piwik no script img

Das Design des Todes

Dienstleister holten meine Leiche ... Die Ausstellung eines Berliner Beerdigungsunternehmens zeigt den „Sarg im 21. Jahrhundert als Kunstobjekt und Möbelstück“. Auch die Internet-Bestattung ist bereits möglich  ■ Von Jörg Magenau

Das Leben ist hart genug. Doch auch der Tod ist ein schweres Geschäft. Die Bestattungsbranche steht zwar seit Jahrhunderten im Ruf, krisensicher und reklamationsfrei zu funktionieren. Doch im Zeitalter des Hochkapitalismus ist auch der naturgemäß kaum expansionsfähige Sterbemarkt hart umkämpft. Die Kundschaft wird anspruchsvoller und preisbewußter. Sarg-Discounter fordern die Traditionsunternehmen heraus und drücken die Preise. Wo Würde teuer war, ist Ware billig.

Zugleich verstärkt sich der Trend zur anonymen Bestattung. Ihr Anteil liegt derzeit bei etwa zehn Prozent bundesweit, im Norden und Osten und in Großstädten aber schon bei bis zu 50 Prozent. Anonyme Bestattungen sind billig, ersparen die Grabpflege und entsprechen darüber hinaus häufig dem Lebensgefühl des atomisierten Stadtmenschen, der im Tod von seiner Person nicht mehr Gewese machen will als im unbedeutenden Leben.

Die Bestattungsunternehmen beklagen diesen Trend, in dem sie einen schmerzlichen „Kulturverfall“ erkennen, Indiz einer Entsorgungsmentalität, die den Tod nur noch als Ordnungsproblem begreift und die Konfrontation mit der Sterblichkeit scheut. Sie haben sich statt dessen der Ausdifferenzierung der Bedürfnisstruktur einer Wohlstandsgesellschaft verschrieben, die auch in Sterbeangelegenheiten nach geschmacklicher Vielfalt, individuellen Produkten und originären Beerdigungs- Events verlangt. Das Angebot der Bestatter reicht vom postgelben Sarg mit Hornmotiv für den verblichenen Briefträger bis zur Bestattung im Taucheranzug für den Meeresbiologen, von peloponnesischen Klagegesängen am Grab des mythologisch Bewanderten über den unbehandelten Öko-Sarg für den Naturfreund bis zur Weltraumbestattung für den technoiden Metaphysiker. Für 13.000 Mark Zusatzkosten ist der finale Weltraumschuß zu haben. Im April 1997 startete zuletzt von Spanien aus eine Rakete mit 18 beigepackten Urnen, die im All für eine überschaubare Ewigkeit ausgesetzt wurden, dreimal die Erde umrundeten und schließlich beim Eintritt in die Erdatmosphäre formschön verglühten.

„Modernisierung“ und „kultureller Wandel“, das ist klar, machen auch vor dem Tod nicht halt. Wer Bestatter bleiben will, dem bleibt nur die Binnendifferenzierung der Nachfrage. „Früher hat es gereicht, einen Sarg zu zimmern und ein Loch zu graben“, sagt Dr. Eberhard Schöbitz, Vorstand der zum Marktführer hinauffusionierten „Ahorn-Grieneisen“-Gruppe, „das ist vorbei.“ Mit der Fusion Anfang 98 hat das Unternehmen auch seine Erkennungsfarbe vom tristen Schwarz ins hoffnungsfrohe Dunkelgrün verfreundlicht: Ausdruck des Wandels vom bloßen Sarg-Handel zum „modernen Dienstleistungsunternehmen“, das auch psychologische Betreuung, Rentenberatung und Essen auf Rädern für Hinterbliebene anbietet. „Ein moderner Bestatter“, so Schöbitz, „muß Problemlöser sein für Fragen, die weit über den Trauerfall hinausgehen.“

