Notenpresse in Gefechtsbereitschaft

■ Während Rußlands Premier in spe, Tschernomyrdin, noch vorgibt, die radikalen Sanierungsmaßnahmen seines Vorgängers in Angriff nehmen zu wollen, propagiert eine Kommission unter Beteiligung des Premiers, des Parlaments und der Zentralbank die Rückkehr zum Staatskapitalismus

Am Mittwoch flog der in Rußland mittlerweile amtsausübende Premierminister Wiktor Stepanowitsch Tschernomyrdin auf die Krim zu einer Art Gipfeltreffen bankrotter GUS-Führer mit dem Direktor des Inter-nationalen Währungsfonds, Michel Camdessus. Außer Tschernomyrdin nahmen an dem Treffen auch noch die Präsidenten der Ukraine und Weißrußlands, Kutschma und Lukaschenko, teil.

Vor dem Hintergrund der aktuellen russischen Finanzkrise setzte Tschernomyrdin dem IWF offenbar die Pistole auf die Brust und bat um sofortige Auszahlung des Kreditpakets von insgesamt 22 Milliarden US-Dollar, das der IWF unter Beteiligung der Weltbank und Japans in diesem Sommer für Rußland geschnürt hatte. Unter normalen Umständen könnte Rußland im September höchstens auf 3,6 Milliarden aus dieser Summe hoffen. Dazu kämen noch 1,5 Milliarden Dollar, die der japanische Staat Premier Kirijenko versprochen hatte.

Während der geschäftsführende Regierungschef unter südlicher Sonne weilte, kam der normale Bank- und Wechselverkehr in Rußland endgültig vom Regen in die Traufe. Die Zentralbank bot auf der Interbank-Wechselbörse keinerlei Dollar mehr an, woraufhin die Dollar-Auktionen abgeblasen wurden. Der Kurs der Mark kletterte dagegen fast auf die Dollar-Höhe des Vortages, auf unerhörte 7,6 Rubel.

Das gleiche Bild wiederholte sich am Donnerstag. Angesichts der Unsicherheit darüber, was nun eigentlich wieviel wert ist, blieben die meisten Wechselbuden in Moskau ab Mitwoch mittag geschlossen. Nicht alle Banken öffnen noch ihre Tore für Konto- und Kreditkarteninhaber. Zu den Entgegenkommenden gehörte bis Mittwoch nacht zum Beispiel die Most-Bank, die ihren Kunden 1.000 Rubel pro Kopf geradezu nachwarf. Nur wenige wollten sie haben. Die meisten warteten bis zum späten Abend, als den Filialen begrenzte Mengen von Dollar geliefert wurden: schätzungsweise 100.000 Dollar wurden pro Filiale in homöopathischen Dosen an die Kunden verteilt.

Moskauer Unternehmen, die einen Teil ihrer Ware aus dem Ausland beziehen und es gestern schafften, diese auch zu bezahlen, gaben zwischen 13 und 15 Rubel für den Dollar. Dazu gehören die großen Milchkombinate der Stadt, die ihre Tetrapacks und Joghurtbecher in der Regel aus Skandinavien beziehen. Die Milch wurde deshalb Mitte dieser Woche um 5 Prozent teurer, um 15 Prozent stiegen die Preise für alles, was man sonst noch so aus ihr macht.

Der Käse bildet ein besonderes Kapitel. Gemeinsam mit der Wurst stieg sein Preis erneut um 40 Prozent, dort, wo die meisten MoskauerInnen einkaufen, auf den Discount-Märkten unter freiem Himmel. Für alleinstehende RentnerInnen, die sich fast nur noch von Brot und Milchprodukten ernähren, wird das Leben damit fast unbezahlbar. Ganz abgesehen davon werden viele von ihnen in absehbarer Zeit auch ihre Rente nicht mehr bekommen. Die meisten Pensionsfonds und Versicherungen könnten noch vor den schwächeren Banken pleite machen.

Eine Hyperinflation ist nicht mehr zu vermeiden

Die in mehreren Jahren fast eingerostete russische Notenpresse wurde in den letzten Tagen wieder in Gefechtsbereitschaft versetzt. Fast alle politischen Kommentatoren sind sich einig, daß eine erneute Geldemission und damit eine Hyperinflation im Lande nicht mehr vermieden werden kann. Die Geister scheiden sich nur noch an der Frage, wie viele neue Rubel auf den Markt geworfen werden sollen. Gestern legte zum ersten Mal eine Kommission aus Duma, dem Premier in spe und der Zentralbank ihr Programm für die nähere Zukunft auf den Tisch. Das Ergebnis war ernüchternd.

Während Tschernomyrdin bisher noch den Anschein zu erwecken versuchte, einige der von seinem Vorgänger entworfenen radikalen Maßnahmen zur Sanierung der maroden Wirtschaft des Landes in Angriff nehmen zu wollen, propagiert die Kommission die volle Rückkehr zum sowjetischen Staatskapitalismus. Außer in der Geldemission sucht sie ihr Heil in staatlich regulierten Preisen und einer Nationalisierung schwacher Banken sowie „strategisch wichtiger Unternehmen“. Dazu werden hohe Schutzzölle zur Protektion einheimischer Produzenten gefordert. Die letzteren – ebenso wie in- und ausländische Investoren – hat die finanzielle Entwicklung der letzten Tage allerdings fast vom Tisch gewischt.

Mit dem Wortführer der sogenannten Kommunisten, der stärksten in der Duma-Kommission vertretenen Fraktion, Gennadij Sjuganow, setzte sich gestern zum ersten Mal seit Monaten der Pressesekretär des russischen Präsidenten, Sergej Jastrschembski, ins Benehmen. Bei den Verhandlungen geht es um die materielle Versorgung des Präsidenten und seiner Familie im Falle seines Rücktritts.

Das Treffen gibt zahlreichen Vermutungen neue Nahrung, wonach Boris Jelzin angesichts seines schlechten Gesundheitszustandes bereit ist, durch seinen Rücktritt dem wenn auch juristisch aussichtslosen, aber praktisch doch langen und quälenden Absetzungsverfahren auszuweichen, das die meisten Duma-Fraktionen gegenwärtig gegen ihn vorbereiten.

Da Tschernomyrdin im Falle eines Jelzin-Rücktritts offenbar nicht vor aller Welt die gesamte Verantwortung für den russischen Staat auf sich nehmen will, baut er sich klammheimlich eine zweite personelle Verteidigungslinie auf. Nach vertraulichen Informationen hat der Krasnojarsker Gouverneur und Ex-General Alexander Lebed im Vorzimmer Wiktor Stepanowitschs schon „ein Zelt aufgeschlagen“. Für welches der beiden höchsten Staatsämter der brummige Ex-General dort in Reserve liegt, ist noch offen. Barbara Kerneck, Moskau