: „Backpfeifen und Drill“
■ Zufällig befragte Türken in Berlin-Kreuzberg zeigen Verständnis für den harten Richterspruch
Von Mehmet hat Engin noch nichts gehört. Ist 14 und soll abgeschoben werden. Hat ein Strafregister so lang wie eine Einkaufsliste: Raub, schwere Köperverletzung, räuberische Erpresssung. „So einer sollte schon weg aus Deutschland.“ Nur Mehmets Eltern dürften bleiben. „Die können ja nichts dafür, was der Junge in seiner Freizeit macht“.
Engin K., 18, ist auf der Reichenberger Straße zu Hause, aufgewachsen zwischen türkischem Jugendclub und Straßengang. Engins Lebenslauf erinnert an Mehmet. Mit 12 brach er einem Mitschüler das Nasenbein, mit 14 stromerte er nachts mit der Clique durch die Gegend und hielt wildfremden Leuten das Messer an die Kehle. „Nur so aus Blödheit. Gab manchmal 20, 30 Mark, und die Nacht war gerettet.“ Vor zwei Jahren war er dabei, als seine Clique in Ostberlin Sebastian fertigmachte. Der Schüler soll einen Kumpel beleidigt haben. Am Ende lag Sebastian mit 20 Messerstichen im Krankenhaus, und Engin stand vor dem Richter. Er kam noch einmal davon. Hätte er auch mitgemacht, wenn ihm als Strafe eine Ausweisung in die Türkei gedroht hätte? „Niemals“, sagt Engin sacht. „Das hätte ich meinen Eltern nicht antun können.“ An seinem 18. Geburtstag beschloß Engin, gesetzestreu zu leben. Aus Furcht vor dem Erwachsenenstrafrecht. „Aber krumme Sachen gehören doch auch zur Jugend.“ Engin lächelt.
Meral E. aus dem Tabakladen gegenüber könnte über Typen wie ihn in schiere Verzweiflung geraten. Zweimal haben Jugendliche nachts vom Keller aus den Holzfußboden aufgebohrt und den Laden ausgeräumt. Die Polizei hatte die Diebe schnell gefaßt. „Aber die haben nur ihre Adresse aufgeschrieben und sie wieder laufen lassen. Es gab kein Gerichtsverfahren, nichts.“ Die Strafgesetze in Deutschland seien zu lasch, sagt die 32jährige. Jugendlichen würde in der Türkei ein kurzer Prozeß gemacht. „Harte Strafen, die müssen sein.“
Daß schon Kinder wie Mehmet zu Serientätern werden, liege nur daran, daß ihnen in Deutschland keine Disziplin beigebracht werde, mischt sich ihr Nachbar ein. Mevlüt C. ist 24, in Berlin geboren und hat sich als Frisör selbständig gemacht. Am Fall Mehmet könne man sehen, wie unvereinbar deutsche und türkische Erziehungsmethoden seien. Sicherlich hätten Mehmets Eltern versucht, ihrem Jungen zu Hause die türkische Kardinaltugenden beizubringen: Gehorsam, Disziplin, Höflichkeit. „Aber sobald die Kinder in eine deutsche Schule gehen, ist alles vorbei. Dort treffen sie auf Lehrer, die Angst vor den Schülern haben.“ Von Jugendwohnheimen und sozialarbeiterischer Betreuung hält Mevlüt C. auch nichts. „Die reden viel und tun nichts“. Einmal habe er eine Jugend-WG besucht. „Sobald die Sozialarbeiter weg sind, dealen und klauen die Jugendlichen weiter.“ Mevlüts Fazit ist klar: „Die Sitten hier sind viel zu locker.“ Jugendliche wie Mehmet gehörten für einige Zeit in die Obhut der Großfamilie in der Türkei. „Dort können sie noch erzogen werden. Mit Backpfeifen in der Schule und Drill beim Militär.“ Annette Rogalla
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen