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Und er flieget nimmermehr?

Gesucht: Ein neuer Bundesadler. Weil die „Fette Henne“ den Umzug nach Berlin nicht überstehen würde, suchte der Bundestag gestern nach einem Ersatz. Nicht zum ersten Mal  ■ Von Patrik Schwarz

Berlin (taz) – Es ist ja nicht so, daß es an Emblemen mangelte, die eine künftige Berliner Republik würdig schmücken könnten. Statt des Bundesadlers, so schlug ein Leserbriefschreiber kürzlich in der taz vor, sei auch das Känguruh ein geeignetes Wappentier: „Das Viech macht es wie die Regierenden: mit leerem Beutel große Sprünge.“ Nein, nur Kaninchen symbolisierten Deutschland nach der Vereinigung, meinte eine Künstlerin: Schließlich hätten Karnickel aus Ost und West schon zu Mauerzeiten den Grenzstreifen unterwandert, und das ganz friedlich.

Doch als gestern am späten Nachmittag Parlamentspräsidentin Rita Süssmuth die Mitglieder der Baukommission des Bundestages in Bonn zu einer, wie sie hoffte, „abschließenden“ Sitzung begrüßte, war zumindest eines unumstritten: Auch im Berliner Reichstag soll wieder ein Adler hängen. Die zoologische Einengung ersparte den Abgeordneten allerdings nicht einen Streit, der fast genauso alt ist wie der Beschluß zum Regierungsumzug vor sieben Jahren: Was für ein Adler soll's sein?

Reichstagsarchitekt Sir Norman Foster hatte sich durch etwa 180 Versionen des Wappentiers gearbeitet und dabei festgestellt, „wie viele Adler aus früheren Zeiten eher wie Krähen, Tauben, Truthähne oder Hennen aussahen“. Schnell einigten sich die Politiker am Rhein, so Baukommissions- Chef Dietmar Kansy (CDU), auf einen Adler, „der unserer Bonner ,Fetten Henne‘ möglichst stark ähnelt“. Doch damit begannen die Probleme erst. „Wir wollten die Erinnerung an Bonn mitnehmen nach Berlin“, erinnerte sich gestern der SPD-Abgeordnete Peter Conradi, „jetzt zeigt sich, daß das ein Fehler war, weil die Gies-Erben nicht zustimmen.“ Der Bildhauer Ludwig Gies hatte Anfang der 50er Jahre der jungen Republik jene „Fette Henne“ beschert, die, wiewohl selber stumm, schon bald zum beredten Symbol für die wohlleibigen Deutschen der Wirtschaftswunderära avancierte. Die Erben des Künstlers stehen nun im Mittelpunkt der aktuellen Auseinandersetzung, weil sie fürchten, das neue Exemplar im Reichstag könnte eine Verhunzung des Originals darstellen. Zum Umzug taugte die „Fette Henne“ nämlich nicht: Sie ist eine Gipsfigur und läßt sich aus technischen Gründen im neuen Plenarsaal nicht an der erforderlichen Stelle anbringen. Peter Conradi: „Die zerbröselt ja.“ Dem Kompromißhuhn, gestaltet von Architekt Foster in enger Anlehnung an Gies' Design, droht nun womöglich ein Gerichtsverfahren. Unter Hinweis auf das Urheberrecht wollen die Gies-Erben Originaltreue bis in die Federspitzen durchsetzen: Wo sich bei Gies das Gefieder plastisch wölbt, hat Foster Löcher vorgesehen. „Wenn es die Abgeordneten auf einen Prozeß ankommen lassen, verlieren sie den“, sagt Gerhard Pfennig, der als Geschäftsführer der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst die Interessen der Erben vertritt. Seit Jahren gepiesackt mit Änderungswünschen an seinen Reichstagsplänen, blieb Sir Norman beim Adler bisher hart: weitere Änderungen an der Kompromißhenne lehnte er ab.

Ob es Rita Süssmuth bei einem Krisengipfel mit dem Stararchitekten und den Gies-Erben während der Sommerpause gelungen ist, den Briten umzustimmen, wußten auch die Mitglieder der Baukommission vor der Sitzung nicht zu sagen. „Der Bundestagsadler wird flügge!“ meinte Süssmuths Sprecher optimistisch und versprach ein baldiges Ende des Adlertheaters. SPD-Obmann Conradi gab sich düsterer: „Es gibt nie eine letzte Sitzung.“

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