Rußlands große Politik machen die Finanzoligarchen

■ Der jüngste Regierungswechsel ist ein Werk des Großkapitals. Dabei hatte vor allem Boris Beresowski seine Hand im Spiel. Jetzt sucht der Finanzmagnat wieder profitable Koalitionen

Moskau (taz) – „Einfluß von Großunternehmen auf die Politik ist notwendig und positiv“, lautet Boris Beresowskis Credo. Die Logik des bestgehaßten Großkapitalisten Rußlands ist einfach: „Staat wie Großunternehmen hegen ein gemeinsames Interesse an politischer Stabilität.“ Um genau die ist es jetzt geschehen. Der monatelangen Finanzkrise des Kreml folgte eine Staatskrise. Mitverantwortung dafür trägt Boris Beresowski.

Inzwischen bestehen kaum noch Zweifel daran, daß der machthungrige Finanzmagnat die Absetzung des jungen Premierministers Sergej Kirijenko betrieben hat. Von seiner Villa an der Côte d'Azur aus bereitete Beresowski seit Juli eine Kampagne seines Senders ORT und der Zeitung Nesawissimaja Gaseta gegen Kirijenko vor. Dessen Bestreben, Rußland in Ordnung zu bringen, beunruhigte den Eigentümer eines Finanzkonglomerats, dessen Wert das US-Magazin Forbes 1996 auf rund drei Milliarden Dollar schätzte.

Kirijenko als Premier hatte angekündigt, ausstehende Steuern einzutreiben, unprofitable Unternehmen pleite gehen zu lassen und illiquide Banken nicht mehr zu subventionieren. Rußlands Großkapital mußte reagieren. Die Abwertung des Rubels gab das Signal. Die Regierung hatte sich nicht an ihr Versprechen gehalten, die Währung auf keinen Fall abzuwerten. Ein günstiger Moment, um zuzuschlagen. So wird in Rußland Politik betrieben. Die Verflechtung von Politik und Kapital ist an die Stelle der Verquickung von Partei und Staat getreten.

Boris Beresowski, zur Zeit Sekretär der GUS, verkörpert diese Personalunion in bestechender Reinheit. Die Intervention des selbsternannten Wortführers der sogenannten Oligarchen erfolgte über einen bewährten Weg – die engste Umgebung Boris Jelzins. Zur Präsidententochter Tatjana Djatschenko unterhält der Finanzmagnat enge Kontakte. Zudem wirkt er als Vermögensberater und Verwalter der jungen Jelzins.

Jelzins Verwaltungschef Valentin Jumaschew und Pressesprecher Sergei Jastrschemski zählen ebenfalls zu intimen Vertrauten. Die Troika war es, die dem Präsidenten ins Ohr flüsterte, die Regierung Kirijenko durch Wiktor Tschernomyrdin zu ersetzen. Diesmal setzte der ermattete Zar dem Drängen Beresowskis nichts entgegen.

Der Einfluß der sogenannten Oligarchen, der sieben reichsten Großmogule Rußlands, geht auf den Präsidentschaftswahlkampf 1996 zurück. Damals finanzierte das Zweckbündnis Jelzins Wahlkampf gegen den Kommunisten Gennadi Sjuganow. Die Koordination übernahm der Vorzeigereformer Anatoli Tschubais. Für ihren finanziellen Einsatz verlangten sie eine Gegenleistung: lukrativen Staatsbesitz zu Schleuderpreisen.

Bereits seit dem Frühjahr 1995 lief der Kuhhandel mit der Regierung unter Federführung Premierminister Tschernomyrdins schon prächtig. Die Banker Smolenski, Potanin und Chodorowski unterbreiteten Tschernomyrdin ein Angebot: Kredite gegen Aktien. 1,8 Milliarden Dollar zahlten sie in die Staatskasse. Dafür erhielt Potanin das Ölkonsortium „Sidanko“, Chodorowski ergatterte das Unternehmen „Jukos“, Beresowski und Smolenski den Ölkonzern „Sibneft“. Daneben brachte der Handel mit kurzfristigen Staatsanleihen den Chefs der Holdings im Verbund mit Banken und Medien sagenhaften Reichtum ein.

Das harmonische Zusammenspiel zwischen den Oligarchen und den liberalen Reformern Anatoli Tschubais und Boris Nemzow hielt nicht lange vor. Die Finanzriesen gerieten über den letzten Filetstücken aus dem Staatseigentum in Streit. Im vergangenen Jahr spitzte sich die Lage zu. Tschubais und Nemzow kündigten den Oligarchen die Vorzugsrechte auf. Zur Eskalation kam es aber erst im März 1998. Überraschend schickte Jelzin das Kabinett Tschernomyrdin aufs Altenteil. Beresowski soll auch dabei seine Finger im Spiel gehabt haben. Nur erreichte er nicht sein Ziel – einen neuen Premier nach seinem Gusto.

Als der Reformer Nemzow letzte Woche aus dem Amt schied, warf er den Oligarchen vor, sie seien es, die die Entwicklung eines freien Marktes blockieren wollten. Sie klammerten sich an eine monopolistische Wirtschaftsstruktur und träfen „regelwidrige Absprachen“. Angst treibt die Oligarchen um, dem Druck eines freien Wettbewerbs nicht gewachsen zu sein.

Gerade Beresowski tat sich jedesmal als patriotischer Wortführer hervor, wenn es darum ging, ausländisches Kapital vom russischen Markt fernzuhalten. In der Tat: Finanzmagnaten und kommunistische Opposition verstehen sich glänzend. Nicht zufällig traf sich Beresowski nach der Entlassung Kirijenkos mit Gennadi Sjuganow, um den KP-Chef auf Tschernomyrdin einzustimmen. In ihrer Ablehnung der sogenannten Reformer und Jelzins sind sich beide Lager nunmehr einig. Auf die Finanzmagnaten und die linke Opposition soll sich Tschernomyrdin stützen. Der neue Premier, Sproß des Energiegiganten Gasprom, garantiert, daß den Monopolen nicht zuleibe gerückt wird.

Die byzantinischen Intrigen – über Nacht wechselnde Koalitionen – treiben seltsame Blüten. In den letzten Tagen versucht Beresowski, Jelzin und Tschernomyrdin davon zu überzeugen, den Reformer Boris Fjodorow mit Rußlands Wirtschaftspolitik zu betrauen. In der Regierung Kirijenko befaßte sich Fjodorow mit dem Eintreiben der Steuern, was Boris Beresowski überhaupt nicht behagte. Könnte es sein, daß die Magnaten etwas begriffen haben und nun nach einem Retter Ausschau halten? Klaus-Helge Donath