Zuviel Mensch, zuwenig Tiger

■ Wiedersehen mit einer Säule der frühen Fernsehjahre: Bernhard Grzimek schuf in gemessenem Kathederduktus einen "Platz für Tiere" (immer freitags, 20.15 Uhr, TM 3)

Auch wenn einschlägig prädisponierte Berufswarnmelder stets und überall nur A- und B-Soziales und Sex-Talk wittern, sind in Wahrheit doch die Naturfilmer die wahren Konjunkturgewinnler der wundersamen Sendervermehrung. Kaum eine Minute, in der nicht auf irgendeinem Kanal ein Kameramann auf Abenteuersuche geht. Filmsafaris in naturbelassene Wildnisse rentieren sich mehrfach, sie bringen Quote und lassen sich obendrein noch gewinnbringend ins Ausland veräußern, gemäß der Faustregel: Je entwickelter die Zivilisation, um so größer die Sehnsucht nach ursprünglichem Leben.

Einer der Väter dieser Gattung ist derzeit wieder auf dem Schirm: Bernhard Grzimek installierte im geruhsamen Fernsehen der frühen Jahre einen „Platz für Tiere“. 1956 war der Frankfurter Veterinär, Zoodirektor und Forschungsreisende erstmals auf Sendung gegangen. Sein Fernsehproduzent hieß Martin Jente, später H.-J. Kulenkampffs spöttelnder Butler in „Einer wird gewinnen“. Von vornherein war die Rettung bedrohter Tierarten Grzimeks vornehmstes Anliegen. Dafür drehte er Kino- und Fernsehfilme, sammelte Millionenbeträge an Spenden und gab sogar seinen Sohn hin – 1959 kollidierte dessen Sportflugzeug über der Serengeti mit einem Gänsegeier und stürzte ab. Seine Grabinschrift lautet: „Er gab alles, was er hatte – sogar sein Leben – für die wilden Tiere Afrikas“.

Grzimeks Bericht über diesen tödlichen Unfall, bebildert durch Ausschnitte aus dem gemeinsamen Kinofilm „Serengeti darf nicht sterben“, für den er einen Oscar bekam, war einer der dramatischen Höhepunkte seiner Sendereihe. Gemeinhin aber übte sich Grzimek in seinem berühmten Kathederduktus. Auch in der von TM 3 ausgestrahlten Staffel, bereits zu Zeiten des Farbfernsehens entstanden, doziert der Weitgereiste gemächlich vor sich hin. Um inhaltliche Zusammenhänge schert er sich wenig, es gibt keine systematische Gliederung, erst recht keine dramaturgischen Überlegungen. Kommentiert wird, was gerade über den Monitor läuft. Da sich scheint's niemand die Mühe gemacht hat, belanglose Erinnerungsbilder herauszuschneiden, muß Grzimek häufig überbrücken, eine peinigende Sache, denn Spontaneität ist seine Sache nicht: „Wir sind wieder im Flugzeug, unterwegs nach Zentralindien. (Schweigen) Ich möchte Ihnen nämlich Tiger im Film zeigen. Das ist ein sehr erheblicher Ehrgeiz.“ Weil sich aber auf dem Bild partout keine Tiger ausmachen lassen, vielmehr die Kamera erst noch eine bedeutungslose Wolkenformation abschwenkt: „Meiner Kenntnis nach ist es noch gar nicht gelungen, Tiger, freie Tiger, zu filmen.“ Und dann: „Sie sehen, man sieht im waldigen Gelände von Zentralindien hier bei Tage mancherlei Tiere. Aber eben keine Tiger.“

Grzimeks Sendungen sind voll unfreiwillig komischer Einlagen. Nicht von ungefähr gehörten stimmliche und gestische Parodien zum Pflichtprogramm zeitgenössischer Humoristen; Loriot widmete dem Tierprofessor einen seiner schönsten Sketche. Jüngere Generationen mögen heute bestaunen, daß eine derartige Sendung ohne sonderliche Nachbearbeitung ausgestrahlt wurde. Grzimek wird im Verlauf der Sendung merklich müde, zunehmend verhaspelt er sich, kommentiert schleppender, schreckt irgendwann hoch, zieht das Tempo kurz wieder an, um im nächsten Moment wieder in seinen leiernden Vortrag zu verfallen.

Eher unangenehm kommt es den Zuschauer heute an, wenn Grzimek über die Dritte Welt referiert – durchweg weit entfernt von dem, was sich seither als Political Correctness festgesetzt hat: „Es gibt jetzt entsetzlich viele Menschen in Indien“, heißt es einmal, Grzimek spricht von einer „Menschenlawine“ oder schlägt vor, Entwicklungsgelder für die Einrichtung von Naturschutzgebieten zu verwenden, da diese mehr Touristen ins vom Hunger geplagte Land lockten als „übervölkerte Metropolen wie Kalkutta“.

Die progressive Fernsehkritik stieß sich schon damals am „Schonraum-Trauma“ des eben zum Bundesbeauftragten für den Naturschutz bestellten Fernsehzoologen: „...eine durch und durch künstliche Harmonie wird als soziales Ideal ausgegeben und seine Übertragbarkeit auf menschliche Gemeinschaften nahegelegt“, analysierte Melchior Schedler 1971 in Fernsehen + Film. Der Satz lädt nachgerade zur Wiederverwendung ein. Denn für manche aktuelle Bildschirmpirsch gilt paßgenau dasselbe. Harald Keller