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„Selbsthilfe“ statt Stütze

Wer bisher in Altona aufstockende Sozialhilfe bekam, muß künftig Aushilfsjobs annehmen, um überleben zu können  ■ Von Elke Spanner

Zahlen vermögen die SachbearbeiterInnen des Sozialamtes Altona nicht zu beeindrucken. 90.000 Arbeitslosen in Hamburg zum Trotz sind sie davon überzeugt, daß es in der Hansestadt Jobs gibt wie Sand am Meer. „Ein Hilfesuchender kann innerhalb kürzester Zeit eine Erwerbstätigkeit finden“, belehrt das Altonaer Amt nun brieflich die BezieherInnen sogenannter „aufstockender Sozialhilfe“. Jeder habe folglich die „Möglichkeit der Selbsthilfe“ und sei daher auf staatliche Unterstützung nicht angewiesen. Mit den Schreiben kündigt das Sozialamt an, die Hilfe zum Lebensunterhalt zu streichen.

Betroffen von der Sparwut sind Menschen, die zwar über ein Einkommen wie die Arbeitslosenhilfe oder einen 620-Mark-Job verfügen, damit aber unterhalb des Sozialhilfesatzes liegen. Bis zu diesem Betrag stockt das Sozialamt dann auf. Parallel muß sich aber jeder um eine Beschäftigung bemühen, solange diese „zumutbar“ ist – und hier liegt der Knackpunkt. Für die Altonaer BeamtInnen ist nämlich jede Tätigkeit zumutbar, die „die körperlichen und geistigen Fähigkeiten nicht übersteigt“. Dazu zählen laut Abteilungsleiter Schattauer auch alle Aushilfstätigkeiten, Urlaubsvertretungen und geringfügigen Beschäftigungen: „Auch durch das Austragen von Zeitungen und Werbeprospekten läßt sich Einkommen erzielen.“

Damit fährt der Bezirk Altona eine Linie, die von der bisherigen Praxis in Hamburg abweicht. Noch als Finanzsenator sprach der jetzige SPD-Bürgermeister Ortwin Runde 1996 den wegweisenden Satz, daß „zumutbar“ nur eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit sei, die tariflich entlohnt ist. Zwar will die CDU SozialhilfeempfängerInnen immer wieder für zwei Mark die Stunde zum Parkfegen schicken, die Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS) lehnt das aber ab. „Ziel ist es, Sozialhilfeempfänger auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzubringen“, sagt Sprecherin Petra Bäuerle. Auch zu einer nicht abgesicherten Beschäftigung werden SozialhilfeempfängerInnen zwar verdonnert. Im Vorwege muß sich die SachbearbeiterIn aber zumindest noch die Mühe machen, den Einzelfall zu prüfen – und im nachhinein schriftlich ausführen, wieso die Sozialhilfe gekürzt wird.

Auf diese lästige Pflicht verzichtet der Bezirk Altona nun ganz. Der bloße Umstand, daß jemand erwerbslos ist, wird als Verstoß gegen die Verpflichtung zur Selbsthilfe ausgelegt. Für die GAL-Sozialpolitikerin Andrea Franken ist das ein „ungeheurer Skandal“. Sie reicht heute eine kleine Senatsanfrage zum Thema ein. „Für die GAL gilt die Selbsthilfeverpflichtung nur für Arbeit, die tariflich entlohnt und sozialversicherungspflichtig ist“, betont Franken. Auch die „Sozialpolitische Opposition Hamburg“, ein Zusammenschluß zahlreicher Organisationen, hält das Vorgehen für „absolut rechtswidrig“. Offenbar werde darauf spekuliert, daß die EmpfängerInnen „aufstockender Sozialhilfe“ wenig Widerstand leisteten, da sie zumindest noch über etwas Geld zum Leben verfügen.

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