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Briten bleibt gequältes Lächeln

Das unschöne Wort „Rezession“ ist in Großbritannien einer der meistgebrauchten Ausdrücke: Die Exporte stagnieren, Arbeitslosigkeit und Inflation steigen  ■ Aus London Ralf Sotscheck

Großbritannien sollte ein Modell für Europa werden, hatte Premierminister Tony Blair zu seinem Amtsantritt vor 16 Monaten versprochen, „der beste Ort“ für Kinder, Rentner und alle dazwischen. Die Handelsbilanz war 1997 zum ersten Mal seit langer Zeit in den schwarzen Zahlen, Finanzminister Gordon Brown, der bis dahin schottisch-presbyterianische Askese gepredigt hatte, machte im Juli 21 Milliarden Pfund für Kapitalinvestitionen, Bildung und Gesundheitswesen locker.

Ganz so großzügig war diese Geste freilich nicht. Der Anteil des Investitionskapitals am Sozialprodukt liegt unter dem Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre, und die inflationsbereinigten fünf Prozent Erhöhung bei Bildung und Gesundheit will Brown anderswo einsparen. Er prophezeit eine ausgeglichene Bilanz für das Haushaltsjahr 2001–2002. Wirtschaftsexperten von Price Waterhouse haben ihm dagegen vorgerechnet, daß das Defizit dann 20 Milliarden Pfund im Jahr betragen könnte. In diesem Jahr wird es bei mindestens sieben Milliarden liegen.

Die Zeiten des Wirtschaftsbooms sind in Britannien vorerst vorbei. Das gefürchtete Wort „Rezession“ ist in der britischen Presse 1.267mal im zweiten Quartal dieses Jahres erwähnt worden, stellte der Economist fest. In diesem Quartal wird es sogar mehr als 2.000mal auftauchen, während es in den vergangenen zwei Jahren nur rund 800 Erwähnungen pro Quartal gab. Das Fachblatt hält das für ein zuverlässigeres Barometer für den Zustand der Wirtschaft als die offiziellen Zahlen, die stets zu spät veröffentlicht werden.

Experten führen die beginnende Wirtschaftsflaute auch auf die wahltaktischen Faktoren zurück, die Britanniens Wirtschaft nach wie vor mitbestimmen. Zwar hat die Labour-Regierung die Bank von England in die Unabhängigkeit entlassen, doch Schatzkanzler Brown vermied es, die Steuern zu erhöhen. So blieb die Kauflust der Verbraucherschaft ungebrochen, das Pfund stieg. Das Ergebnis ist eine ungesunde Schieflage der Wirtschaft: Exporte und Industrieproduktion gingen wegen der starken Währung zurück, Dienstleistungen und Ausgabenfreudigkeit boomten. Die Bank von England hat die Zinsrate daher bereits sechsmal erhöht, was das Pfund weiter nach oben trieb. Da die Inflationsrate bei vier Prozent liegt, wenn man Hypotheken miteinrechnet, während die Zielvorgabe der Bank 2,5 Prozent beträgt, kann man die Zinsrate nicht senken, um die stagnierende Wirtschaft anzukurbeln.

Aufgrund des Produktionsrückgangs haben zahlreiche Firmen entlassen. Im Juni ist die Zahl der Arbeitslosen zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder gestiegen, in den vergangenen sechs Monaten sind 27.000 Jobs gestrichen worden – vorige Woche entließen fünf große Firmen insgesamt 2.500 Arbeiter. Fast die Hälfte der Männer über 55 und der Frauen über 50 sind nicht mehr berufstätig, bei jungen Leuten zwischen 16 und 25 ist die Zahl noch schlechter. Dafür arbeitet ein Viertel der 13- bis 16jährigen zu Hungerlöhnen. „Flexibilität“ heißt das Zauberwort von New Labour, was nichts anderes als unregelmäßige Arbeitszeiten und Wochenendarbeit ohne Absicherung bei niedriger Bezahlung bedeutet. Die niedrigen Löhne und der „deregulierte Arbeitsmarkt“ hatten Großbritannien zum beliebtesten Investitionsziel in der EU gemacht: Knapp ein Drittel aller ausländischen EU-Investitionen geht auf die Insel, das ist mehr als nach Deutschland und Frankreich zusammen. Low-Tech- Unternehmen jedoch wandern inzwischen nach Osteuropa ab.

Die Labour-Regierung hofft noch auf eine weiche Landung nach dem Boom, denn trotz der drohenden Rezession hat Großbritannien weniger Arbeitslose als Deutschland oder Frankreich. Blair hat die von den Tories zurechtgebogene Arbeitslosenstatistik an die Realität angepaßt, fortan werden auch Leute unter 17 und über 55 mitgezählt, sofern sie Arbeit suchen. Dadurch stieg die Zahl der Arbeitslosen auf 1,9 Millionen an – das sind 6,6 Prozent.

Aber der Ruf des Machers, dem alles glückt, was er anpackt, ist Tony Blair abhanden gekommen. Die anvisierte radikale Reform des Sozialstaats ist gescheitert. Seine Minister sollten „das Undenkbare denken“, etwa die Privatisierung der Renten. Bei der Kabinettsumbildung im Juli ist die Spitze des zuständigen Ministeriums ausgetauscht worden, weil weder das Undenkbare noch das Denkbare umgesetzt wurden. Noch ist Blair der beliebteste Nachkriegspremier. Aber der Optimismus, den Labours Wahlsieg ausgelöst hatte, ist verflogen: 69 Prozent der Bevölkerung glauben, daß es mit der Wirtschaft bergab geht. Vor einem Jahr waren genauso viele noch optimistisch. Und in seiner Partei hat Blair mit der Demontage des Sozialstaats viele verprellt. Seit seinem Amtsantritt hat knapp ein Fünftel der 400.000 Genossen das Parteibuch abgegeben.

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