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Gegen platte Klischees

■ Rostock-Lichtenhagen. Symbol für rechtsextreme Anschläge in Deutschland. Die NPD will heute in dem Stadtviertel aufmarschieren. Provoziert hat sie damit zunächst einmal ein Bündnis gegen Rechts

Der erste Angriff fällt eher dürftig aus. „Klar wollen wir provozieren“, sagt Martin, springt auf und hält Fung ein blechernes Hakenkreuz unter die Nase. Der junge Vietnamese begutachtet den Anstecker etwas ratlos. „Irgendeine deutsche Fahne“, vermutet er. Auch das Eiserne Kreuz, das Kamerad Paul aus dem Kragen zerrt, bringt nicht den erwünschten Gruseleffekt. Im Keller des Rostocker Sonnenblumenhauses spielen junge Vietnamesen ungerührt Tischtennis, während neben ihnen zwei NPD-Fans Graffiti sprühen und über „Scheiß Kanaken“ herziehen. Man hat sich aneinander gewöhnt hier, es ist ruhig. Fragt sich bloß, wie lange noch.

Mit „mindestens 3.000 Mann“ will die NPD heute vor dem Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen aufmarschieren, eine zweite Demo ist angemeldet, die Stadt Rostock will nochmals dagegen klagen. Sehr verwirrend. Die braunen Buben, die womöglich in den Schweriner Landtag einziehen, trommeln zum Wahlkampfabschluß an einem Ort, den sie als Wiege der „nationalen Bewegung“ preisen. Tagelang randalierten rechte Brandstifter 1992 vor dem Plattenbau mit dem Blumenmosaik, in dem Vietnamesen und Asylbewerber lebten. Anwohnende Biedermänner beklatschten das Spektakel, die Polizei schaute zu. Wenig später wurde in Bonn das Asylrecht verschärft.

Ein Symbol ist Rostock-Lichtenhagen seither, nicht nur für die Glatzen. 20.000 Demonstranten erwartet das Bündnis gegen Rechts bei seinem Protestmarsch zum Sonnenblumenhaus. Auf der Wiese hinter der historischen Platte feiern die üblichen Verdächtigen aus linken Parteien und Gewerkschaft, Rostocker Wohnungsbaugesellschaften und Bürgerschaftsvertreter ein „Friedensfest“ – hermetisch abgeriegelt von der Polizei. Beim größten Polizeieinsatz in der Geschichte des Landes, befürchtet Innenminister Armin Jäger (CDU), wird es für die Beamten „hundsgemein schwer“.

Ob es Randale gibt oder nicht, Nguyen Do Thinh sieht die Sache gelassen. „Das ist eine große Hauruck-Aktion, danach liegt alles wieder flach“, meint der Leiter des deutsch-vietnamesischen Begegnungszentrums im Sonnenblumenhaus. Seit Tagen versucht er Presseleute aus aller Welt davon zu überzeugen, daß Rostock mehr zu bieten hat als braunen Sumpf. Daß es in der Stadt einen stillen, sehr zerbrechlichen Lernprozeß seit der Katastrophe vor sechs Jahren gibt. Daß man leben kann hier, auch mit dunkler Haut, selbst wenn sich rechte Strukturen festigen und obwohl man als Vietnamese „schon schauen muß, wo man nachts langläuft“.

Angst will keiner zeigen in Rostock. Vor allem Thinh nicht, der 1992, als das Sonnenblumenhaus brannte, als Schaulustige die Ausgänge blockierten und keine Feuerwehr kam, mit den Bewohnern übers Dach flüchtete. Er ist trotzdem geblieben, vermittelt heute Migranten Deutschkurse und nimmt diejenigen ins Gebet, die ihre Kinder nicht zur Schule schicken. Und weil er von den Klischees wohlmeinender Gutmenschen nichts hält, erinnert Thinh hartnäckig an den Müll vor der Tür und an die Roma-Familien, die 1992 ohne Wasser und Klo auf der Wiese kampieren mußten. Unerträglich sei das auch für die Vietnamesen gewesen, viele im Viertel glauben, die Stadt habe es auf Krawall ankommen lassen. Im Asia- Imbiß vor dem Sonnenblumenhaus, wo Vietnamesen heute den Gaffern von einst ihr Bier servieren, will jeder dabeigewesen, aber keiner gejohlt haben. Hier hat man vor allem gelernt, Journalisten nicht alles zu erzählen, was man denkt. Und übt sich in einem differenzierten Weltbild. „Vandalen passen nicht hierher, aber mit Gewalt geht es auch nicht“, meint Herr Krause, dem die geistigen Getränke den Leib aufgetrieben haben. „Die Vietnamesen sind wenigstens sauber.“

Es fällt nicht leicht, an Lernprozesse zu glauben, wenn man die Geschichten von den Einzelhändlern hört, die sich weigern, den Schmetterling aufzuhängen, mit dem das Bündnis gegen Rechts wirbt – man befürchte eingeschlagene Scheiben. „Deutschland ist kein Einwanderungsland“, hat die CDU in Lichtenhagen kleben lassen. Kein Wunder eigentlich, daß Paul und Martin, die NPD-Anhänger im Keller des Sonnenblumenhauses, mit ihren albernen Hakenkreuzen herumfuchteln und erklären, Herr Thinh sei „ganz in Ordnung“, alle „Türken, Kurden und Aramäer“ aber „total kriminell“.

