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Orwellsche Verhältnisse in Birma

Die Militärherrscher in Rangun haben ihre Strategie verfeinert. Eine neue Massenorganisation soll jetzt die Bevölkerung gegen die Opposition mobilisieren  ■ Aus Rangun Jutta Lietsch

Natürlich ist Tin Lwin* nicht so verrückt, jetzt gegen die Regierung zu demonstrieren – auch wenn er die birmesische Militärjunta haßt. Denn das wäre viel zu gefährlich: „Wer will schon ins Gefängnis gehen?“ sagt der rund fünfzigjährige Angestellte einer internationalen Firma in Rangun.

Abgesehen von seiner Freiheit hat Tin Lwin etwas zu verlieren, was in diesen schweren Zeiten ein besonders rares Gut ist: einen sicheren Job, der ihm ein akzeptables Auskommen bietet. So wartet Tin Lwin ab, ob in diesen politisch gespannten Tagen andere mehr Mut aufbringen.

Doch zehn Jahre nach dem Aufstand gegen das Militärregime, der von den Soldaten blutig niedergeschlagen wurde, bleibt Rangun völlig ruhig. „Es gibt wohl niemanden, der heute wieder Massendemonstrationen gegen die Generäle auf die Beine stellen könnte“, sagt Tin Lwin.

An der großen goldenen Shwedagon-Pagode beten wie jeden Morgen die Gläubigen. Auf den Straßen der Innenstadt nahe der Sule-Pagode verkaufen die Händler Longyis, die von den meisten Männern und Frauen getragenen birmesischen Sarongs.

In den Elektronikgeschäften wählen Kunden zwischen Sony- oder Panasonic-Fernsehgeräten. In der Padosan-Straße legen die fliegenden Buchhändler ihre Schätze auf den Boden: Orwells „Tage in Birma“ neben gebrauchten Englisch-Lexika, Klassiker der birmesischen Literatur neben den gesammelten Reden des Geheimdienstchefs Khin Nyunt.

Junge und alte Frauen mit roten Zähnen bieten für ein paar Pfennig Betelnüsse an, die schon kaufertig mit Kalk und Tabakblättern verpackt sind, und spucken dabei kräftig auf den bereits blutrot gesprenkelten Boden. Birmesische Popmusik tönt schnarrend aus den Lautsprechern von Kassettengeschäften. Aus den Sammeltaxis und Bussen preisen die jungen Schaffner laut ihr Fahrzeug an, obwohl die Passagiere schon draußen an den Türen hängen.

Weiter im Norden, am malerischen Inya-See, haben Soldaten eine neue Straßensperre errichtet. Die Barrikade steht dicht am Haus der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi in der Universitätsstraße 54. Nachdem die Oppositionspolitikerin am letzten Freitag abend den militärischen Geheimdienst aufgefordert hat, von ihrem Grundstück abzuziehen, kommen die meisten Besucher nun nicht einmal mehr bis an ihr Gartentor.

Auf Suu Kyis Grundstück ist es still geworden

Nun muß sich jeder an der neuen Schranke ausweisen. Per Walkie- talkie verständigen sich die Wachen mit ihren Vorgesetzten. Die campieren unter anderem auf der gegenüberliegenden Straßenseite hinter einem Zaun, wo das rote Licht der Videokameras aufblinkt, mit denen die Passanten gefilmt werden.

„Jetzt ist es ganz still bei Aung San Suu Kyi geworden“, sagt der Vizevorsitzende der Nationalen Liga für Demokratie (NLD), Tin Oo. Nur noch eine Handvoll Freunde und Angestellte beleben das Gelände.

Seit 1989, als die Junta die Dissidentin für sechs Jahre unter Hausarrest stellte, hatte die Agententruppe stets direkt hinter dem Gartentor gesessen – „zum Schutz Suu Kyis“, wie die Generäle offiziell verkündeten.

Doch nachdem die Oppositionspolitikerin kürzlich von Soldaten gezwungen wurde, ihre Fahrt zu NLD-Büros außerhalb von Rangun abzubrechen, und nach sechs Tagen Sitzstreik im Auto nach Hause zurückgefahren wurde, hat sie ihre Aufpasser hinausgeworfen. „Sie war wütend“, sagt der 71jährige frühere General Tin Oo.

