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Serben: UCK gleich USA

■ Nach dem angeblichen serbischen Massengrab im Kosovo demonstrieren Serbinnen in der Provinzhauptstadt Pristina - gegen die USA. Helmut Kohl telefoniert und macht sich Sorgen

Pristina/Bonn (AP/AFP) – Aus Protest gegen die angebliche Ermordung serbischer Zivilisten haben rund 200 Serbinnen gestern das US-Informationszentrum in der Provinzhauptstadt Priština im Kosovo mit Steinen beworfen. Die aufgebrachten Frauen verlangten, einen amerikanischen Beamten zu sprechen. Als niemand erschien, riefen sie „Mörder!“ und „Faschisten!“. Serbische Regierungsvertreter haben den Vereinigten Staaten wiederholt vorgeworfen, im Kosovo-Konflikt die Albaner zu begünstigen, die 90 Prozent der zwei Millionen Einwohner der serbischen Unruheprovinz stellen.

Hintergrund der Szene in Priština sind Angaben der serbischen Polizei, wonach im Dorf Klečka die Leichen von mindestens 22 Serben – darunter Frauen und Kinder – entdeckt wurden, die von albanischen Rebellen getötet worden sein sollen. Die für die Unabhängigkeit kämpfende Kosovo- Befreiungsarmee (UCK) hat jede Beteiligung an dem Massaker zurückgewiesen. Am Wochenende beschuldigten sich UCK und serbische Truppen gegenseitig der Ermordung von Zivilisten.

Der US-Gesandte David Scheffer, der den Vorwürfen im Kosovo nachgehen wollte, erklärte gestern in der kroatischen Hauptstadt Zagreb, die jugoslawische Regierung habe ihm die Einreise verweigert. Die Tatsache, daß er kein Visum bekomme, zeige „einmal mehr die Unsicherheit dieser Regierung bezüglich ihrer eigenen Glaubwürdigkeit unter internationalem Recht“.

Die Entwicklung im Kosovo gibt nach den Worten von Bundeskanzler Helmut Kohl „Anlaß zu allergrößter Sorge“. Nach Telefongesprächen mit US-Präsident Bill Clinton, dem britischen Regierungschef Tony Blair und Rußlands Präsidenten Boris Jelzin nannte Kohl am Montag vor Journalisten in Bonn die mangelnde Gesprächsbereitschaft der Konfliktparteien einen Skandal. Er bekräftigte die Notwendigkeit erhöhten Drucks insbesondere auf die jugoslawische Führung, um ein unverzügliches Schweigen der Waffen und die Aufnahme von Verhandlungen über eine breite Selbstverwaltung des Kosovo zu erreichen.

Der Kanzler wies darauf hin, daß für den Fall eines frühen Winters eine humanitäre Katastrophe im Kosovo drohe. Nach Schätzungen hielten sich mehr als 100.000 Flüchtlinge in unwegsamem Gelände und in Wäldern versteckt. Dort könnten sie den Winter über nicht bleiben. Dies sei eine humanitäre Herausforderung für die ganze Welt. Doch solle sich niemand in der Europäischen Union darauf verlassen, „daß die Deutschen sich wieder darum kümmern“ wie bei der Aufnahme der bosnischen Bürgerkriegsflüchtlinge, sagte Kohl. Er verwies darauf, daß Deutschland über 300.000 der Bosnien-Flüchtlinge aufgenommen habe, mehr als alle anderen europäischen Länder zusammen. In der Kosovo-Krise erwarte er, „daß die europäische Gemeinschaft als Ganzes etwas tut“. Es sei unmöglich, „auf dem Territorium Deutschlands alle Probleme zu lösen“.

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