piwik no script img

Überhaupt kein Gesichtsverlust

Einst hat sie uns die Fernsehwelt erklärt: die Ansagerin. Doch ausgerechnet in einer Zeit, in der die Köpfe im Fernsehen immer wichtiger werden, wird die Dame nun vom Schirm vertrieben und durch den Trailer ersetzt  ■ Von Klaudia Brunst

Nein, keine Trauer. Pro7 hat in diesem Sommer seine AnsagerInnen abgeschafft. Der Sender ist damit einer der letzten im deutschen Teleuniversum, der auf die Damen (und vereinzelt Herren) vom Schirm verzichtet und den Trailern den Job überläßt. Sei's drum, ich weigere mich, den Ansagerinnen auch nur eine Träne nachzuweinen. Aus diesem Thema müssen endlich die Emotionen raus.

Okay, da regt sich schon ein sentimentales Gefühl. Die große Zeit der Ansagerinnen war die Zeit meiner Kindheit. Freundlich lächelnd schauten uns die meist brünetten Fräuleins vor dem Schlafengehen in die Augen, anfangs, wie Irene Koss, noch sittsam hinter einem Tisch sitzend, in den wilden Siebzigern dann „total offen“ auf der Ecke eines Würfels hockend, und schließlich in den Achtzigern lässig an ein Plexiglastischchen gelehnt. Sie erklärten uns, was wir gleich sehen würden, belehrten uns über unwichtige Details und angesagte Starlets, schließlich wünschten sie uns viel Vergnügen oder einen spannenden Fernsehabend.

Wir dankten nie mit Worten, aber stets mit einer gewissen Anhänglichkeit. Denn wenn die Damen wenig später berühmt (und alt) genug waren, um das Fach zu wechseln, wie Mady Riehl, die in der Jury von „Dalli-Dalli“ die siebziger Jahre aussaß, oder Karin Tietze-Ludwig, die ihre eigene Dreiminutenshow bekam (sogar Dagmar Berghoff akzeptierten wir am Ende als Nachrichtensprecherin!) – wenn aus den Fräuleins also gestandene Frauen werden sollten, dann zogen wir mit unserer Vertrautheit einfach um in die neue Sendung.

Es ist aber nicht auf den ersten Blick einsichtig, wieso das Fernsehen in den Neunzigern einerseits konsequent auf Personalisierung setzt und anderseits ausgerechnet in dieser Zeit seine „charmanten Visitenkarten“ zum Teufel jagt. Denn in dieser Fernsehdekade, sind die Namen Programm. Die Sendung von Ilona Christen heißt „Ilona Christen“ und die von Fliege heißt „Fliege“. Die Beispiele sind ungezählt, die Gagen gigantisch. Reinhold Beckmann verkauft sich meistbietend als Allzweckwaffe, geht aber nicht los. Johannes B. Kerner versteigt sich in einem peinlichen Anfall von Selbstüberschätzung zu einer Verknappung seines Namens, als sei sein Logo „JBK“ mindestens so bedeutend wie JFK. Wie kann es da kommen, daß der so klug und einfühlsam über Filme plaudernde Denes Törzs trotzdem über Cineastenkreise hinaus nie ein Star geworden ist?

Wer Törzs gerne zuhört, der möchte wohl verstehen lernen, was er da gleich sehen wird. Der will es vielleicht begreifen wollen, beispielsweise jene Tragik, als Romy Schneider, die soeben ihr eigenes Kind verloren hatte, mit einem Jungen als Filmpartner „Die Spaziergängerin von Sanssouci“ drehte. Der paßt dann später noch genauer auf, wenn auf dem Schirm die Tränen in Großaufnahme fließen. Aber wer schaut heute noch so fern?

