reininghaus

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