Die Aufgabe der Marketing- Strategen besteht darin, den Tod „weniger bedrückend und endgültig darzustellen“, so Pressesprecher Rolf Dieter Lange. Tod light, sozusagen, mit flotterem, entzopftem Image. „Das Tabu um Tod und Sterben muß gelöst“ werden, heißt es bei Ahorn-Grieneisen. Denn wie soll man Bestattungen bewerben, wenn es als pietätlos empfunden wird, über den Tod öffentlich zu sprechen? Acht Prozent der Gesamtkosten gibt Ahorn- Grieneisen bereits für Werbung aus, auch TV-Spots sind geplant. Das klingt dann etwa so: „Neues Design, neue Farben sowie das aktive Einbeziehen auch des Sarges in das eigene Leben sind Erscheinungsformen, die den mündigen, kritischen, aufgeklärten und zum Teil tabulosen Bürger des kommenden Jahrhunderts kennzeichnen.“

Was das bedeutet, kann man derzeit in einer Ausstellung mit dem schönen Titel „Der Sarg im 21. Jahrhundert – Kunstobjekt und Möbelstück“ in der Berliner Grieneisen-Zentrale in Schöneberg (Belziger Straße 35) bewundern. Studenten der Kunsthochschule Stuttgart haben sich mit dem Thema „Sarg“ auseinandergesetzt und einige höchst avantgardistische Exponate entworfen, die man bestimmt bald auch in der Ahorn-Grieneisen- Produktpalette erstehen kann. Sie sind schön bunt und rund, säulenförmig oder schmuckschatullenhaft. Der Sarg wird hier als Laubsägeobjekt erarbeitet oder als Bildfläche entdeckt. Recht traditionell wirkt das Modell „Memento mori“, das auf schwarzem Grund ein seifenblasendes Gerippe zeigt. Konventionell auch der lindgrüne Kasten mit Herbstlaubmotiv, vergleicht man ihn mit dem türkisblauen Exponat mit „Wassertropfenkrone“ oder dem schwarz-roten, aerodynamischen Easy-Rider- Sarg für den sich treu bleibenden Altrocker.

Viele Erdmöbel sind so konzipiert, daß sie vor dem eigenen Tod als geräumige Truhen oder Schränke zu nutzen sind. Damit wird dem Kundenwunsch nach Gebrauchswertvervielfältigung Rechnung getragen. Wenn man schon zwischen 700 Mark (für einen schlichten, abgasarmen Kremierungssarg nach TÜV-Vorschrift) und etwa 3.000 Mark (für einen gediegenen Standard-Eiche- Rustikal-Sarg) ausgibt, möchte man auch im Leben etwas davon haben. Ein ikeaartiges Modell ist deshalb zunächst als schlichtes Weinregal zu nutzen: Trinken im Angesicht der eigenen Sterblichkeit. Ein anderes, dunkelblau gehalten und mit goldenen Tränen verziert, ist als zweitüriger Schrank gestaltet, der im Bedarfsfall dann aufrecht betreten werden kann.

Ziemlich durchgeknallt wirkt daneben „Agamemnon“ mit Schmuck-Blutspritzern und integriertem Beil, damit der dahingemordete Ehegatte die Möglichkeit hat, rächend zur Waffe zu greifen. Wenig praktikabel scheint das Modell „Türeingang“, das mit reichlich Glas als Material arbeitet und am Sarg-Boden zwei Neonröhren vorsieht, symbolisch für das Licht am Ende des Tunnels. Bequemes Liegen ist hier nicht mehr möglich, ebensowenig wie im Objekt „Der Blick ins erträgliche Paradies“, einer auf dem Sarg-Boden modellierten blühenden Landschaft. Liegeplatztechnisch wäre die Truhe mit dem im Deckel eingestreuselten, grünen Lebensfluß entschieden zu bevorzugen.

Lebensfluß, Herbstlaub, Licht und Gerippe: Die ausgestellten „Exponate auf dem Weg zur Bestattungskultur der Zukunft“ wirken – trotz aller formalen Originalitätssuche – in ihrer Symbolik eher schlicht und traditionsverhaftet. Angesichts des Todes, so scheint es, antwortet der Mensch reflexhaft mit ritualisierten, recht kindlichen Mustern. Zugleich ist jedoch das Bemühen zu erkennen, dem Tod zu entkommen, indem man ihn der herrschenden Individualitätsideologie zu unterwerfen sucht. Er soll nicht länger metaphysisches Schicksal sein und ein Ereignis, das eine Person auslöscht, sondern Anlaß für eine letzte, ewige Inszenierung der eigenen Individualität: ein Mega-Meta-Event.

