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Schnuppe geworden

Was macht eigentlich... der „Stern“? Im Jahr seines 50. Geburtstags steckt das Magazin zwischen einem verblichenen Mythos und der Suche nach neuer Identität  ■ Von Lutz Meier

Vielleicht ist zwischen den großen leeren Stellwänden im Foyer des Hamburger Verlagshauses Gruner + Jahr ein ganz guter Platz, sich zu überlegen, was der Stern eigentlich ist. Gerade kommt ein Paar vom Verlag die schräge „Rampe“ hinunter, die zum Stern führt, und der Mann breitet die Arme auseinander und erklärt, so groß, daß er die Wand ausfülle, müsse der Schriftzug „Stern“ auf ihr stehen: „Damit man gleich beim Reinkommen sieht, worum es geht.“ Die Frau schickt einen skeptischen Blick durch ihre Brille und fragt, ob das nicht vielleicht zu groß gerate. Aber zum 50. darf es ruhig ein bißchen größer sein, wenn der Stern noch einmal alle seine 2.650 Titelbilder ausstellt, damit man sieht, was er war: die Knef, die Russen, Willy Brandt, die Busen, Barschel usw. Henri Nannen am Ende natürlich auch – es wird sich schon jemand finden, der die ganzen Geschichten noch einmal erzählt.

Dann kommt aber auch schon der Herr Otto die Rampe hinunter, der seit neuerem dafür bezahlt wird, daß über den Stern und seinen Chefredakteur Werner Funk nur noch Gutes in der Zeitung steht (wofür in letzter Zeit nicht ausreichend Sorge getragen wurde). Während Kurt Otto dann so erzählt, daß der Stern in den 50 Jahren 192.732 redaktionelle Seiten und 189.510 Anzeigenseiten produziert habe, was doch ganz erstaunlich sei, kann man sich fragen, ob der ganze Mythos aus 50 Jahren Stern nur noch auf dem Stern lastet. Oder ob der Stern, zumal zum Jubiläum, von ihm zehrt. Oder ob der Stern es vielleicht nicht versäumt hat, den Traum neu zu konstruieren, der diesem Mythos wie jedem zugrunde liegt. Wie frei doch Focus ohne so einen Mythos lebt, kann man sich überlegen: Das Magazin, das die Leser aufgetan hat, die der Stern gern hätte, das jeden Montag die Titelthemen hat, wie sie früher nur der Stern hatte, und das mit ihm erfolgreich um die gleichen Anzeigenkunden buhlt.

Mit Focus war das postprivattelevisionäre Medienzeitalter wie aus einem Ufo auf den deutschen Zeitschriftenmarkt gestürzt, wo trotz aller Widrigkeiten noch immer die drei Hamburger Nachkriegs-Dickschiffe ruhig ihre Bahnen zogen. Zuerst warf der Spiegel den Mythos („Sturmgeschütz der Demokratie“) ab wie das Linksliberale und wurde eine ziemlich normale aktuelle Zeitschrift. Seit dem Frühjahr versucht nun auch die Zeit, es ihm nachzutun und die Institution zugunsten der Information zu schleifen. Nur beim Stern ist die Sache ein bißchen anders gelagert. Vom Mythos zur immer normaleren Zeitschrift wurde der Stern schleichend – irgendwann nach den Hitler-Tagebüchern in den achtziger Jahren. Doch anders als bei den Männerblättern Spiegel und Zeit müßte der Kern seines Mythos dem Stern vielleicht nicht Ballast, sondern Kapital sein. Denn er ist, seit er besteht, ein Blatt für die Augen, für den Sinn, nicht fürs Kleinhirn.

Beim Stern selbst sitzt Herr Otto und beschreibt die Problematik so: Mit dem Fernsehboom sei den traditionellen Bildern und Themen des Stern die Wirkung abhanden gekommen, weil das Tempo zunahm, in dem neue Bilder umlaufen und Themen überholt sind. Vom Zeitschriftentyp der Illustrierten sei nur der Stern übriggeblieben. Die „Kraft des stehenden Bildes“ (Stern-Gestaltungschef Wolfgang Behnken), auf die der Stern seit jeher setzte, sie scheint im Strudel der Bewegtbilder geschwunden. In Zahlen: Mit knapp über 1,1 Millionen Auflage ist der Stern zwar immer noch Europas auflagenstärkste Zeitschrift, seit zweieinhalb Jahrzehnten jedoch gibt es ein kontinuierliches Bröckeln. Von der Millionengrenze trennt den Stern nicht mehr als der Auflagenverlust zweier Jahre.