Als die Fernsehansagerin Hilde Nocker 1960 über ihre Tätigkeit befragt wurde, erläuterte sie ihr Tun mit naiver Selbstverständlichkeit: „Mit dem Auswendiglernen fängt es an, denn man soll ja, möglichst ohne auf den Zettel sehen zu müssen, frei und sicher sprechen. Man muß auch den Inhalt der Sendung kennen, die man ansagt, ihren Gehalt, um sich in der Ansage schon darauf einzustellen. Deshalb lese ich mir meistens auch die Manuskripte der Sendungen, die ich ansage, vorher durch oder besuche die Proben. Denn wie soll ich die Zuschauer am Bildschirm ,einstimmen', wenn ich mich vorher nicht selbst ,eingestimmt' habe?“

Ein Dokument aus der Steinzeit des Fernsehgebrauchs. Vor vierzig Jahren war die Hybris der Macher noch ganz unschuldig: Hier der hilflose Konsument, dort die emsige und wissende Vermittlerin. Ohne eine krankenschwesterliche Vorbereitung sollte und durfte der Empfänger keiner medialen Botschaft ausgesetzt sein. Wie herrlich demokratisch ist da der Programmauftrag eines modernen Trailers! Im Informationszeitalter schaltet sich niemand mehr zwischen dich und die angebotene Ware. Siehe ... höre ... entscheide selbst, rufen dir die Trailer zu. Gewiß, die Profession der Trailer ist letztlich das Kippnapping, mal sind sie so schmeichelnd wie die Sirenen des Odysseus, dann wieder so hinterlistig wie der Rattenfänger von Hameln oder so unbehauen wie der Glöckner von Notre Dame. Und ganz gelegentlich verdichten sie sogar „Die Spaziergängerin von Sanssouci“ kongenial auf 1:30. Und immer konzentrieren sie sich bei ihrem Tun ausschließlich darauf, die Stimmung des Films in ein einziges Bild zu destillieren. Das brennen sie dann in deine Netzhaut ein. Sagt das nicht mehr als tausend Worte?

Das Fernsehen ist ein Bildmedium. Und in der zweiten Dekade des Privatfernsehens hat es diese Bestimmung endlich verarbeitet. Nicht über den Kopf ins Auge, sondern vom Auge in den Kopf führt der Weg. Deshalb wurden die AnsagerInnen in den letzten Jahren kontinuierlich weniger und das „On-air-Design“ wichtiger. Die ARD erfand (was für ein Schachzug!) die Eins als Senderlogo und tauchte erst die „Tagesschau“, schließlich den ganzen Sender in nachrichtencooles Blau. Jetzt hüpft ein Cursor über die Highlights der Woche. Bei RTL fielen unermütlich die lustigen bunten Buchstaben in ein puffrotes Seidentuch, wie die Lenorflasche in das Frotteehandtuch. Und Fred Kogel schlug sich so lange mit dem infantilen Sat.1-Bällchen herum, bis es endlich nicht mehr durchs Bild hopste. Nur Pro7 versuchte es noch mit Ansagerinnen. Selbst schuld.

Die Trailer, die auf den Super- Spielfilm heute abend oder die Talkrunde in zehn Minuten verweisen, haben gegenüber den „Damen ohne Unterleib“ entscheidende Evolutionsvorteile: Sie überwinden spielend die Einheit der Zeit, denn ihnen ist es möglich, dir auch den FilmFilm vom nächsten Donnerstag schmackhaft zu machen. Sie verbrauchen keine Zeit, sondern haben welche zu verschenken (manchmal ersparen sie dir sogar das Sehen selbst: Genügen nicht oft genug Sekunden, um zu sehen, daß du das gar nicht sehen willst?). Und dann sind sie eben allgegenwärtig. Von morgens bis abends, ohne Nachtzulage und Überstundenbonus.

Kein Mensch könnte so konstant auf dem Schirm präsent sein. Das Fernsehen lebt durch seine Bilder und von seinen Gesichtern. Aber die Talking heads von heute sollen Fernsehen nicht ankündigen, sie sollen Fernsehen machen. Ist doch ganz einfach, oder?

Fernsehansagerinnen der späten fünfziger Jahre (aus dem Katalog der Ausstellung „Der Traum vom Sehen“; noch bis zum 14. Oktober im Gasometer Oberhausen)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen