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Vor den Banken ist nichts sicher

Die Schwäche des Bankensektors macht die Wirtschaftskrise für Rußland so bedrohlich. Aber die Zentralbank kann sich nicht entscheiden, was sie tun soll  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

In Moskau ist keine Kopeke mehr sicher, wenn sie über die Banken läuft. Angestellte von ausländischen Firmen müssen sogar fürchten, daß ihre Gehaltszahlungen sie nicht mehr erreichen, auch wenn die Unternehmen das Geld ganz normal anweisen. „Wir haben unseren Sekretärinnen und Dolmetschern das nötigste zum Leben in Rubeln und bar ausgezahlt“, sagte der Leiter einer deutschen Handelsvertretung im privaten Kreis. Ansonsten warte man erst einmal ab.

In den letzten Tagen hat sich der Eindruck verschärft, daß es vielen Banken vor allem darum geht, Gelde beiseite zu schaffen. So ist die überhitzte Steigerung des US- Dollar-Kurses in der vergangenen Woche unter anderem darauf zurückzuführen, daß die Zentralbank den Banken Rubel geliehen hatte, damit die ihre Verpflichtungen gegenüber privaten Kontoinhabern erfüllen konnten – statt das Geld weiterzugeben, gingen die Banken damit an die Börse.

Wer so naiv ist, Bekannten oder Verwandten im Ausland Geld überweisen zu wollen, bekommt dieser Tage von wohlgesonnenen Schalterbeamtinnen den Ratschlag, das lieber bleiben zu lassen: „Das kommt dort doch nie an.“

Die Geschichte der postsowjetischen Banken ist nicht mit der westlicher Finanzhäuser zu vergleichen. In der Sowjetunion gab es praktisch nur zwei Banken, die Bürgern und Organisationen Dienste leisteten: die Sparkasse und die Außenhandelsbank. Die Sparkasse war berühmt und berüchtigt für keifende Angestellte und Schalterfensterchen, die immer herunterklappten, wenn gerade jemand an der Reihe war, der es besonders eilig hatte. Bei der Außenhandelsbank der UdSSR wurde jede Finanzoperation besonders sorgfältig vermerkt und x-fach mit Federhaltern in Kladden eingetragen, wie sie wohl in Hansekontoren üblich gewesen sein müssen. Computer gab es – zumindest in den Bereichen, die den Kunden zugänglich waren – bis Anfang der 90er Jahre nicht. Ein britischer Staatsbürger, der 1990 von Tibet nach Moskau versetzt worden war, bemerkte damals, an seinem alten Dienstort sei es moderner zugegangen als in der sowjetischen Außenhandelsbank.

Als 1992/93 vor allem in Moskau plötzlich überall gigantische Bankenpaläste aus dem Boden schossen, war sofort klar, daß das Kapital dafür nicht im Zusammenwirken von Handwerk, Industrie und Handel akkumuliert worden sein konnte. Zum Teil kam hier wohl jenes Geld wieder ans Tageslicht, das kurz zuvor auf geheimnisvolle Weise verschwunden war: die Reptilienfonds des KGB und das sogenannte Gold der KPdSU.

Auch heute ist der Anteil des Kapitals russischer Banken, der in irgendeine Art von Produktion investiert wurde, relativ gering. Gewinne machten die Geldhäuser in den vergangenen Jahren mit Wertpapierspekulation, vor allem mit den berüchtigten kurzfristigen Staatsanleihen (T-Bills).

Diese Schwäche des Bankensektors macht die gegenwärtige Krise für Millionen von Russen so bedrohlich. Noch immer kann die Zentralbank aus politischen Gründen das Dilemma nicht lösen. Sie steckt im Zwiespalt: Soll sie das Bankensystem weiter mit Krediten stützen? Oder soll sie lieber die Staatsfinanzen retten und dafür eine gewaltige Anzahl von Banken sich selbst und damit der Pleite überlassen?

Die Befürworter der zweiten Möglichkeit schlagen vor, daß die Banken für vierzehn Tage schließen sollen. Dieses Instrument der sogenannten Bankferien geht auf den US-amerikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt zurück, der es seinerzeit erfolgreich angewandt hatte, um die Spreu unter den Banken vom Weizen zu trennen.

Dieser Effekt ist von dem dreimonatigen Moratorium für die Auslandsschulden, das die russische Regierung angesetzt hat, nicht zu erwarten. Nach Einschätzung von Experten verlängert es nur das Leben kleiner und windiger Banken auf Kosten der tatsächlich überlebensfähigen. Denn diese verlieren nun ganz ohne eigene Schuld ausländische Investoren. Laut einer Auswertung der Banque Paribas werden die privaten russischen Geldinstitute am Ende des Jahres 1,3 Milliarden US-Dollar Tilgungszahlungen für Auslandsschulden zu leisten haben.

Zu Beginn der gegenwärtigen Krise, am 11. August, hatten zwei große Banken – die SBS-Agro und die Inkombank – erklärt, sie müßten die Tilgung ihrer Auslandsschulden einstellen. Daraufhin erhielten sie einen Stützungskredit der Zentralbank, den sie aber nicht als solchen anerkannten. Die Nachrichtenagentur Itar-Tass meldete, allein die SBS-Agro habe 100 Millionen US-Dollar erhalten. Das Finanzhaus soll nun offenbar „mit Samthandschuhen verstaatlicht“ werden, wie Zentralbankchef Dubinin sein Verfahren bezeichnet: Er hat erklärt, Banken zu helfen, wenn sie einen Teil ihrer Aktien an den Staat abtreten. Ende der vergangenen Woche unterstellte er die SBS-Agro der „vorübergehenden Verwaltung“ seiner Institution, wobei die geplante Verstaatlichung es der Zentralbank erlaubt, ihr Vermögen zu übernehmen, die Manager zu feuern und sicherzustellen, daß die übriggebliebenen Mittel kleinen Anlegern zugute kommen. Weniger erfolgreich verlief ein Treffen von zwölf Bankenvertretern am 12. August, die einen Pool bilden und diesen mit Hilfe der Zentralbank zu einer Art Festung des russischen Banksystems ausbauen wollten. Die Zentralbank zeigte sich verbal zwar von der Idee begeistert, konkrete Vorschläge zur Zusammenarbeit machte sie aber nicht. Statt dessen haben sich in der vergangenen Woche mehrere kleine Zusammenschlüsse gebildet, beispielsweise eine Allianz der mit dem Gasmonopolisten Gasprom verbundenen Geldinstitute und eine Vereinigung der Banken, die das finanzielle Rückgrat der Stadt Moskau bilden. Die sensationellste neue Holding aber besteht aus den Geldinstituten Menatep, Most- Bank und Unexim-Bank, sie könnte am schnellsten im Ausland wieder Ansehen gewinnen. Wie groß die Not gewesen sein muß, zeigt sich daran, daß auch ihre Gründer diesem Schritt zustimmten. Denn die waren sich bislang spinnefeind: Als es bei der Privatisierung der Telefonholding Swjasinvest im letzten Sommer zu zahlreichen Skandalen kam, erklärte Most-Gründer Vladimir Gusinski, er wolle eigentlich gar nicht mitsteigern. „Ich will nur, daß Potanin [der Gründer der Unexim-Bank – Red.] sie nicht bekommt.“

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