Es war vor allem der Aids-Tod, der diesen Wandel der Sterbekultur bewirkte. Mit der Präsenz des Todes in jüngeren, unangepaßten Bevölkerungsschichten wurde das Ereignis Beerdigung aus dem Griff der düsteren Tradition befreit. Bei Aids-Bestattungen ist die Nachfrage nach individuellen Sarg-Unikaten am größten, und auch der Hang zu eigenwilligen Beerdigungsinszenierungen, die das christliche Ritual durch ein selbstgeschriebenes Theaterstück ersetzen, ist besonders stark ausgeprägt. Selbst die uralte Sitte der Grabbeigaben lebt wieder auf: Lieblingsgegenstände des Toten werden auf den Grabstätten in naiver Religiosität oder sentimentaler Erinnerung niedergelegt, in der rührenden Hoffnung, die „Person“ über den Tod hinaus verteidigen zu können.

Ähnliche Phänomene lassen sich auch im Internet-Friedhof „Hall of Memory“ (www.hall-of- memory.com) beobachten. Das kommerzielle Unternehmen preist auf seiner Homepage die virtuelle Trauer als „neue, zeitgemäße Form der Totenehrung“ an: „Unser Anspruch ist gute Gestaltung auf hohem Niveau.“ In Zeiten zunehmender Mobilität und Beschleunigung, wo die Umschlaggeschwindigkeit der Grabstätten zunehme, suchen Freunde und Angehörige von Verstorbenen „nach persönlicheren Wegen, Erinnerungen lebendig zu halten“.

Gegen eine Gebühr von 398 Mark kann man eine „Memorial- Gedenkstätte“ im Internet für dreißig Jahre erwerben. Das reicht, denn ewig wäre ganz schön lang. Die Gedenkstätte kann man sich als virtuellen Grabstein vorstellen. Daneben gibt es auch „gestaltete Nachrufe“, ein Zwischending zwischen Zeitungsanzeige und Familienalbumblatt. Das kostet 1696 Mark. Ganze Lebensläufe lassen sich hier nachlesen, verziert mit Bildern der Toten oder ihrer Lieblingsteddybären. Auf Videos erscheint der Verstorbene in alter Frische, als Klangdateien läßt sich „Dein Lachen“ anklicken oder „Dein Song“. Wer es traditioneller mag, begnügt sich mit kurzem Text („Du fehlst uns“) auf Schmuckbild: Baum im Abendlicht, bewegtes Meer, flackernde Kerzen oder das christlich bewährte Motiv betender Hände. Totenlichter und Madonnen, Kränze und Blumengebinde lassen sich zudem für fünf Jahre kostengünstig abonnieren.

Die Hall of Memory wendet sich in ihrer Selbstdarstellung an alle, die „Erinnerung an den Verstorbenen individueller gestalten wollen und die seiner Persönlichkeit und seinem Leben mehr Raum geben wollen. An Menschen, die in unserer schnellebigen Zeit wertvolle Lebensinhalte als Botschaft für die Nachwelt bewahren und als Information weitergeben wollen.“ Demnach scheint das moderne Leben nach einem zeitgemäßen Tod tatsächlich zur „Information“ zu transzendieren und der virtuelle Raum zu einem realen Ort. Und doch ist, wo es um die Kommerzialisierung von Trauer und Erinnerung geht, das Ergebnis zwangsläufig Kitsch und erinnert in seiner Blümchenseligkeit stark an die Poesie eines Hundefriedhofs. So unauffällig das Leben auch verlief, hier erhält es plötzlich eine Bedeutung, die es zuvor nie hatte. Erlösung ist käuflich.

So sieht also das 21. Jahrhundert aus: Vor dem Tod steht der eigene Designer-Sarg als Weinschrank im Wohnzimmer. Nach dem Tod beginnt das glückliche Leben als Datei. Und die Hinterbliebenen scannen ihre Tränen, damit man sie auch in Australien erkennen kann. Kondoliert wird per Mausklick, und niemand wird mehr alleine sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen