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Akte 964-T: Schuldig

■ Fünfzig Jahre nach Einführung des Straftatbestands des Völkermords im Jahre 1948 hat gestern zum ersten Mal ein UN-Tribunal ein entsprechendes Urteil gefällt. Jean-Paul Akayesu, ehemaliger Bürgermeister im ruandischen Taba, wurde für schuldig befunden, die Ermordung von 2.000 Männern, Frauen und Kindern befohlen zu haben. Ein Urteil mit Präzedenzwirkung?

„Wir sind heute hier“, sagte der Gerichtspräsident des Internationalen Völkermordtribunals für Ruanda, Laity Kama, mit einer Stimme, die Grabesruhe verrät, „um das Urteil im Fall mit der Aktennummer 964-T zu sprechen.“ Hinter dieser nüchternen Einleitung eines Gerichtsverfahrens verbirgt sich ein historisches Ereignis. Gestern vormittag wurde im tansanischen Arusha das erste Urteil eines internationalen Gerichtshofes wegen Völkermordes gesprochen.

Jean-Paul Akayesu, der ehemalige Bürgermeister des ruandischen Taba, einer Gemeinde westlich der Hauptstadt Kigali, wurde in neun von 15 Anklagepunkten schuldig gesprochen. Der kleine Gerichtssaal war während der Urteilsverkündung voll besetzt. Weder die drei in schwarze Roben gekleideten Richter noch die von den Richtern durch eine Glaswand getrennten etwa 20 anwesenden Experten und Beobachter, noch Akayesu selbst zeigten während der Sitzung eine Regung. Bei der Verkündung seines Schuldspruches lächelte Akayesu sogar, als sei er erleichtert.

Das Gericht folgte der Beweisführung der Anklage in allen wesentlichen Punkten, was die neun Anklagen wegen Völkermordes anging. Der Freispruch in den fünf Anklagen zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit erklärt sich daraus, daß diese Anklagen sich anders als die Völkermord-Anklagen auf die Genfer Konvention von 1949 über die Behandlung von Zivilisten und Soldaten im Kriegsfall beziehen. Diese Konvention, so das Gericht, könne nicht auf Akayesu angewendet werden, weil er nicht über militärische Funktionen verfügte.

Daß das Tribunal nun, fast vier Jahre nach seiner Einsetzung, sein erstes Urteil, als ersten Angeklagten Jean-Paul Akayesu verurteilt hat, hat nichts mit dessen Bedeutung zu tun, sondern liegt schlicht daran, daß Akayesu als einer der ersten nach Arusha ausgeliefert wurde. Der 45jährige ist kein Haupttäter des Völkermordes. Er war 1991 einer der Mitbegründer der Hutu-Oppositionspartei MDR, als es noch Mut erforderte, sich außerhalb der damals in Ruanda herrschenden Einheitspartei MRND politisch zu engagieren. In seiner Heimatregion Taba arbeitete er als Lehrer und später als Schulinspektor. 1993 wurde er dort zum Bürgermeister gewählt, was einem deutschen Landrat entspricht.

Die Massaker in der Präfektur Gitarama, wo Taba liegt, fingen im Unterschied zu anderen Regionen erst knapp zwei Wochen nach dem Beginn des Völkermordes am 6. April 1994 an. Erst nach einer Versammlung am 18. April in Gitamara, zu der extra Ruandas Ministerpräsident und die Familienministerin anreisten, um die Menschen zum Haß aufzustacheln, begann dort das große Morden. Zuvor hatten sich viele Tutsi aus anderen Landesteilen in die Präfektur Gitarama gerettet.

In Taba wurden etwa 2.000 Tutsi ermordet. Über die Rolle Akayesus gehen die Aussagen der Zeugen, die Anklage und Verteidigung vorgeladen hatten, stark auseinander. Die einen zeichneten das Bild eines Menschen, der Befehle gegeben und sich aktiv an den Massakern beteiligt hat. Die anderen betonen, daß Akayesu seinen Posten nicht verließ, um Schlimmeres zu verhindern. Die örtlichen Hutu-Milizen, denen die Hauptinitiative bei den Massakern zugekommen sei, hätten ihn nur deshalb nicht ausgeschaltet, weil die Bevölkerung hinter ihm stand. Die Anklage hatte ihre Beweisführung zum großen Teil auf ihre Zeugenaussagen gestützt.

Die Richter räumten ein, daß die Zeugenaussagen in dreierlei Hinsicht problematisch gewesen seien. Sie seien oft dadurch beeinflußt gewesen, daß die Zeugen selbst Opfer von Verbrechen waren. Es gehöre außerdem zur soziokulturellen Tradition in Ruanda, das, was man nur gehört habe, als selbst erlebt auszugeben. Zudem mußten die Aussagen übersetzt werden. Inwieweit diese Probleme Einfluß auf ihre Bewertung der Zeugen hatten, erklärte das Gericht jedoch nicht.

Der Vertreter der Anklage, Pierre Prosper, zeigte sich über das Urteil „zutiefst zufrieden“ und sah sich in seiner Interpretation bestätigt, daß Akayesu die Menschen von Taba betrogen habe. Ein etwas fader Nachgeschmack bleibt aber. Anfang Februar hatte der bekannte ruandische Menschenrechtler Joseph Matata im Prozeß für Akayesu ausgesagt. Er hatte im Oktober 1994 in Taba eine Untersuchung durchgeführt und berichtete später dem Gericht, daß „ob die Zeugen Hutu oder Tutsi waren, alle waren sich einig: Akayesu hat, bis er entmachtet wurde, alles versucht. Daß er geblieben ist, hat viele Menschen gerettet.“ Er erklärte diesen Unterschied mit der Arbeit von „Denunzierungsringen“, die nach der Gründung von Verbänden der Völkermordüberlebenden entstanden seien. Auf diesen schwerwiegenden Vorwurf ging das Gericht in seiner Urteilsbegründung mit keinem Wort ein. Peter Böhm, Arusha

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