piwik no script img

Warum ermordete sich Pfarrer Günther?

Vor zwanzig Jahren verbrannte sich der Pfarrer Rolf Günther während des Gottesdienstes. Ein Freundeskreis beschuldigt die sächsische Landeskirche, die Nachforschungen zu den Hintergründen der Tat zu behindern  ■ Aus Dresden Nick Reimer

Ausflüge des Friedrichsgrüner Kirchenchors waren meistens etwas Besonderes. Der am 17. September 1978 sollte unvergeßlich werden – wenn auch ganz anders als erwartet. Gemeinsam mit Pfarrer Rolf Günther zelebrierten die Sänger einen Gottesdienst. Der Pfarrer ging in die Sakristei, um seinen Talar zu wechseln. Als er zurückkam, trug Günther in jeder Hand eine Milchkanne. Plötzlich verströmt Benzingeruch. Verwundert beobachtet der Chor, wie der Falkensteiner Pfarrer den Inhalt der Milchkannen auf den Teppich vorm Altar kippt. Der Benzingeruch wird unerträglich, die Gemeinde ziemlich unruhig. Doch da ist es schon zu spät: Was folgt, hätte Hitchcock nicht besser in Szene setzen können.

Pfarrer Rolf Günther geht langsam auf den Altar zu und streckt die Arme beschwörend zu den Kerzen aus. Er steht sofort in Flammen. Als der Brennende in die Benzinpfütze springt, entrollt sich ein Band mit dem Spruch „Wacht endlich auf“. Es schaltet sich ein Tonband ein: Während die Flammen den Pfarrer martern, beginnt seine bewegte Stimme mit der Predigt – über den ersten Kolosserbrief, indem es heißt: „Nun freue ich mich in meinem Leiden, daß ich für euch leide.“ Aber da leidet er schon nicht mehr.

Über Rolf Günthers Grab ist inzwischen Gras gewachsen. Damit über die Sache keines wächst, erforscht ein „Freundeskreis zur Erinnerung an Pfarrer Günther“ die Umstände des Suizids. Am Donnerstag, dem 20. Todestag, erhob der Kreis bei einer Gedenkveranstaltung schwere Vorwürfe gegen die sächsische Landeskirche. „Die behindert die Aufklärung der Todesumstände“, sagte Mathias Heck, Sprecher der Gruppe.

Nach fünfjähriger Forschung legte der Zwickauer Dompfarrer, Mitglied des Freundeskreises, Edmund Käbisch, eine Dokumentation vor. Er beklagt, daß ihm zwar staatliche Archive, etwa die der Stasi, offenstehen, kirchliche aber nicht. Der Forscher gibt der Landeskirche eine gewisse Mitschuld an Günthers Tod. Der damalige Landesbischof habe den liberalen Günther in die Gemeinde entsandt, obwohl ihm bekannt war, auf welche dogmatische Art die dortige Gemeinde frömmig war.

Anders als bei Oskar Brüsewitz – einem Zeitzer Pfarrer, der sich aus politischen Gründen öffentlich verbrannte – hatte Günthers Freitod andere Gründe. „Es war ein religiöser Konflikt, der Günther in eine ausweglose Situation trieb“, so Käbisch. Günther sei als liberaler, bibelkritischer Theologe mit der fundametalistischen, fast orthodoxen Glaubensweise in Konflikt geraten: Er stand auf der eine Seite, auf der anderen der Kirchenvorstand und zwei andere Pfarrer – von denen einer heute noch in der Gemeinde ist.

Wütend reagierte die Gemeinde von Falkenstein auf die Nachforschungen des Freundeskreises. Der Kirchenvorstand schrieb vergangenen Oktober im Amtsblatt über Käbischs Veröffentlichungen: „Es ist zu raten, seine Äußerungen über unsere Gemeinde mit äußerster Skepsis zu lesen.“ Die Frankensteiner Gemeinde hat eine eigene Dokumentation vorgelegt. Der damalige Bischof habe in einer Predigt die Gemeinde zwar aufgefordert, über „ihren Anteil zu diskutieren“, ihr aber gleichzeitig ein Schweigegelübde auferlegt. „Nach 20 Jahren brechen wir nun mit dieser Dokumentation das Gelübde“, heißt es im Vorwort. Indirekt erhebt die Schrift Vorwürfe gegen die Landeskirche. Tenor: Die Landeskirche hat uns in diesem Konflikt allein gelassen. Am 18. Februar 1978 bat der Falkensteiner Kirchenvorstand die Dienstbehörde brieflich „dringend um Hilfe“. Im Mai folgt ein „Notruf“ an den damaligen Bischof Johannes Hempel. Im Juli beschreibt der Kirchenvorstand brieflich „die Gefahr von Kurzschlußreaktionen“ bei Pfarrer Günther. „Schon einige Male drohte er mit Selbstmord.“

Am 18. August 1978 kommen die zuständigen Kirchenleute aus Dresden zum Gespräch ins Vogtland. Während Günther im Urlaub ist, kommt man zu diesem Ergebnis: Damit das Landeskirchenamt Günther versetzen kann, muß der örtliche Kirchenvorstand den Pfarrer abwählen. Anfang September stimmte der Vorstand ab: Günther muß gehen. Zwei Wochen später ging er – auf seine Weise.

„Die Landeskirche muß eingestehen: Wir sind gescheitert“, sagt Oberlandeskirchenrat Christoph Münchow. Die Kirche habe zwar den Konflikt „ziemlich genau gekannt und versucht zu vermitteln.“ Aber erst nach dem Abwahlverfahren hatte die Landeskirche Handlungsspielraum. Nun blieb Günther seinerseits stur: „Er wollte sich nicht versetzen lassen, weil das für ihn nach Niederlage aussah“, sagt Münchow. Er widerspricht den Vorwürfen, das Landeskirchenamt versuche, die Aufarbeitung zu verhindern. Anders als die Stasi-Akten könnten die der Kirchen nicht geöffnet werden – weil „unsere Akten laufende, also aktuelle sind“. Der Freundeskreis vermutet indes Teile des aufschlußreichen Tagebuchs von Günther im landeskirchlichen Archiv.

Trotzdem scheint es so, als habe die Landeskirche kein Interesse an einer weiteren Aufklärung des Falles. Als jüngst ein Kamerateam wegen Günthers Todestag filmen wollte, wurde die Drehgenehmigung verweigert. Landesbischof Volker Kreß schrieb dem Freundeskreis, er habe „in Sachen Günther kein Mandat“. Auch Käbisch, der mit einem Forschungsauftrag der Gauck-Behörde ausgestattet ist, klagt über Behinderungen. „Zuerst warf mir Dresden vor, daß ich mich einer Dienstpflichtverletzung schuldig mache. Dann erreichten die Gauck-Behörde Eingaben von geistlichen Brüdern, nach denen ich selbst IM gewesen sein soll.“ Zentrale Frage für den Freundeskreis ist: Inwieweit gelang es der Stasi, die sich erst nach Günthers Tat einschaltete, in die kirchliche Sphäre geheimdienstlich einzudringen?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen