: Kirche aus Lehm heilt alte Wunden
1985 ließ die DDR die Versöhnungskirche sprengen, die direkt an der Mauer gegenüber dem Bezirk Wedding stand. Dort soll jetzt eine Kapelle entstehen. Die Gemeinde hat sich auf einen ökologischen Bau geeinigt ■ Von Jutta Wagemann
Nur noch drei Glocken erinnern heute daran, daß auf diesem Brachgelände an der Bernauer Straße bis 1985 eine große gotische Kirche stand. Eingezäunt und von Gras umwuchert, scheint das Geläut der Versöhnungskirche darauf zu warten, wieder seine eigentliche Bestimmung erfüllen zu können. Dieses Jahr könnte es endlich soweit sein: Nach langen Diskussionen hat sich die Evangelische Versöhnungsgemeinde in Wedding auf einen Entwurf für den Neubau einer Kapelle an gleicher Stelle geeinigt. Einen Glockenturm will die Gemeinde dieses Jahr noch aufstellen und hofft, so Pressesprecher Rainer Just, daß die Glocken am Bußtag (18. November) erklingen können.
Für die DDR war die Versöhnungskirche ausgesprochen lästig. Ursprünglich für die schnell wachsend Arbeitergemeinde Wedding 1894 gebaut, befand sie sich eigentlich auf dem Boden des Bezirks Mitte – und nach dem 13. August 1961 direkt an der Mauer. Sie versperrte den DDR-Grenzschützern die Sicht. 1983 hatte die Westberliner Versöhnungsgemeinde Kirche und Grundstück an ihre Ostberliner Schwestergemeinde abgetreten. Die wiederum tauschte beides zwei Jahre später an den Ostberliner Magistrat gegen Gemeindezentren in Hohenschönhausen und Prenzlauer Berg ein.
In Neubaugebieten präsent zu sein, war für die Protestanten damals wichtiger, als an einer halb verfallenen Kirche aus symbolischen Gründen festzuhalten. Obwohl sich das Ostberliner Konsistorium klar darüber war, daß ihm dieser Handel als Verrat ausgelegt würde. Dem Magistrat stand damit nichts mehr im Wege: Am 22. Januar 1985 ließ er das Gebäude sprengen, kurz später folgte der Turm. Für viele Westdeutsche ein weiterer Beleg für die Gottlosigkeit der Kommunisten.
Von der Kirche war fast nichts übriggeblieben. Nur ein paar Einrichtungsgegenstände überdauerten die deutsche Teilung. Das Turmkreuz wurde bei der Sprengung auf den St.-Elisabeth-Friedhof geschleudert und in leicht verbogenem Zustand von findigen Berlinern in Sicherheit gebracht. Die Glocken, die Altarwand und das Taufbecken übergab der Ost- berliner Magistrat vor der Sprengung der Gemeinde. Die Christusfigur vom Portal gelangte irgendwie zur Gethsemane-Kirche, wo sie bis heute steht. Und neben Säulenkapitellen, einer Rosette und einer Kirchenbank ist auch eine Bibel erhalten, in die zur Eröffnung Kaiserin Auguste Viktoria eine Widmung geschrieben hatte.
Diese Relikte sollen in den Neubau nach und nach integriert werden. Die Versöhnungsgemeinde einigte sich auf einen mehrfach überarbeiteten Entwurf des Berliner Architekten Peter Sassenroth. „Das wird einer der letzten Kirchenneubauten in Berlin vor der Jahrtausendwende sein“, erläutert Gemeindesprecher Just den Grund für die jahrelange Diskussion. Sie hätten sich deshalb für eine ökologische Bauweise mit „zukunftsweisendem Material“ entschieden.
Ein Lehmbau soll einen etwa 10 mal 14 Meter großen Kirchenraum bilden. Darüber wird eine Holzkonstruktion gestülpt, so daß ein äußerer Wandelgang entsteht. An der Fassade dominiert das Holz, doch der Lehm dahinter bleibt sichtbar. 1,3 Millionen soll der Bau laut Just kosten, finanziert aus Mitteln der Gemeinde und Spenden. Rund 200.000 Mark hat die Gemeinde bereits gesammelt. Ein Förderverein wird jetzt gegründet.
Die neue Kapelle, in umittelbarer Nachbarschaft zur Mauergedenkstätte und dem geplanten Dokumentationszentrum in der Bernauer Straße, erhält wesentlich bescheidenere Ausmaße als die Versöhnungskirche. Während der gotische Bau 1.000 Menschen faßte, ist die Kapelle für 100 Besucher ausgerichtet. Für Just paßt das besser in diese Zeit. Die Größe der Kapelle sei auch der Gemeindegröße angepaßt. So große Kirchen wie der Originalbau seien nicht mehr bezahlbar und würden auch gar nicht mehr voll.
Am 27. August 1961 fand der letzte Gottesdienst in der Versöhnungskirche statt. Damals konnte nur das verbliebene Häuflein der Ostgemeinde teilnehmen. Danach betraten nur noch Soldaten die Kirche. 1995 erhielt die Gemeinde das 2.000 Quadratmeter große Grundstück zurück. Gemeindepfarrer Manfred Fischer kann sich an die bewegenden Szenen noch erinnern. Der Rohbau der neuen Kapelle soll Ende 1999 fertig sein.
Fast 40 Jahre nach dem Mauerbau kann dann wieder ein Gottesdienst auf dem ehemaligen Todesstreifen stattfinden.
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