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Diplomat Pascha als starker Mann

In der Türkei ist mit dem bevorstehenden Machtwechsel an der Spitze des Militärs die Hoffnung auf einen etwas größeren Spielraum der Politik verbunden  ■ Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

Ismail Hakki Karadayi ist Soldat mit Leib und Seele. Als türkischer Generalstabschef war er in den letzten vier Jahren aber nicht nur Militär, sondern auch der eigentliche starke Mann des Landes. An diesem Wochenende geht der Kämpfer für den säkularen Staat in den Ruhestand, und sein bisheriger Heereschef Hüseyin Kivrikolu tritt an seine Stelle. Der Wechsel an der Spitze des Militärs ist in keinem anderen Nato-Land so wichtig wie in der Türkei: Ohne die Zustimmung der Generäle geht in Ankara weder außen- noch innenpolitisch etwas. Das wurde erst jüngst wieder angesichts der amerikanischen Militärschläge in Afghanistan und im Sudan deutlich. Während selbst Saudi-Arabien und Jordanien die Angriffe verurteilten, äußerte allein die muslimische Türkei ihre Zustimmung. Denn seit die EU der Türkei die kalte Schulter zeigt, orientieren sich die Militärs ganz in Richtung Israel und USA.

Trotzdem hofft man in Ankara, daß die Politik nach dem Wechsel an der Militärspitze wieder etwas mehr Spielraum bekommt. Kivrikolu ist zwar genau wie Karadayi ein klassisches Produkt der militärischen Schule, die sich als letzte Instanz in der Nachfolge Kemal Atatürks sieht. Aber er wird nicht zufällig „Diplomat Pascha“ genannt. Er bevorzugt es, im Hintergrund zu bleiben, statt sich wie Karadayi auch politisch in Szene zu setzen. Von Kivrikolu sind keine öffentlichen Statements zu erwarten wie jüngst vom scheidenden Generalstabschef. Der hatte behauptet, er könne sich gut vorstellen, daß die Griechen einen begrenzten Krieg provozieren wollten.

Der neue starke Mann der Türkei war lange innerhalb der Nato eingesetzt gewesen — zuletzt als kommandierender General der Nato-Landstreitkräfte in Südosteuropa. Schon deshalb dürfte er eher einen Ausgleich mit dem Nato-Partner Griechenland suchen. Dazu paßt, daß auch die griechische Regierung derzeit im Konflikt um die Stationierung russischer Flugabwehrraketen im griechischen Teil Zyperns eher zurückrudert und für die Folgen einer Stationierung keine Haftung übernehmen will. Das sei allein Sache der griechischen Zyprioten, sagte am Mittwoch Athens Außenminister Theodoros Pangalos.

Auch innenpolitisch ist die Ernennung Kivrikolus ein Entspannungssignal. Die Alternative wäre General Çevik Bir gewesen, Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats und rechte Hand des bisherigen Chefs. Bir gilt als ausgesprochener Hardliner gegen den islamischen Fundamentalismus und hat Ministerpräsident Mesut Yilmaz wiederholt als zu lasch im Kampf gegen die islamische Gefahr kritisiert. Yilmaz, der erst nach einer Intervention des Militärs gegen den islamischen Ministerpräsidenten Erbakan im Frühjahr letzten Jahres ins Amt kam, geriet immer wieder zwischen die Fronten von Militär und seiner Partei. Als Ministerpräsident hat Yilmaz bei der Ernennung des Generalstabschefs formal das letzte Wort. Er hat sich für Kivrikolu stark gemacht in der Hoffnung, daß dieser ihn im kommenden Wahlkampf unterstützt.

Die Vorgaben für die Wahlen im nächsten April machte diese Woche Staatspräsident Demirel. In einem Interview der Hürriyet machte er den Wählern ihre Grenzen klar und warnte vor der Wahl der verbotenen Wohlfahrtspartei, der islamischen Tugendpartei oder Tanșu Çillers Partei des Rechten Weges. Sollte sich eine Mehrheit irrtümlich für diese Parteien entscheiden, würde das „korrigiert“ werden. Solch brutale Offenheit stieß denn selbst in der regierungsnahen Presse auf heftiges Kopfschütteln. „Was wird man wohl im Ausland darüber denken“, fragte sich nicht nur Ilnur Çevik, der Chefredaktuer der Daily News. „Sind wir tatsächlich so eine Bananenrepublik?“

Cevik hat noch einen weiteren Grund, an der politischen Klasse seines Landes zu verzweifeln. Seitdem vor zehn Tagen in Nizza der türkische Mafiaboß Alaatin Çakici verhaftet wurde, vergeht kein Tag, an dem nicht neue Enthüllungen über dessen Verbindungen zu hohen Politikern und dem Geheimdienst durch die Presse gehen. Dabei geht es nicht nur um Erpressung oder Drogenhandel: Çakici stammt aus dem rechtsradikalen Terrornetz der Grauen Wölfe und hat offenbar im Auftrag des Geheimdienstes MIT und mit Wissen mächtiger PolitikerInnen Oppositionelle ermordet.

Wenn auch nur ein Teil der Enthüllungen stimmt, war Çakici eine Schlüsselfigur im schmutzigen Krieg gegen mutmaßliche Sympathisanten der PKK. Bisher war es dem Militär immer gelungen, eine Mitschuld an diesem verdeckten Teil des Krieges abzuweisen und als letzte staatliche Institution mit „weißer Weste“ dazustehen. Das könnte sich mit der Çakici-Affäre ändern. Generalstabschef Kivrikolu wird sowohl mit dem Erbe des Kurdenkriegs als auch in der Auseinandersetzung mit dem politischen Islam vor schwierigen Entscheidungen stehen.

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