Sie selbst scheint von dieser Nervenprobe zwar körperlich geschwächt, aber keineswegs entmutigt. Zierlich und voller Energie, mit weißen Blüten im Haar, gekleidet in einer eleganten Kombination aus heller Bluse und rotbraunem Longyi, erzählt die 53jährige, wie die Polizisten ihr Auto stoppten, es anhoben und ein paar Meter weiter auf eine wegen Baufälligkeit gesperrte hölzerne Brücke stellten.

Soldaten und Zivilpolizisten umkreisten den Wagen. Immer wieder wurde sie fotografiert und gefilmt. „Ich habe einen der Fotografen gefragt, ob sie nicht schon genug Bilder von mir haben“, sagt sie. Seine Antwort spiegelt die düstere Absurdität des birmesischen Überwachungsstaates wider: „Ich habe den Auftrag, jeden Tag einen Film zu verknipsen.“

Aung San Suu Kyi: „Wir hatten Wasser und Vorräte nur für drei Tage dabei.“ Wenn es regnete, sammelten sie und ihre drei Begleiter Wasser zum Trinken in zwei umgedrehten Regenschirmen, „und ich habe die Tropfen, die von einer Speiche fielen, einzeln aufgefangen und so eine ganze Flasche gefüllt“, sagt sie mit offensichtlichem Stolz.

Freiwillig wäre sie wohl nicht nach Rangun zurückgekehrt. Die zierliche Politikerin war bereits ausgezehrt und lag mit hohem Fieber auf dem Rücksitz, als Soldaten ihre Fahrer abführten und den Wagen in die Hauptstadt zurückfuhren. Als sie sich wehrte – „ich habe getreten und geschrien“ –, hielten die Bewacher sie mit eisernem Griff fest.

Während sie routiniert von der gerechten Sache der Opposition, dem Kampf für mehr Demokratie und der Sturheit der Militärjunta spricht, blickt sie ab und zu hinüber zu Tin Oo und zwei anderen alten Herren aus dem Vorstand der Partei, die still im Hintergrund bleiben. „Ich bin keine Symbolfigur“, antwortet sie auf die Frage, wie sie mit ihrer Rolle als „Ikone“ des Widerstands zurechtkommt, „ich bin eine Politikerin.“

Statt der Militärs sind Zivilagenten unterwegs

Der Druck und die Erwartungen sind in diesen Tagen besonders groß. Oppositionelle im Exil verbreiten, daß Suu Kyi und die NLD am 21. August eine Protestaktion planen. Bis dahin, lautet die Forderung, solle die Regierung endlich die demokratischen Wahlen von 1990 anerkennen und das Parlament einberufen. Bei der Abstimmung hatte die NLD mehr als 80 Prozent der Sitze gewonnen.

„Wir sollen immer etwas tun“, sagt Aung San Suu Kyi leise, und dann: „Das ist in Ordnung. Wir tun, was wir können.“

Vor dem Abschied blickt sie aus dem Fenster des Hauses, am Eingang wartet eine ganze Truppe von mit Kameras ausgerüsteten Zivilagenten bei ihren Autos und Motorrädern. „Seien Sie vorsichtig“, sagt sie zu den Gesprächspartnern: „Sie werden beobachtet.“

Als ihr weißer Wagen davonfährt, setzt sich der Spitzeltroß ebenfalls in Bewegung. Auch die JournalistInnen werden verfolgt, zum Teil am Flughafen bei der Abreise durchsucht. Dunkelmänner beschlagnahmen Filme, Notizen und Kassetten.

Für den „Staatsrat für Frieden und Entwicklung“, wie sich das Militärregime seit dem Herbst vergangenen Jahres nennt, sind die Herausforderungen Suu Kyis Teil eines Katz-und-Maus-Spiels, auf das er einerseits empfindlich, andererseits aber auch immer geschickter reagiert.

Einheiten von Soldaten mit automatischen Gewehren sind in diesen Tagen in der Hauptstadt fast nirgends zu sehen. Statt dessen ist ein dichtes Netz von Zivilagenten und Informanten gespannt. Als sich die Unzufriedenheit der Bevölkerung vor zehn Jahren in riesigen Demonstrationen entlud, waren es die Studenten, die Proteste organisierten. Die Hochschüler aber sind heute schwach – seit 1988 waren die Universitäten insgesamt fast sieben Jahre lang geschlossen. „Die Junta hat gelernt“, sagt Regierungskritiker Tin Lwin.

In den Vorstädten leben die Opfer der Krise

Die traditionell politisch aktivsten Hochschulen wie das Institute of Technology oder die Universität von Rangun werden derzeit zum Teil in neue Gebäude weit außerhalb der Stadt umgesiedelt.

Es scheint, als hätte die Junta mit ihrer Einschüchterungskampagne Erfolg. „Gehorsam ist der Weg zum Glück“ mahnt der tägliche Leitspruch im Kopf der englischsprachigen Zeitung New Light of Myanmar, die ihre LeserInnen vor allem mit orwellschen Wahrheiten und Fotos der Militärjunta bei der Einweihung von Fabriken, Tempeln oder dem Empfang ausländischer Gäste traktiert.

Unruhen, wenn überhaupt, könnten sich derzeit am ehesten in den Satellitenstädten zusammenbrauen, sagt Tin Lwin. Es sind Ortschaften wie Hlaing Thaya im Westen der Hauptstadt, die seit 1991 in den Reisfeldern und Sümpfen entstanden. Heute wohnen hier rund 150.000 Menschen. Die meisten wurden aus innerstädtischen Armenvierteln zwangsweise umgesiedelt.

Sie erhielten ein Grundstück von rund sieben mal 20 Meter, auf dem sie ein Haus, meist aus geflochtenen Bambuswänden oder Holz, mit Strohdach und Plastikplanen, bauen konnten. Kanalisation, feste Straßen und Elektrizität existieren kaum. „Weil die Leute keine Toiletten haben, benutzen sie häufig Plastiktüten, die sie irgendwo hinwerfen“, sagt ein Sozialarbeiter. Es fehlt außerdem an Schulen und Krankenhäusern, vor allem aber an Jobs.

Denn die Fabriken, die in den letzten zwei Jahren in der benachbarten Industriezone gebaut wurden, suchen nur wenige Arbeitskräfte – wenn sie überhaupt schon den Betrieb aufgenommen haben. Die meisten Bewohner von Hlaing Thaya pendeln deshalb stundenlang in kleinen Sammeltaxis nach Rangun.

Die Bewohner dieser Vorstädte gehören zu den ersten Opfern der wirtschaftlichen Misere, die Birma derzeit zu schaffen macht. Die Preise für Reis und Öl schnellen in die Höhe. Eier kosten nun fast doppelt soviel wie vor einem Jahr. Rund 200 Kyat, nach dem offiziellen Schwarzmarktkurs etwa 90 Pfennig, sind der übliche Tageslohn. Allein die Fahrt nach Rangun und zurück kostet schon 60 Kyat am Tag.

Eine vierköpfige Familie braucht mindestens 250–300 Kyat für ein einfaches Essen. „Die Wut steigt, und diese Leute haben nichts zu verlieren“, sagt Tin Lwin.

Die Junta versucht, die Unzufriedenheit zu kanalisieren. Fast überall im Land sind in den letzten Jahren Filialen der Union Solidarity and Development Association (USDA) aufgebaut worden. Ihr Patron ist Juntachef Than Shwe. Diese Massenorganisation hat nach eigenen Angaben über 10 Millionen Mitglieder. „Alle Regierungsangestellten werden bedrängt einzutreten“, heißt es.

In den letzten Jahren hat sich die USDA vor allem mit großen Demonstrationen gegen Aung San Suu Kyi hervorgetan. Denn nach der Meinung der Generäle sind nicht sie schuld an der Misere, sondern die „Axtschäfte“ fremder Mächte – an der Spitze Aung San Suu Kyi.

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