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„Bier ist Kultur“

■ Im Bier-Contor im Ostertorsteinweg gibt es die besten Biere der Welt. Den Ausdruck „Bölkstoff“ kann Inhaber Sven Clasen (32) nicht hören

Der Schriftzug auf der Tafel vor dem Bier-Contor gibt selbst Kennern des Gerstensaftes Rätsel auf. „Belle-Vue Kriek“ steht dort in gelber Kreide. „Das ist belgisches

Kirschbier – das einzige Bier der Welt, das gesetzlich geschützt ist“, erklärt Inhaber Sven Clasen und lächelt. Den verwunderten Blick potentieller Kunden kennt er ebenso, wie die Frage, die darauf folgt: „Kirschbier?! Schmeckt denn das überhaupt?!“

Seit November des vergangenen Jahres verkauft der 32jährige Bremer Biere aus aller Welt im Ostertorsteinweg. Das „Tsingtao-Bier“ aus China steht bei ihm ebenso im Regal wie „Kingfischer“ aus Indien oder „Steinlager“ aus Neuseeland. Doch auch gängige Durstlöscher, wie Beck's Bier, Mineralwasser, Cola und Säfte hat Clasen im Sortiment. Nur Sekt und Wein sucht man vergebens - obwohl viele der gekorkten Flaschen danach aussehen. Auch der Korken auf der schlanken Flasche mit dem roten Kirschbier läßt eher auf Krimsekt tippen. „Kirschbier wird ohne Hefezusatz in Eichenfässern gegoren. Es gehört zu den Lambic-Bieren, die südlich von Brüssel gebraut werden“, erklärt Clasen. „Der königliche Erlaß, daß diese Biere nirgendwo anders gebraut werden dürfen, stammt aus dem Jahr 1965. Pilsener und Dortmunder dürfen dagegen zum Beispiel überall gebraut werden“, doziert der Bierexperte weiter und schenkt ein. Mmmmmmh. Kirschbier schmeckt fruchtig-herb und ist wirklich lecker. Und teuer ist es auch nicht. 0,375 Liter 4,80 Mark, 0,75 Liter 8,90 Mark, steht auf der Preisliste, die neben der Kasse liegt. Daneben stapelt sich die Fachliteratur.

„Bier ist etwa 6.000 Jahre alt. Seitdem die Menschen angefangen haben, Getreide zu ernten wird Bier gebraut. Daher kommt auch der Name ,flüssiges Brot'. Das Bier, das wir heute kennen, wurde von irischen Mönchen kultiviert.“ Wenn Sven Clasen anfängt, über Bier zu sprechen, ist er nicht zu bremsen. „Bei den Römern war Bier verpönt als das Getränk der Heiden und Verlierer. Für die Germanen war Bier der Trunk der Sieger und Helden.“

Schon als kleiner Junge interessierte sich Clasen für Bier. Der waschechte Bremer wuchs in der Großen Johannesstraße direkt hinter dem Gelände der Beck's Brauerei auf. „Ich bin praktisch mit dem Geruch von Malz in der Nase aufgewachsen“, erzählt er. Sein erstes Bier (Beck's Export) hat der Kapitänssohn „bei Vattern an Bord“ getrunken. „Wie es geschmeckt hat, weiß ich nicht mehr. Aber mein Interesse war auf jeden Fall geweckt.“

Doch erst als der gelernte Drucker im vergangenen Jahr arbeitslos wurde, kam er auf die Idee, das Bier Contor zu eröffnen. Mit 18.000 Mark Starthilfe vom Arbeitssenator richtete er seinen Laden im Ostertorsteinweg ein. „Ich hätte meine Biersorten lieber in einer Kneipe verkauft, aber im Viertel bekommt man ja keine Konzession mehr“, sagt Sven Clasen. Auch eine Schank-Erlaubnis für seine Biere bekommt er nicht. „Das ist typisch deutsch“, schimpft der

Jungunternehmer. „In Spanien stehen die Leute überall in kleinen Läden und trinken den Wein oder das Bier, das sie gerade gekauft haben. Nur hier muß bis zum kleinsten Detail alles geregelt sein – koste es, was es wolle.“

Darunter fällt nach Meinung des Bier-Experten auch das mittlerweile aufgehobene deutsche Reinheits gebot. So war es lange Zeit verboten, das Witt-Bier der Brauerrei Hoegaarden aus Belgien zu exportieren, weil es mit geriebenen Koreander und Orangenschalen gebraut wurde. „Das Reinheitsgebot hat verhindert, daß man in Deutschland experimentieren durfte“, sagt Clasen. Deshalb sind es seiner Meinung nach auch nicht die Deutschen, die die besten Biere brauen, sondern die Belgier. Sein Geheimtip? „Duvel, ein blondes Starkbier, 8,5 Prozent Alkohol, obergährig, weich im Geschmack, nicht aufdringlich, haltbare Schaumkrone“, schwärmt der Experte. In Deutschland habe Bier im Gegensatz zu anderen Ländern ohnehin eher den Touch, ein prolethenhaftes Getränk zu sein. Bölkstoff – ist ein Ausdruck, den Clasen überhaupt nicht leiden kann. „Das klingt als wenn Bier nur dazu da sei, betrunken zu machen. Bier ist dazu da, um es zu genießen. Bier ist Kultur.“

Das BierContor, Ostertorsteinweg 23, 79 49 910, liefert neben Bier auch andere Getränke ins Haus – für 1 Mark Aufpreis pro Kiste. Außerdem: Gläser, Literatur und Geschenkideen rund ums Bier kes

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