Chefredakteur Werner Funk bequemt sich bei all diesem Gerede über Probleme nur etwas aus seinem Stuhl hervor, richtet seine große spitze Schere gegen den Frager und sagt, übriggeblieben oder nicht, der Stern stehe besser da als lange und: „Dieses Bröckeln, Verehrtester, prägt leider derzeit den ganzen Zeitschriftenmarkt.“ Womit er im Augenblick zwar recht hat. Nur scheint der Schwund beim Stern seit langen Jahren kaum aufzuhalten.

Aber vielleicht ist die Auflage nicht einmal das Hauptproblem. Man könne den Stern auch mit 800.000 Auflage noch prima machen, sagte mal ein einstiger Chefredakteur, „vorausgesetzt, er ist etwas, was man haben will“. Doch viele sagen, der Stern habe seinen Glanz längst verloren. Vor allem unter jungen Großstädtern, unter kulturell und politisch Interessierten scheint man ihn nur noch lustlos in die Hand zu nehmen. Die großen Reportagen stehen kaum mehr im Stern, die bewegendste Bildsprache erwarten manche nicht mehr im Stern, und in den großen kulturellen und politischen Debatten wird er oft nicht gehört. Gehörte der Stern wie Spiegel und Zeit einst einfach dazu, scheint er vielen nun schnuppe geworden. Speziell solches Gerede kann Werner Funk aber gar nicht mehr hören: „Die Sachen, die wir machen, kriegt kein anderer hin. Aber so ist das nun einmal in diesem Gerwerbe: Die Beckmesser stehen da und nölen.“

Werner Funk ist der nach Henri Nannen am längsten amtierende Chefredakteur des Stern (er begann 1994). Mittlerweile scheint er auch fast genauso unangefochten zu regieren wie dieser. Und während der Mann mit dem Schnäuzer und dem oft leicht abschätzigen Blick aus großen blauen Augen im letzten Jahr noch allenthalben als der „Kotzbrocken“ (Süddeutsche Zeitung) der deutschen Publizistik galt, hört man inzwischen auch vorsichtig anerkennende Äußerungen aus der Branche und der Redaktion.

Allerdings gibt es inzwischen auch ein paar Vorsichtsmaßregeln nach innen und nach außen. Bevor man mit Werner Funk reden will, wird man vom neuen PR-Mann nun erst einmal mit dessen Erfolgen vertraut gemacht und ein ganz klein wenig auch mit seiner Psyche. Daß es da gewisse Prädispositionen gebe, mit der Presse. Und dann ist da noch der Anruf bei Werner Funks Sekretärin, bevor man hochgeht, in den Kommandostand mit Blick über den Hafen: Ob er denn gut drauf sei.

Gut drauf heißt heute, daß er mit dem halben Oberkörper unter dem riesigen Konferenztisch hängt, den zur Hälfte seine Unterlagen beherrschen, mal über den Hafen, mal zu den Tour-de- France-Fahrern in den Fernseher blickt und nebenbei bärbeißig Fragen beantwortet, bei denen er sich nicht viel Mühe macht, zu verbergen, daß er sie allesamt für bescheuert hält: Der Stern-Mythos, der Mangel an Vision, an großen Reportagen? Funk sagt alles klar und schnell: „Bullshit“, sagt er (zu einer Focus-Story über ihn und die Kisch-Preis-Jury) „das ist heavy stuff“ (über einen Vergleich des Selbstdarstellers Markwort mit dem Selbstdarsteller Nannen).

Die gewissen Prädispositionen rühren übrigens aus dem letzten Jahr, als der Chefredakteur in Gegenwart einer SZ-Reporterin sich im Schnelldurchlauf von seinem Bonner Bürochef trennte und dabei die Worte sprach: „Licht und Luft gibt Saft und Kraft.“

Da war Werner Funk eher schlecht drauf, auch wegen einer Geschichte, die er heute sein „größtes Desaster“ nennt. Weil Ex-Spiegel-Mann Funk sich für „eher die harten Themen als die weichen Themen“ kompetent fühlt, hatte er sich für „die Weichanteile“, wie er es nennt, einen Vize geholt. Andreas Lebert vom SZ-Magazin galt als Garant für das Nannensche „Prinzip Wundertüte“ und sollte die unterhaltenden, die sinnlichen Elemente des Magazins verantworten. Lebert, voller Sehnsucht in der Redaktion empfangen, ist gescheitert. Nach übereinstimmender Auskunft aus der Redaktion nicht an Funk. Der sagt: „Ich rätsele noch immer darüber.“

