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Sturmangriff der Taliban

Den Gegnern der afghanischen Radikalislamisten droht das Ende. Die selbsternannten Koranschüler attackieren Masar-e Scharif, Trutzburg ihrer Widersacher  ■ Von Thomas Dreger

Berlin (taz) – Die afghanischen Taliban blasen zum Sturm auf die letzte Hochburg ihrer Gegner. Gestern verkündete der Taliban-Sender „Stimme der Scharia“, der Vormarsch auf die Stadt Masar-e Scharif werde fortgesetzt. Masar-e Scharif ist die letzte größere Stadt in Händen der Antitaliban-Allianz, die noch 10 bis 20 Prozent des Landes kontrolliert.

Unabhängige Bestätigungen der Behauptung der Taliban gab es gestern nicht. Jedoch berichteten Einwohner von Masar-e Scharif gegenüber der BBC, sie könnten aus dem Westen gelegentlich Geschützfeuer hören. Angeblich stünden die Taliban bereits fünfzehn Kilometer vor der Stadt. Die Atmosphäre sei gespannt.

Hilfsorganisationen kündigten den Abzug ihrer Mitarbeiter aus Masar-e Scharif an. Das Internationale Rote Kreuz wollte noch gestern ein Evakuierungsflugzeug in die Stadt schicken. Ein Sprecher der Organisation berichtete, zehn Mitarbeiter hätten gebeten, aus Masar-e Scharif geholt zu werden. Vor einem Flug dorthin werde man jedoch die Sicherheitslage prüfen.

Damit droht der Abzug der letzten internationalen Helfer aus Afghanistan. In der vergangenen Woche waren alle Vertreter von ausländischen Organisationen außer der UNO aus Kabul abgerückt. Grund war ein Streit mit den Taliban, die die Ausländer kollektiv in ein verfallenes Universitätsgebäude stecken wollten.

Die Taliban hatten bereits im Mai vergangenen Jahres kurzfristig Masar-e Scharif erobert, waren aber zurückgeschlagen worden. Beobachter in der Region gehen jedoch davon aus, daß die Radikalislamisten diesmal bessere Chancen haben, die Kontrolle über den Rest des Landes zu übernehmen. Die Opposition um den Usbekengeneral Abdul Raschid Dostum und des vor zwei Jahren aus der Hauptstadt Kabul vertriebenen Ahmad Schah Massud sei zerstritten, zudem hätten die Taliban diesmal größere Gebiete um Masar-e Scharif erobert.

Die Taliban hatten am Sonntag die strategisch wichtige Stadt Schebergan eingenommen. Ein Taliban-Sprecher, Abdul Hai Mutmain, erklärte anschließend, die Miliz habe dabei zahlreiche Waffen und Munition erbeutet sowie viele Gefangene gemacht.

Zumindest nach ihrer eigenen Darstellung sind die Taliban jetzt dabei, ihren blutigen Siegeszug durch Afghanistan zu vervollständigen. Unterstützt werden die selbsternannten Koranschüler von Pakistan und Saudi-Arabien, zumindest zu Beginn ihrer Offensive angeblich aber auch vom US-Geheimdienst CIA. Taliban-Gegner behaupten, vor allem US-Ölkonzerne hätten ein Interesse daran, daß das Land von einer Zentralmacht befriedet würde – um welchen Preis auch immer. Tatsächlich plant der US-Ölmulti Unocal den Bau einer Pipeline von Zentralasien durch Afghanistan. Wegen der Kämpfe im Land liegen die Gelder aber seit März auf Eis. Ziel des Projektes ist es, Erdgas und -öl aus Kasachstan und Turkmenistan herauszutransportieren und dabei Rußland und Iran zu umgehen. Diese beiden Staaten unterstützen entsprechend die afghanische Antitaliban-Allianz.

Irans Sonderbeauftrager für Afghanistan, Alaeddin Boridscheri, erklärte gestern im iranischen Radio, der „Bruderkrieg in Afghanistan“ müsse beendet werden. Basis dafür sei „ein islamisches Regierungssystem“, das alle einschließe.

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