■ Die Schlachtkondition ist für die Güte des Fleisches entscheidend: Transportstreß bedeutet Verlust an Qualität: Ist der Ochse fit, freut sich der Koch
Im Jahre 1995 sind in der EU 277 Millionen lebende Tiere transportiert worden. In Drittländer außerhalb Europas wurden 105 Millionen Tiere gebracht. Aber auch innerhalb Deutschlands werden die Lkw beladen. Solange sich die Fleischpreise im Norden und Süden der Republik nur um Pfennige unterscheiden, solange unausgelastete Schlachthöfe mit Billigangeboten locken, solange sich Fleischproduktion und -verbrauch in einzelnen Regionen unterscheiden, so lange werden Tiere quer durchs Land gefahren.
Der Streß beginnt beim Verladen. Schweine, Kälber, Bullen, die oft nie etwas anderes gesehen haben als einen dunklen Stall, sollen plötzlich im grellen Tageslicht über eine steile Rampe auf einen ungetümen Lastwagen klettern. Da wird mit Hüten gewedelt, geschrien, geschoben, und wenn der Ochse stur bleibt wie ein Esel, gibt's Stromschläge auf den Hintern.
Auf dem Lastwagen gehorchen die Bullen ihrem Sexualreflex und versuchen gegenseitig aufzuspringen, Kälber finden die Tränken nicht, Kühe leiden nach langer Fahrt am schmerzhaften Milchstau. Dazu kommen Rangkämpfe, Vibrationen, Zugluft, Lärm, Hitze, zu hohe Belegung, Fahrer unter Zeitdruck, scharfe Kurven, Vollbremsungen, Staus und Stop & Go auf der Autobahn – und die Angst und Verwirrung der Tiere.
Wie einen Hochleistungssportler haben Veterinäre des Schwarzenbeker „Beratungsinstituts für schonenden Umgang mit Zucht- und Schlachttieren“ (BSI) transportierte Tiere verdrahtet, haben Körpertemperatur, Herz- und Atemfrequenz überwacht und nach der Schlachtung ph- Wert und Leitfähigkeit des Fleisches gemessen. Ihre Arbeiten enthüllen auf verblüffende Weise den Zusammenhang zwischen Tierbefinden und Fleischgüte. Transportstreß bedeutet fast immer einen meßbaren Verlust an Qualität. Je wohler sich die Tiere fühlen, desto besser schmeckt ihr Fleisch, denn die Schlachtkondition prägt entscheidend die Qualität.
Rinder sind wegen ihres hohen Schwerpunktes, ihres massigen Körpers und den staksigen Beinen den Fliehkräften ausgeliefert. Sie haben ständig Mühe, die Balance zu halten. Fällt ein Tier um, spielt das ganze Abteil Domino. Nur bei optimaler Ladedichte – nicht zu viele, aber auch nicht zu wenige Tiere – können sich die Rinder quer zur Fahrtrichtung aufstellen und die Fahrzeugbewegungen durch Trippelschritte ausgleichen.
Rinder sind Säufer. Jedes Tier braucht 30 bis 60 Liter Flüssigkeit am Tag, es trinkt bis zu 15mal. Dursten schwächt die Tiere und senkt die Fleischqualität. Sind die Tränken vollgeschissen, was im Gedränge leicht passiert, werden sie nicht akzeptiert. Vor langen Transporten müssen Ochs und Kuh wie Athleten behandelt werden. Sie brauchen kleine Rationen leicht verdaulichen Futters. Kanadische Wissenschaftler empfehlen wegen der muskulären Belastung Elektrolytgetränke. Aber welcher Großmäster macht sich solche Mühe? Ausgesonderte Schlachttiere sind schon nicht mehr das eigene Vieh und werden entsprechend lieblos behandelt.
Bei der Fleischbeschau wird die Transportbelastung sichtbar. Die Großbuchstaben DFD – dark, firm, dry (dunkel, fest und trocken) – stehen für mindere Qualität. Werden Tiere aus verschiedenen Herden im gleichen Lkw verladen, geht der DFD-Anteil nach oben. Aber auch kurvenreiche Strecken, hektische Fahrer und das Aufspringen der Bullen erschöpfen die Zuckerreserven der Tiere bei erhöhter Adrenalinausschüttung. Direkte Folge: schlechtes Fleisch. Der ph-Wert springt von idealen 5,5 häufig auf 5,8 bis 6,2. Merke: Ist die Ochsenbrust zäh, muß nicht immer der Koch schuld sein. Manfred Kriener
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