: Von Paparazzis und Goldgräbern
■ Richter wollen die Privatsphäre von Prominenten schützen und fördern dabei deren kommerzielle Interessen - und die ihrer Anwälte, wie ein Hearing des Deutschen Presserats zeigt
Eigentlich war die Veranstaltung von der Aktualität überholt worden: Gerade hatte die weltweite Verbreitung der präsidialen Sexszenen des Starr-Reports die Persönlichkeitsrechte von Bill Clinton und Monica Lewinsky massiv mißachtet. Konnte da der Deutsche Presserat zur geplanten Tagesordnung übergehen und sich mit den nach Bonn geladenen Professoren, Richtern und Journalisten über Caroline von Monaco, Paparazzi-Fotos, sechsstellige Entschädigungssummen und ihre Folgen für die Pressefreiheit unterhalten?
Ja, man konnte und mußte es wohl auch. Denn in der deutschen Rechtsprechung zeigt sich in den letzten Jahren nicht eine Einschränkung, sondern die Ausweitung der Persönlichkeitsrechte in Form einer weiter gefaßten Definition der Privatsphäre und engerer Grenzen für die Veröffentlichung von Fotos. Bisheriger Höhepunkt sind die 180.000 Mark Entschädigung, die Caroline von Monaco zugesprochen wurden – für ein erfundenes Interview in Bunte und einige Paparazzi-Fotos.
Neben der hohen Geldentschädigung, die der BGH-Richter Manfred Lepa vehement verteidigt, weil nur sie in solchen „Einzelfällen permanenter und vorsätzlicher Rechtsverletzung“ abschreckend wirke, hat das höchste deutsche Zivilgericht den Schutz von Prominenten noch an einer anderen Stelle ausgeweitet: Seit einem BGH-Urteil von 1995 (Caroline gegen Bunte) gilt nicht nur das eigene Grundstück als Privatsphäre, sondern auch jede andere „örtliche Abgeschiedenheit“, in der sich jemand „so verhält, wie er es in der breiten Öffentlichkeit nicht tun würde“. In diesem Fall hatte die Prinzessin mit ihrem damaligen Verehrer, dem Schauspieler Vincent Lindon, in der hintersten Ecke eines Gartenlokals Händchen gehalten.
Vor allem die Hamburger Gerichte werden seitdem mit Prominentenklagen „überschüttet“, 40 Prozent seiner Fälle machen sie mittlerweile aus, schätzt Wolfgang Neuschild, Vorsitzender der Pressekammer am Hamburger Landgericht. Nicht ganz zufällig werden fast alle dieser Fälle in Hamburg verhandelt. Dort hat nämlich die Kanzlei von Matthias Prinz ihren Sitz, der sich auf solcherlei Prominentenklagen spezialisiert hat. Prinz hat im Kampf gegen unerwünschte Fotos eine alte Gesetzesklausel erfolgreich aktiviert. Hier regiert nämlich das Kunsturhebergesetz von 1906, das strenggenommen jede Fotoveröffentlichung ohne Einwilligung der Gezeigten verbietet – mit Ausnahme allein der sogenannten „Personen der Zeitgeschichte“. Bei Texten dagegen gilt, daß die Persönlichkeitsrechte des einzelnen und das öffentliche Interesse immer im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden müssen.
Ob das Fürstenhaus von Monaco, Claudia Schiffer oder Hans Meiser: Sie alle rufen mit ihrem Eigeninteresse an PR das öffentliche Interesse an ihnen ständig selbst hervor. