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Eine Justiz, die eine Leiche bräuchte

Das Leben von Sohaila R. ist in Gefahr. Ihr gekränkter Ehemann verfolgt sie und droht mit Mord. Ein uraltes Geschlechterdrama – auf einem modernen Schauplatz. Denn in der Stadt Hannover wollen Polizei und Justiz in einem Vorreiterprojekt Männergewalt in der Familie eindämmen. Tatsächlich aber halten sie sich mit Interventionen zurück  ■ Von Thorsten Fuchs

Sie hatte ja erwartet, daß so etwas mal passieren würde. Und deshalb hatte sie sich vorbereitet, hatte sich eine Gaspistole und ein Elektroschockgerät gekauft und beides in ihre Handtasche gesteckt – zu dem Handy, das sie nur besaß, um schnell die Polizei rufen zu können. Aber als es soweit war, als ihr Mann, ihr Nochehemann, vor ihr stand, da stand sie einfach nur da, starr, wie gelähmt. Wäre ihr der Chef des Kaufhauses, in dem sie arbeitet, nicht so schnell zu Hilfe gekommen, dann, glaubt Sohaila R., würde sie heute nicht mehr leben.

Was genau geschehen ist, an diesem Samstag nachmittag Mitte April in einem Kaufhaus mitten in Hannover, das wird bald das Landgericht zu klären haben. Die Staatsanwalt hat Ali M. wegen „versuchten Mordes“ angeklagt. Sohaila R. sagt, ihr Mann, Ali M., habe sie mit einem großen Metzgermesser bedroht, und es gibt Zeugen für diesen Vorfall.

Einen „Rosenkrieg“ hat ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Hannover diesen Fall genannt, und vielleicht wäre es ja tatsächlich nur die Geschichte einer gescheiterten Ehe, häßlich, aber harmlos, wenn der Vorfall im Kaufhaus nicht eine Vorgeschichte hätte. Eine Vorgeschichte, in der es darum geht, daß Ali M. immerhin schon einmal fünf Monate in Untersuchungshaft verbracht hat und das Amtsgericht Hannover ihn im Januar dieses Jahres wegen vierfacher Körperverletzung an seiner Frau zu vierzehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt hat.

Zu der Vorgeschichte gehört auch, daß es seit anderthalb Jahren in Hannover ein „Interventionsprojekt“ von Polizei, Justiz und Frauenbüro gibt, das Wiederholungstaten wie die von Ali M. durch energisches Eingreifen staatlicherseits verhindern soll. Hinzu kommt: Der bedrohliche Vorfall im Kaufhaus fiel in die Bewährungszeit des Ali M. Dennoch mußte er gerade mal eine Nacht im Polizeigewahrsam verbringen und ist seitdem frei. Das zusammen macht aus diesem Fall eine Geschichte darüber, wie zurückhaltend Polizei und Justiz auch im Zeitalter eines staatlicherseits mitgetragenen „Interventionsprojektes“ reagieren, wenn es um Gewalt in der Ehe geht.

Zehn Jahre ist es her, daß Sohaila und Ali M. kurz nach der Heirat in die Bundesrepublik flüchteten. Beide wurden als Asylbewerber anerkannt. Ali M. übernahm einen Kiosk, er verdiente nicht viel, aber es reichte: für ihn, seine Frau und für Sohail, den gemeinsamen Sohn, der ein gutes Jahr nach der Ankunft geboren wurde.

Ali M. will sich nicht gegenüber Journalisten zu dem Konflikt mit seiner Frau äußern. Sohaila R. sagt, Ali habe schon damals begonnen, sie zu schlagen. Einen Anlaß, sagt sie, habe er immer gefunden. Oft sei es zum Beispiel das Essen gewesen, „warum machst du zweimal hintereinander das gleiche Essen“, habe er geschrien, und dann ging es los. Aber der Grund sei ein anderer gewesen. „Ich war sein Eigentum“, sagt sie, und dieses Eigentum sollte mit niemand anderem reden als mit ihm, nicht mit anderen Frauen und erst recht nicht mit anderen Männern.

Bis Sohaila aus dieser Ehe ausbrach, mußte einiges zusammenkommen: Szenen wie die mit ihrem Sohn, der eines Tages ein Messer aus der Schublade zog und verkündete, damit wolle er seine Mutter verteidigen. Oder die Hoffnung, sich allein durchschlagen zu können, nachdem sie Deutsch gelernt hatte. „Irgendwann“, sagt sie, „wurde es einfach zuviel.“

Ironie des Schicksals: Genau zu dem Zeitpunkt, als das Hannoveraner Modellprojekt Anfang Januar 1997 startete, entschloß sich Sohaila R., ihr Leben zu ändern: „In der Neujahrsnacht 1997“, schreibt das Amtsgericht Hannover in seinem Urteil im Januar 1998, habe Ali M. seiner Frau ein Kissen auf das Gesicht gedrückt und sie gewürgt. Ob Sohaila, wie sie angab, auch vergewaltigt wurde, habe das Gericht nicht mit letzter Sicherheit feststellen können. Am nächsten Morgen flüchtete sie mit ihrem Sohn in ein Frauenhaus.

Fünfmal zog sie danach um, und immer fand ihr Mann sie. Deshalb glaubt sie auch nicht, daß es etwas nützen könnte, in eine andere Stadt zu fliehen. Manchmal kam sie sich vor wie in einer Verschwörung. Vor allem, wenn sie nach Mißhandlungen die Polizei anrief und sie nur zu hören bekam, es handele sich eben um eine Familiensache, dazu noch aus einer anderen Kultur, da könne man nichts machen. Dreimal sei ihr das passiert. Dabei sollten dank des Hannoverschen Modellprojekts PolizistInnen genau so achselzuckend nicht mehr reagieren. Jedenfalls habe sie einmal kurz darauf einen deutschen Freund gebeten, noch einmal bei der Polizei anzurufen. „Ein paar Minuten später“, sagt sie, „stand der Streifenwagen vor der Tür.“

Als Ali M. ihr schließlich vor dem Frauenhaus auflauerte und ihr einen doppelten Riß in das Trommelfell prügelte, machte die Justiz erstmals ernst: Die folgenden fünf Monate bis zum Gerichtsurteil verbringt Ali M. in Untersuchungshaft.

Vor Gericht bestreitet Ali M. fast alle Vorwürfe. Das Gericht ist sich sicher, daß er „auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine weiteren Straftaten mehr begehen wird“. Es setzt die Strafe von vierzehn Monaten zur Bewährung aus. Dieses Urteil, da ist sich Sohailas Anwältin Ulrike Halm sicher, wäre „wesentlich schärfer ausgefallen, wenn Täter und Opfer nicht miteinander verheiratet gewesen wären“. Und somit ein Beispiel dafür, daß „die Justiz ihre Möglichkeiten einfach nicht ausschöpft, wenn es um Gewalt in der Ehe geht“, wie Dietmar Krüger es formuliert, Leiter der Sozialarbeiter bei der Polizei Hannover – trotz des Interventionsprojekts, an dessen Entwicklung auch Strafrichter beteiligt waren. Rechtskräftig ist dieses Urteil allerdings bis heute nicht. Ali M. hat Berufung eingelegt.

Bewährungsauflagen und richterliche Weisungen bekam Ali M. nicht, er darf sich Sohaila R. weiterhin ohne Einschränkung nähern, auch muß er nicht an einem vom Männerbüro angebotenen Antigewalttraining teilnehmen.

Nach der Gerichtsverhandlung nahm er denn auch die Verfolgung seiner Frau wieder auf. Drohte ihr, sie umzubringen, das Kind zu sich nehmen und in den Iran zurückkehren. Daraufhin brachte sie den Sohn bei einer Pflegefamilie unter. Gut drei Monate nach dem Urteil stand er ihr im Kaufhaus mit dem Messer gegenüber.

Daß es ihm um Rache gehe, vermutet die Sozialarbeiterin der iranischen Gemeinde, Simin Nassiri. Rache an der Frau, die ihn, den Golfkriegsveteran, nach seiner Auffassung der Ehre beraubt hat. Denn elf Monate nach der Trennung von ihrem Mann hat sich Sohaila R. einen neuen Freund gesucht. „Untreue“ wirft der Ehemann ihr vor. „Im Iran“, sagt sie, „würde man mich steinigen.“ Andere meinen, Ali M. sei ein gekränkter Ehemann, sein Verhalten habe nichts mit seiner Herkunft oder seiner Religion zu tun.

Ali M. hat seine Asylberechtigung zurückgegeben. Die Sozialarbeiterin vermutet, daß er seine Rache an der „untreuen“ Sohaila nehmen und sich dann in den Iran absetzen will.

Daß dieser Fall eine Menge Merkmale aufweise, die sich sonst bei Partnertötungen finden, sagt Christian Pfeiffer, der Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Einen „klassischen Verlauf“ nennt er das und schätzt die Wiederholungsgefahr als „sehr hoch“ ein. Den Antrag der Staatsanwaltschaft auf einen Haftbefehl hat das Landgericht jedoch gerade abgelehnt. Warum das Landgericht dies getan hat, dazu sagt es nichts. Was bleibt, sind Informationen von Menschen, die mit diesem Fall zu tun hatten, aber nicht darüber sprechen dürfen.

Von Frust ist dabei die Rede, Frust darüber, daß auch die schönsten Modellprojekte gegen Gewalt in der Ehe nichts bringen, wenn die Justiz so etwas hinterher als Kavaliersdelikt behandle. Und davon, daß der Haftrichter nach der Szene im Kaufhaus gar nicht gewußt habe, daß Ali M. zuvor zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden sei. Den Haftbefehl beantragte die Staatsanwaltschaft im übrigen erst, nachdem die Anwältin von Sohaila R. eine weitere Zeugenaussage präsentierte. Darin sagen die Eltern von Sohaila aus, sie hätten einen Anruf von Ali M. erhalten. Diesmal habe er vergeblich versucht, ihre Tochter umzubringen, soll er gesagt haben. Aber das nächste Mal werde es klappen.

Zwei- bis dreimal in der Woche komme Ali M. zur Zeit zu Sohaila in das Kaufhaus. Um sich hinzustellen, aus Daumen und Zeigefinger eine Pistole zu formen und auf sie zu zielen. Oder sich mit der Handkante am Hals entlangzufahren. Die Polizei rufen will sie nicht, weil ihr Chef gesagt hat, er würde sie entlassen, wenn so etwas wie neulich mit dem Messer noch einmal passiere. Als Sohaila einem Staatsanwalt von den Drohungen ihres Mannes erzählte, habe der entgegnet, daß man eben leider eine Leiche brauche, um etwas tun zu können. Womöglich war das ein Scherz.

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