: Der Tag, an dem ich Otto gutfand
■ Haben Sie am Freitag gegen sechs Uhr abends über Bremen einen riesigen Otto-Katalog gesehen? Ich saß in dem Ballon daneben! Und die ganze Zeit hat Claudia Schiffer glasig vom Katalog-Titel zurückgestarrt. Geil!
Verdammt. Was hatte der Chef noch gesagt? Mit welcher Claudia sollte ich im knallengen Körbchen eines Heißluftballons ein Stündchen zubringen? Schiffer? Oder Nolte?? Und warum überhaupt? Wahlkampf? Reklame für Renault? Warum höre ich nie richtig hin??
Liebe Leserin. Insbesondere lieber Leser. Bitte malt Euch aus: Ein Stündchen mit Claudia Schiffer im Korb steht mir bevor! Oder doch zumindest ein Stündchen mit Claudia Nolte im Korb, die ja bei Harald Schmidt neulich eine so supersüße kleine und ganz lockere, ja knusprige Ministerin abgab. Und dann sagt der Chef, ne ne, das ist eine PR-Nummer für den Otto-Katalog, und da fliegt so ein Ding durch die Gegend, da ist ein Bild von der Schiffer drauf, mach was draus. Wenn man solch einen Chef erwürgt, bekommt man Maximum eine Woche auf Bewährung. Warum sag ich dann doch ja? Weil ich immer alles tu, was man mir sagt. Weil ich bescheuert bin.
Ich also am Freitagnachmittag einen dieser Fotoknipser geangelt, hin zum Flughafen, dort weitere Knipser getroffen, nur Leute, versteht sich, die für umsonst verteilte Anzeigenblätter knipsen, diese Szene, verstehen Sie? Plötzlich rollen in Höhe Abflug zwei ultra-runtere Gemüsetransporter vor, „Ballonfahrten zwischen Harz und Heide“ steht drauf. Rein mit der käuflichen Journaille, und ab die Post nach Seehausen, weil Westwind ist. Bei Westwind muß man da beim Klärwerk starten, um Bremen zu bestreichen, ist klar, oder? Alles 'ne miese PR-Nummer, alles für diesen fertigen Subproll-Katalog, den man früher immerhin den Zonis noch weiterreichen konnte, aber heute gibt es nicht mal mehr 'ne Zone. Und das Schönste: Die taz kann 5.000 Jahre alt werden, und Otto schaltet noch immer keine Anzeige, falls das klar genug ausgedrückt ist.
Also wir, drei abgefuckte Knipser und ein oberfertiger Zeilenschinder sowie ein Kerl im Wikingerlook mit Chefgetue, dann ein Vogel, der sich Jörg schimpft, und zwei Gestalten, die auf die Welt gekommen sind, um an Lenkrädern zu drehen. Die ganze Blase in Seehausen raus, einem Landmann die Grasnarbe plattgefahren, Haufen Plünnen auf den Acker gekippt, und dann soll man auch noch mit anfassen.
Irgendwann kapier ich, daß es zwei Ballons gibt: einer sieht aus wie ein total aufgequollener Otto-Katalog, mit der Visage von der Schiffer vorne drauf, nix vom Rest der Frau zu sehen, die Subprollmütter sollen ja nicht depressiv an sich runterstieren. Und dann dieser oberpeinliche Fehlfarbenballon mit dem Unterschichtsspruch „Otto ... find' ich gut“. Aber ich bescheuertes Sackgesicht wollte ja kein Geograhielehrer werden.
Also Wind in die Tüte, heiß machen das Ganze, rein ins Körbchen, zehnter Stock gedrückt – und ab die Post. Links fliegt der Wikinger mit dem aufgepumpten Katalog, vom Titel stiert glasig die Schiffer. Rechts die Journaille. Unten die Weser. Was soll ich sagen: Geil!
Schonmal Bremen von oben gesehen? geil! Weser? geil! Da schütten sie den Hafen zu: Drecksäcke! Hart zischen wir mit satten fünf Sachen am Waller Funkturm vorbei. Überhaupt sieht Walle aus wie auf diesen Kriegsbildern nach dem Angriff, nur daß alles heile ist. Überm Weidedamm gehen wir auf Rufweite runter, und ich schwöre, ich rufe: „Otto...“, und irgendwelche abgedrehten Nichtsblicker röhren: „... find' ich gut!“ Und statt daß mir die Kotze kommt, bin ich glücklich und würde am liebsten die ganze Welt mit Otto-Katalogen bombardieren. Höhe Kirchbachstraße ruf ich Konnie an, soll mal winken, ist aber nicht zu Hause. Die Süße vom Bremer Anzeiger hat ihr Handy zu Hause gelassen, weil man kann ja nie wissen – Handys in Fluggeräten ... Ansonsten stecken die Knipser durch jedes Loch im Korb ihre Ofenrohre und verballern hunderte von Filmen. Von dem Material können die notfalls noch die nächsten zwei Jahre zehren. Parkhotel von oben, das kriegt man doch irgendwo unter!
Und ich? Häng mich aus dem Korb in die Sonne und finde alles nur geil, zu mehr Differenzierung reicht's leider nicht. Oben brüllt die Heizung und fackelt mir das Resthaar ab, unten sitzt der alte Koschnick in seiner Kleinbürgerhütte am Großen Kurfürst (anrufen?), im Hintergrund glüht Tenever im Sonnuntergang. In Blockdiek halten die Knipser voll auf die überfüllten Balkons drauf, und tausend Polen und Russen blitzen mit ihren Ex-und-hopp-Kameras zurück. Da sackt auf einmal hinter uns der Katalog in ein Waldstück, Gottchen, ob es heute doch noch mal richtigen Journalismus gibt? Jörg, das Sackgesicht, rückt natürlich ausgerechnet jetzt mit den Gefahren beim Landen raus, und schon zischen auch wir runter Richtung handtuchgroße Wiese. Zwei Schläge, und wir sind unten. Zehntausend Ausländerkinder werfen sich auf den Ballon, trampeln und toben und jubeln drauf rum. Jörg läßt den Abgeklärten raushängen, aber als dann zwei Knirpse ein Autogramm wollen, ist er doch aus der Bahn. Ich muß noch in der Gondel bleiben, als Ballast, und die Blagen schmeißen sich sofort an mich ran und fragen, haste Angst gehabt? Warste nah bei der Sonne?
Ehe alles wieder normal wird, muß man man als Erstflieger so eine Prozedur über sich ergehen lassen, Haar anfackeln, Sekt in den Hals kippen, nie mehr „Ballonfliegen“ sagen dürfen, weil es „Ballonfahren“ heißt, was aber Blödsinn ist. Alles groß mit Urkunde. Im Hintergrund die zusammengeschrumpelte Pelle vom Ballon, ein echt trauriges Bild, und ich schwöre, in der Lage hätte ich mit allen in der Gondel spontan WG gemacht. Sogar einen Ottokatalog hätte ich mitgenommen. So weich machen die einen. Aber der Wikinger hatte keinen Katalog.
Ach ja, man kriegt noch einen bescheuerten neuen Namen, total unpoetisch, aber was willste machen? Da heißt man dann zum Beispiel Graf Burkhard im Abendrot dahin zu den Kindermassen
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