Das Scheitern Leberts hat offenbar die Stimmung im Stern verändert: „An ihm haben wir gemerkt, was wir an Funk haben“, sagt ein Redakteur. Und dann sei auch der Stern-Chef selbst ruhiger geworden, wenngleich er immer noch „Leute mobben“ könne. Es könne wieder regelrecht spaßig sein in den Konferenzen, es werde diskutiert. Es werde wieder gearbeitet, teilweise gern. Was auch daran liegen dürfte, daß sich Funk von zahlreichen (älteren) Redakteuren getrennt hat und die Redaktion etwas verkleinerte, so daß sie weniger die Atmosphäre öffentlicher Verwaltung ausstrahlt, wie in vergangenen Tagen. Funk selbst hält sich zugute, daß er die politische Berichterstattung verbessert habe. Der Stern sei „männlicher geworden“ sagt er, „das Nachrichtenmagazinige“ sei stärker. Funk, sagt einer, der ihn kennt, sei jemand, „der so emotional ist, daß er seine Emotionen ständig zu kontrollieren versucht“. Daher habe er solche Probleme mit dem Emotionalen am Stern.

Mißlich ist, daß es für das Nachrichtenmagazinige inzwischen Nachrichtenmagazine gibt, die genug Klatsch und Entertainment im Kleid von Nachricht und Nutzwert bieten. Alles Nichtnachrichtliche kommt weiterhin so harmlos, beliebig, inhaltlich unbedarft daher wie diese Woche die Titelgeschichte über den „gequälten

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Autofahrer“. Funk scheint den Mangel selbst zu spüren, so wie er diese Geschichten verteidigt: Sie seien „ordentlich lesbar“, sagt er, „die machen das eigentlich ziemlich gut“. Möglicherweise müßte der Analyse, das TV habe die weichen Themen geraubt, ein anderer Schluß folgen als der, das Weicherklopfen des Weichen nur nachzuvollziehen: der Schluß, daß jene Themen die wichtigsten für die Renaissance der Illustrierten sind, die Medienwissenschaftler für denkbar halten; daß es gelten könnte, den „weichen Themen“ Tiefe zu geben, was immer die Qualität des Sterns war: große Reportagen und Fotos. Vielleicht sucht Funk schon nach einem, der es kann: Er sei „immer noch latent auf der Suche nach einem Stellvertreter“, der sich dieser Dinge annehme. Doch so einer scheint derzeit ebensowenig in Sicht wie ein Nachfolger für Funk, der 61 ist.

„Dem Stern fehlt die Seele“, sagt der Hamburger Medienforscher Bernd-Jürgen Martini, „der Stern ist zu kalt.“ Wo früher ein Reporter für eine Landwirtschaftsgeschichte einen halben Tag Kartoffeln gebuddelt habe, da treffe er sich heute mit einem Landwirtschaftsexperten in der Bar und schreibe dann eine Geschichte mit einem Archivdossier. Vielleicht hat der Stern im 50. Jahr ein Identitätsproblem. Vielleicht liegt es daran, daß zwei Werbeagenturen lange Zeit vergebens nach einem Slogan für ihn suchten. Vielleicht stimmt es auch, was Konkurrenten behaupten: daß der Stern-Chef selbst nicht sagen könne, was der Stern ist. „Immer noch die größte Zeitschrift“, sagt er, wenn man fragt; „stabile Auflage“, „macht ordentlich Geld“. Und dann, daß der Stern „seinen Platz ganz überzeugend gefunden“ habe.

Am Ende kommt man wieder durch die Kulissen für den Mythos Stern, wo es nach Farbe riecht und nach Leere. Vielleicht ist es aufschlußreich, sich dem älteren Herrn zuzuwenden, der kariert gekleidet mit seinem Köfferchen am Empfang steht und nach einer Redakteurin verlangt, mit der er korrespondiert, eines Heftes von den Stern-Jubiläumsbeilagen wegen. „Ja, der Stern“, sagt er langgezogen, fängt von der Knef an, daß er den Stern schon seit Chruschtschow lese und von Henri Nannen. Das Jubiläum wird abgespult werden. Aber die Gegenwart, die Zukunft, die Träume vom anderen Stern werden warten müssen.

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