4.500 Ausländer gibt es in Rostock und 50 NPDler. Die gut zehn „freien Kameradschaften“ an der Ostsee übernehmen die ideologische Schulung und heuern Parteinachwuchs an. Mit rund 300 Mitgliedern landesweit hat die NPD sich seit 1996 etwa verfünffacht. Und das, obwohl etliche haarfreie Dampfplauderer aus der Partei herausgehalten werden: Die Herren fürs Grobe sollen mit ihren Vorstrafenregistern nicht das Image versauen.

Sauberkeit und Disziplin sind auch die Devise der NPD-Demo in Lichtenhagen. „Jeder Kamerad weiß die Ordnungsregeln“, versichert Ronny Grubert, ein kettenrauchender Schweißer aus Rostock, der für die NPD in den Bundestag will. Alkohol und Zigaretten sind beim Marsch verboten, einen Großteil der Rostocker Ordner hat man heimgeschickt, weil sie vorbestraft waren. Zurückgezogen wurde auch Festredner Manfred Roeder. Der Neonazi, der 1982 als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung zu 13 Jahren Haft verurteilt wurde, verkündete kürzlich bei einer NPD-Veranstaltung, den Holocaust habe es „bekanntlich nie gegeben“.

Um kein Parteiverbot zu riskieren, dürfen NPD-Anhänger keine NS-Verbrechen mehr kommentieren. Daß die Partei sich zu einem „nationalen und sozialistischen Weltbild“ bekennt, ist ohnehin kein Geheimnis. Alexander von Webenau, ein junger Augsburger, der ganze Sätze sprechen kann und in der NPD-Zentrale bei Rostock derzeit das Telefon bedient, redet nicht über Juden. Lieber schwadroniert er von „raumorientierter Volkswirtschaft“ und „gradueller Autarkie“ der Volksgemeinschaft, die sich von der Geißel des „internationalen Finanzkapitals“ befreien müsse. Eine wüste Mixtur aus Kapitalismuskritik, Ostalgie und NS-Verklärung rührt die NPD da an. Ob das reicht, um die Partei in den Schweriner Landtag zu führen, ist ungewiß. Nach jüngsten Infratest-Umfragen in Mecklenburg- Vorpommern könnten 19 Prozent der Wähler sich vorstellen, eine Rechtsaußenpartei anzukreuzen. Doch daß die finanzkräftige DVU des Münchner Verlegers Gerhard Frey die Nase vorn hat, vermuten selbst glühende Nationaldemokraten.

Trotz der braunen Trüppchen wächst in Rostock die Zahl derer, die nicht mehr stillhalten. Wolfgang Richter gehört zu ihnen, ein promovierter Geographielehrer, der früher in der SED war, der als kritischer Geist vor 1989 in der Minderheit blieb und es heute wieder ist. Der Ausländerbeauftragte von Rostock blieb im Sonnenblumenhaus, als es 1992 gestürmt wurde. Beschwichtigt, vermittelt, die Polizei gerufen hat er damals, für seinen Einsatz bekam er ein Bundesverdienstkreuz. Doch da ging die Arbeit erst los.

Statt Migranten in Sammelheimen zu isolieren, brachte der Hüne mit dem Rauschebart sie in kleineren Häusern in der City unter. Rostock wurde die erste Stadt des Bundeslandes, die Flüchtlingen Einzelwohnungen anbot. Junge Leute aus dem Rostocker Ökohaus betreuen inzwischen ein Heim, in dem Bewohner und Nachbarn Konflikte gemeinsam lösen – ohne Polizei und Krawall. Auf das Konto von Richters Mitstreitern geht es schließlich, daß in jedem Ausschuß der Bürgerschaft heute ein Nichtdeutscher mitredet.

„Es wäre eine Illusion zu glauben, Rostock sei eine Insel der Glückseligkeit“, beteuert der Thüringer, sobald Lob droht. Es bleibt genug zu tun. Im Rathaus läuft die Demo-Vorbereitung auf Hochtouren, hektisch werden im Büro der Bündnisgrünen Marschrouten geplant und verworfen. „Wenn wir die vernünftigen Leute nicht stärken, gewinnen die anderen die Oberhand“, weiß die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Maxi Malzahn. Den Kampf gegen die Angst vor Fremdem, vor allem, was am festen Lebensrahmen rüttelt, ist noch längst nicht gewonnen. Aber daß der rechte Mob noch einmal Rostock-Lichtenhagen erobert, daß Stadt und Polizei ihn darin bestärken wie 1992, „das könnte es heute nicht mehr geben“. Constanze v. Bullion, Rostock

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