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Restaurierte Konfliktphase

Eine lange Phase der Kränkung. Die fetten Jahre der Kultur während der Ära Kohl – und warum sie die neuen Kulturpolitiker um Verleger Naumann als Dürre empfinden  ■ Von Harry Nutt

Die Sache mit der Kultur muß irgendwann in den 80er Jahren schiefgelaufen sein. Maxwell hieß das schicke Restaurant in Berlin- Kreuzberg, in dem H. seinen ersten richtig gut bezahlten Job mit Freunden begossen hatte. Genau jenes Maxwell, in das Kreuzberger Autonome wenig später einen Kübel Jauche kippten, um die Ansiedlung einer alternativen Schickeria, H. und seinesgleichen, zu verhindern. Dabei hatte er bloß einen Zeitvertrag in einer Galerie bekommen. Das junge Kulturarbeiterdasein erstreckte sich auf das Fertigen von Ausstellungskatalogen, Abhalten von Pressekonferenzen und Biergesprächen mit Künstlern.

Die 80er Jahre meinten es doch gut mit der Kultur. Für das erste Ausstellungsprojekt, an dem H. mitarbeitete, gab es zwar nur acht Wochen Vorbereitungszeit, aber 50.000 Mark vom Bezirksamt und weitere Unterstützung durch einen Autohändler, in dessen Räumen das ganze Projekt statthaben konnte. Zuerst war das Geld da, dann kam eine Idee hinzu, und am Ende gab es eine Eröffnung mit Stadtratsrede und anschließenden Rezensionen in der Presse. Ein richtig schöner Erfolg. Kulturarbeit ging im Grunde ganz einfach.

In größerem Stil machten das die akademisch gebildeten Kader während der Vorbereitungen auf die 750-Jahr-Feier Berlins vor, die 1987 so eine Art Parallelaktion im Musilschen Sinne werden sollte. Eine umgekippte Eisenbahn, Veranstaltungen, Kongresse, Theater und zahlreiche Jobs für die freischwebende Intelligenz. Man arbeitete sich ertragreich ab am „Mythos Berlin“. Nie wieder seither war das Säckel für kulturelle Verausgabungen derart prall gefüllt.

Daran muß erinnert werden, wenn der designierte Staatsminister für Kultur, der Verleger Michael Naumann, die Kulturpolitik der Ära Kohl mit der Sahelzone vergleicht, die es nun wieder behutsam zu bewässern gelte. Hatte es all die Jahre über nicht kräftig gesprudelt? Woher bloß die Wahrnehmung einer anhaltenden Dürre? Es muß mit der geistig-moralischen Erneuerung zusammenhängen, die Jürgen Habermas sich verbeten hatte, bald nachdem sie akklamiert war. „Die Öffentlichkeit sollte sich geistig-moralische Führung durch den höheren Dienst verbitten.“

Daß der neuen Unübersichtlichkeit nicht durch pastorale Verordnungen konservativerseits beizukommen war, muß bald auch Kohl gemerkt haben. Rasch verzichtete er auf die Durchführung einer geistig-moralischen Wende. Gut möglich, daß die Ausarbeitung eines solchen Projekts nicht zuletzt wegen der hämischen Beobachtung des symbolischen Ungeschicks (Bitburg etc.) durch das Feuilleton aufgegeben wurde. Kohl schien erkannt zu haben, daß man sich besser gar nicht um die Kultur schert oder nur dann, wenn's um nationale Symbole (wie beim Streit um die Neue Wache) geht. Er gängelte die Gesellschaft der Kreativen nicht, sondern überließ die kulturelle Hegemonie mit all ihrer Deutungsmacht sich selbst. Wo sich ihm deren Wortführer hier und da doch in den Weg setzten, in Mutlangen und anderswo, ließ er sie sanft wegtragen und anschließend ihre Aufsätze über zivilen Ungehorsam schreiben.

Das gehörte bereits zu einer größeren Umorganisation von Geist und Macht, auf die Michael Rutschky in der taz hingewiesen hat. Das politische Lager, dem Kohl vorstand, hatte einfach aufgehört, das Feuilleton, die Kultur, als Gegenwelt der Bundesrepublik anzuerkennen. Die Macht entledigte sich der Anmutungen des sich überlegen wähnenden Geistes wechselseitig durch Nichtachtung und Lobpreisung. Kunst und Kultur waren die Leitmedien der frühen 80er Jahre, nicht zuletzt wegen ihrer Tauglichkeit zu quasi religiösen Praktiken. Das Feuilleton führte Diskussionen über ihre Erhabenheit, unterdessen kaufte die Deutsche Bank meterweise zornige Kunst und schloß sie sorgsam in ihren oberen Etagen weg.

Von der Phase des Kulturkonflikts in den 60er und 70er Jahren, so hat es der Soziologe Gerhard Schulze in seiner 1992 erschienenen Kultursoziologie der Bundesrepublik beschrieben, war man Anfang der 80er Jahre übergegangen zur „Erlebnisgesellschaft“. Das muß die kulturelle Elite besonders schmerzlich empfunden haben, die die Zeit des Kulturkonflikts als Prägephase erlebt hat. Auf der einen Seite gekränkt durch die bräsige Ignoranz Kohls, sahen sie sich auf der anderen Seite mit einer Generation konfrontiert, die die gesellschaftlichen Verhältnisse versuchsweise bejahte und ironisch die niederen Kulturniveaus adaptierte. Das Ästhetikprogramm der 80er Jahre, die Postmoderne mit ihrer Lust am Zitieren, hatte die Verkehrsformen der politischen Gegenöffentlichkeit einfach beiseite geschoben. Eine der vernichtendsten Formeln der 60er Jahre, Affirmation, gehörte nun unbedingt zum Lebensgefühl der Postmoderne. Mit neostrukturalistischen Vokabeln und gebügelten Anzügen kokettierten die jungen Intelligenzler mit der „Agonie des Realen“ und gingen ihren akademischen Lehrern gehörig auf die Nerven. Der Tanz um Lacancan und Derridada war die modisch-hintersinnige Dekonstruktion einer revolutionären Lehrerpose.

