: Die Stunde der Wahrheit?
■ Heute abend sagt US-Präsident Bill Clinton vor Sonderermittler Kenneth Starr aus. Viele Anzeichen deuten darauf hin, daß er ein sexuelles Verhältnis mit Monica Lewinsky zugeben wird. Die Sexaffäre ist jedoch womöglich nur die Coverstory für einen weit gravierenderen Skandal: den um Parteispenden.
Heute um 19 Uhr hiesiger Zeit wird im Kartenzimmer des Weißen Hauses die Videokamera angeknipst, die Bill Clintons Aussagen über sein Verhältnis zu Monica Lewinsky an die Bundesanklagekammer (Grand Jury) des Sonderermittlers Kenneth Starr überträgt. Ein Heer von Abhörspezialisten und Sicherheitsexperten soll dafür sorgen, daß nichts von dieser Live-Schaltung nach außen dringt. Denn die Geschworenen der Grand Jury stehen unter strikter Geheimhaltungspflicht. Der Grund: Die dort auftretenden Zeugen sollen geschützt werden, die Beschuldigten sollen im unklaren gelassen werden, welche Beweismittel im einzelnen gegen sie vorliegen.
Die Bundesanklagekammer soll unter Anleitung von Kenneth Starr untersuchen, ob sich der Präsident des Meineids schuldig machte, als er in der Vergangenheit eine Affäre mit Lewinsky unter Eid abstritt. Grand Jurys werden bei Ermittlungsverfahren in den USA sowohl auf lokaler als auch auf Bundesebene eingesetzt. Die Geschworenen – in diesem Fall 23 Bürger aus Washington – werden aus Führerschein- und aus Wählerverzeichnissen ausgewählt.
Auch wenn die Videobilder vorläufig unter Verschluß gehalten werden – den Charakter eines Schauprozesses hat dieses Verfahren gleichwohl. Der Präsident wird auf intime Details seines möglichen Zusammenseins mit Monica Lewinsky Auskunft geben müssen: wann, wo und an welcher Stelle wer wen berührt hat, ob Kleidungsstücke dabei abgelegt wurden und welche, ob er dabei eine Erektion hatte und ob Samen geflossen ist. Viele Anzeichen sprechen dafür, daß er nun doch gestehen wird, zu der damals 22jährigen Praktikantin im Weißen Haus ein sexuelles Verhältnis gehabt zu haben.
In der vergangenen Woche hatten sich Abgeordnete, Meinungsforscher, Kommentatoren und Berater des Präsidenten in zwei Lager gespalten, in die Konfessionalisten, die zu einem Geständnis rieten, und die Leugner, die an der Unschuldsvermutung festhielten. Es gab an Sophisterei grenzende Spekulationen über Aussagestrategien des Präsidenten, die die Frage aufwarfen, ob es Sexualpraktiken gebe, die nicht unter die Definition des Begriffs „sexuelles Verhältnis“ fallen. Die Richterin im parallel laufenden Paula-Jones- Verfahren, die Clinton am 17. Januar vernommen hatte, verstand den Begriff „sexuelle Beziehungen“ nämlich folgendermaßen: Sie seien erst dann gegeben, wenn eine Person „sich wissentlich einläßt auf den Kontakt oder den Kontakt herbeiführt mit den Genitalien, dem After, der Lendengegend, der Brust, dem inneren Oberschenkel oder den Pobacken einer jedweden Person, mit der Absicht, die sexuelle Begierde einer jedweden Person zu erwecken oder zu befriedigen“. Clinton hatte bei seiner damaligen Vernehmung unter Eid bestritten, sexuelle Beziehungen mit Lewinsky gehabt zu haben.
Nur in Washington sei es denkbar, oralen Sex nicht als sexuelle Beziehung zu betrachten, schimpfte daraufhin David Harris, Professor für Rechtsethik an der Universtität von Toledo (Ohio). „Aber auch in der Vergangenheit haben die Leute dem Präsidenten schon oft verziehen, daß er die Wörter wie ein Wiesel benutzt.“
Am Samstag meldete die New York Times, daß der Präsident nun doch ein Geständnis erwäge. William Saletan vom Online-Magazin „Slate“ wertet die Nachricht als das Signal des Weißen Hauses, die weiße Fahne zu hissen. Durch zweierlei Umstände könnte Clinton dazu bewogen worden sein: Das FBI kann im Cocktailkleid von Monica Lewinsky Samenflecken entdeckt haben. Und nach Meinungsumfragen wünscht sich eine Mehrheit der US-Bevökerung, daß der Präsident mit dem Versteckspiel aufhört und die ganze Angelegenheit durch Flucht nach vorne hinter sich bringt. Clinton ist nach wie vor sehr beliebt, und der Mehrheit der Amerikaner ist sein Privatleben wurscht.
Außerdem haben laut AP nun auch zwei anonym bleibende Berater Clintons signalisiert, daß der Präsident heute eine „unangemessene und unschickliche Beziehung“ zu der früheren Praktikantin zugeben wolle. Details darüber wolle er nicht preisgeben, auch wenn die Geschworenen konkretere Angaben zu dem Verhältnis verlangen könnten. Die beiden Berater schränkten jedoch ein, daß sich diese Strategie unmittelbar vor der Aussage noch ändern könne. Ihnen zufolge hat Bill Clinton seiner Frau Hillary das Verhältnis mit Lewinsky bereits gestanden. Die Atmosphäre zwischen den Clintons sei gespannt. Möglicherweise werde der Präsident in einer Fernsehansprache die „unangemessene Beziehung“ zu Lewinsky zugeben, hieß es weiter, aber keine näheren Angaben machen. Peter Tautfest, Washington; AP
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