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Arbeit am Glück

Seit frühen Tagen sucht das Fernsehen das Glück zu zeigen. Heute startet die ARD mit ihrer Lotto-Show einen neuen Versuch  ■ Von Harry Nutt

Das große Glück spielt jenseits des Sozialen. Das jedenfalls kann man vermuten, wenn die Vorabendwerbung für die „Fernsehlotterie Goldene 1“ ihr Zielpublikum nur annähernd erreicht. In einsamen Sonnenparadiesen räkelt sich ein nicht mehr ganz junges Prollpaar am Pool und sucht die Langeweile zu betäuben. „Welchen hamwer denn heute?“ – „November?“ Wenn doch ein anderer die Szene betritt, dann ein Geschäftsmann, der mit Tüchtigkeit und Eifer die Vergnügungsgeplagten nervt. Im Reich des Lottokönigs ist jedes irdische Tun verdächtig. Die anderen hält man sich besser vom Leib.

Selbst Lotto-Lothar, der legendäre Jackpot-Knacker von 1994, der sich als erstes einen knallroten Lamborghini zulegte, sieht heute ein, daß die große Party samt Bild- Serie und TV-Interview ein Fehler war. Zu viele Schnorrer wollten zuviel. Inzwischen rät er zu Geheimhaltung. Auch die Lotto-Werbung hat sich seine Verschwiegenheitspolitik zu eigen gemacht: In die Stille einer menschenleeren Straße dringt plötzlich ein schriller Wahnschrei. Vor so was ist niemand gefeit. Irgendwo in Deutschland, heißt es, macht das Lotto jeden Samstag Millionäre, und das hat manchmal auch mit Glück zu tun.

Mit der Stille ist es nun vorbei. Ab heute will die ARD dabeisein, wenn das große Glück per Lottoziehung geschmiedet wird. Zwar wird der Jackpot immer noch im trauten Heim geknackt, aber am Reichtum der nicht abgeholten Gewinne sollen künftig auch die Fernsehzuschauer partizipieren. 30 Millionen Mark soll Ulla Kock am Brink in ihrer Show unter die Leute bringen. Da muß es doch möglich sein, das Antlitz des Glücks zu erhaschen. Zu diesem Zweck wandelt sich das Spieldesign des Lotto vom autistischen Kreuzemachen zur lustigen Mitmachshow. Vorbei die Zeit biederen Ansagerinnencharmes. Nie wieder Karin Tietze-Ludwig. Ulla Kock am Brink will Emotionen sehen. Eben erst die „100.000 Mark Show“ sowie eine Talkshow in den Sand gesetzt, und schon wieder auf der Bühne. Wenn das keine Qualifikation für eine Glücksshow ist.

Das Unterhaltungsfernsehen war seit jeher auf die Sichtbarkeit des Glücks der kleinen Leute erpicht. Das Quiz war in den sechziger Jahren zum Sinnbild gesellschaftlichen Aufstiegsbegehrens geworden. Zum medialen Erfolg für einen Tag gelangte man vor allem mit Expertenwissen. Das, mindestens aber eine ausgeprägte Allgemeinbildung wurde geprüft und im Gewinnfall mit den jeweiligen Statussymbolen belohnt. Auto, Reise und Wohnzimmereinrichtung winkten dem Kandidaten, und die Mitrater am Bildschirm konnten sich anstelle des Preises ihrer Teilhabe am gesellschaftlichen Ganzen vergewissern. „Hätten Sie's gewußt“ hieß die erfolgreichste Quizsendung der frühen Jahre mit Heinz Maegerlein, die erkennbar an den Mitrater am Bildschirm adressierte.

Das Quiz zeigte Leistung, nicht Glück

Das Quiz folgte der Devise: Wer etwas leistet, wird Erfolg haben. Und das wollten in den späten Wirtschaftswunderjahren fast alle. Bürgerliche Bildung stand im Zentrum des Systems sozialer Mobilität, sie wurde im Quiz fernsehgerecht gespiegelt und abgefragt. Der Quizmaster fungierte als zurückhaltender Verwalter des kulturellen Kapitals. Das Quiz war die symbolische Darstellungsform des Zusammenhangs von Wissen und sozialen Aufstiegsprozessen. Wer emsig an seinem Fortkommen arbeitet, kann zwar Zufriedenheit erlangen, das reine Glück wird ihm aber eher nicht zuteil.

In den yuppiefizierten achtziger Jahren wurde die Quiz-Sendung zur Spielshow umgebaut. Am Wissen partizipieren in der egalitären Gesellschaft nun viele. Das machte die Karrierebahnen weniger durchlässig. Abstiegserfahrungen macht inzwischen auch der Nachbar. Wo soziale Gefahr droht, wächst auch die Glückserwartung. In solchen Zeiten ist die Show kein großes Fernseherlebnis. Sie richtet sich als Dauerwerbesendung ein. Das schnelle Gewinnen beim „Glücksrad“, das mittlerweile auf einen Nebenkanal rotiert ist, ist ohne jeden Glanz. Die Kandidaten werden nur noch beim Vornamen genannt, tragen Namensschilder und dürfen ihre Hobbies verraten. Für das ihnen in Form der bunten Warenpalette zufliegende Glück können sie nicht wirklich etwas tun. Es kommt per Kreuzworträtsel-Kombinatorik über sie. Geschick und taktisches Gespür vermögen allenfalls zu helfen.

Das reine Glück konnte man kaum je filmen

In den Kreisen der Gameshow- Produzenten hat sich inzwischen herumgesprochen, daß das Gewinnen eines Preises nur bedingt Emotionen locker macht. Manch einer, der es zu Kandidatenehren gebracht hat, nimmt die Gunst des Zufalls allzu gelassen hin. Der Gewinn eines Autos ändert das Leben nicht wirklich. Das hat die Sender schließlich zu größeren Anstrengungen bewogen. Die große Zahl war es, Millionen mußten her. Das freilich geht nur im Zusammenspiel mit einer staatlichen Lotterie. In der „Goldmillion“, die Wim Thoelkes „Großen Preis“ als Lotterie der Aktion Sorgenkind ablöste, rückte der Mann, Wolfgang Lippert, leibhaftig mit dem Koffer an, um den Normalmenschen in Freizeit und am Arbeitsplatz zu beglücken. Doch der Einbruch einer ungeheuerlichen Realität fiel im Fernsehen seltsam fad aus. Der Augenblick der Überraschung geriet zum inszenatorischen Desaster. Die mit der plötzlichen Veränderung ihrer Lebenslage Konfrontierten reagierten selten emphatisch. Fast immer mußte nachinszeniert werden. Das Glück der anderen erwies sich oft als hartnäckiges Gut und ließ sich nicht ohne weiteres vor die Kamera zerren. Das ist es doch, was Lotto-Lothar und die „Goldene 1“-Werbung ausdrücken: Wer Glück beim Spiel gehabt hat, macht vor laufender Kamera keine Faxen. So geht es denn wohl auch bei der Lotto- Show mit Ulla Kock am Brink letztlich wieder nur um die Arbeit an der Vorstellung vom Glück. Wie schon bei der „100.000 Mark Show“ ist zu erwarten, daß Kandidaten auf dem Weg zum großen Geld kräftig strampeln müssen.

Einen Gewinner aber gibt es schon. Mit der Lotto-Show festigt der Deutsche Lotto- und Toto- Block seine Monopolstellung auf dem Glücksspielmarkt, dessen Volumen insgesamt rund 40 Milliarden Mark beträgt. Heute abend startet mit der ARD-Lotto-Show die erste Dauerwerbesendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Mit Hilfe der ARD versucht da der staatliche Glücksspielanbieter in der ersten Reihe zu bleiben.

Aber der Triumph der Lottoherren ist möglicherweise nur von kurzer Dauer. Längst pochen Glücksspielanbieter aller Art an die Pforten der deutschen Gesetzgebung, derzufolge jegliches Glücksspiel von den Landesregierungen genehmigt werden muß. Erste europäische Urteile lassen im Lauf der nächsten Jahre eine Aufweichung nationaler Glücksspielgesetze erwarten. Mit dieser Globalisierung des Glücks, wenn Sportwetten, Automatenspiele und Internetzocken in den Wettbewerb mit den Spielen des Lottoblocks treten, dann ist es ohnehin vorbei mit jenem „einzigen Glück“, für das der stille Schrei auf der Straße steht. Was in den Zeiten des Glücksmarkts bleiben wird, welcher funktionieren wird wie jeder andere Markt, ist vielleicht eine vage Erinnerung an das Gesicht des einzigen, staatlich geregelten Glücks: an die Zeit, als Karin Tietze-Ludwig noch die ganz seriöse Form dessen vermittelte, was es bedeutet, richtig Glück zu haben.

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