Wie tief die narzißtische Kränkung jener Tage noch immer sitzen muß, läßt das Schreckensbild vermuten, das Mathias Greffrath, halb bedauernd, halb verabscheuend, von den jungen Menschen dieser Tage in der Zeit gezeichnet hat. Sie scheinen verloren für die Wiederkehr einer Kulturpolitik, die seit einigen Wochen mit dem Namen Michael Naumann verknüpft wird. „In einem Gemisch von E und U, Aufklärung und Buddhismus, Techno und Klassikradio aufgewachsen“, so beschreibt Greffrath den neuen Zombie der Medienwelt, „müssen sie keine Grenzen zwischen Hoch- und Tiefkultur mehr schleifen wie Naumanns Freunde noch. Sie nehmen keinen Gedanken ernst, der nicht vor dem Urteil ihres Gefühls besteht. (...) In existentialistisches Schwarz gekleidet, sitzen sie in Ostermeiers Baracke neben dem Deutschen Theater und sehen schrille und obszöne Anklagen einer durch und durch kapitalistischen Welt, in der Bachsonaten, Exstacy (sic!) und Fernsehen gleichermaßen nur noch das eine sind: Dope. Sie wursteln sich durch, sie haben keinen Anstellungsvertrag mit dieser Gesellschaft, vielleicht wollen sie ihn auch gar nicht. Sie arrangieren sich, mit Lakonie und Witz, und gleichzeitig sind sie hoffnungslos wie selten eine Generation vor ihnen.“ Smells like Untergang des Abendlands. Verfallstheorien endeten meist noch immer auf Jugendschelte. Aber, aber, Kollege Greffrath, sollte nicht wenigstens das existentialistische Schwarz hoffnungsfroh stimmen?

Es ist ein eigenartiger Gefühlswandel im Schwange, seit Gerhard Schröder sich anschickt, die Wahlen am 27. September zu gewinnen. Das hat mit der Heiß-kalt-Strategie der Schröderschen Mannschaftsaufstellung zu tun. Erstmals seit Helmut Schmidt, fürchten Gewerkschafter und Sozialdemokraten, werde neoliberale Wirtschaftspolitik unter Federführung einer SPD-Regierung an allen Fronten durchgeboxt. Cool runnings im Eiskanal der Ökonomie. Als Korrektiv dazu wird ein herziger linker Kulturkonservativismus wiederbelebt, der bislang kaum Ziele, aber um so mehr Haltung auf seine Fahnen geschrieben hat. Wenn nicht alles täuscht, scheint bei Schröders Team um Michael Naumann, Jürgen Flimm, Oskar Negt und anderen eine Restauration der Phase des Kulturkonflikts obenan zu stehen. Nationales Wollen kommt im Ton kernigen Dagegenhaltens daher. Michael Naumanns trotzige Meinungsfreude zum Holocaust-Mahnmal fällt zwar weit hinter das erreichte Niveau der Debatte zurück, aber sie hat das Tremolo vergangener Tage. Street figthing old men. Schön, daß sich überhaupt wieder jemand für Kultur interessiert, findet auch Wahlkämpfer Klaus Staeck. Viel zu lange hat kein Schwein geguckt.

Man wird den Verdacht nicht los, es formiere sich die künftige Kulturpolitik aus der Verarbeitung einer erlittenen narzißtischen Kränkung, die sich noch lange Zeit am großen Feindbild Kohl abzuarbeiten hat. Es zeugt nicht gerade von weltläufiger Souveränität, wenn Naumann Kanzler Kohl wiederholt eines ästhetischen Provinzialismus bezichtigt. Es könnte nämlich sein, daß das Dürreempfinden aus einem kulturellen Klimawechsel herrührt, den weniger Kohl als die nachwachsenden Generationen herbeigeführt haben.

Dann aber bliebe zu fragen, was aus den abgeklärten Ironikern der frühen 80er geworden ist. Ihr Ästhetikprogramm ist durchgelaufen, und seither probieren sie sich experimentierfreudig zwischen Projekten neuer Selbständigkeit und Formen des alltäglichen Durchwurschtelns. Ein Rücksturz in die Zeit des Kulturkonflikts scheint ausgeschlossen. Das hat auch damit zu tun, daß die Generation der Kulturkonfliktphase sich am Ende als harte Besitzstandswahrer in Universitäten und Medien erwiesen hat. Die Anschlußfähigkeit der Akteure der Erlebnisgesellschaft wird in den nächsten Jahren auf dem Prüfstand stehen. Wenn die heute 40jährigen im kulturellen Feld künftig Bündnisse schließen, dann eher mit den schwarzgekleideten Hoffnungslosen als mit den Akteuren ausgestandener Konflikte.

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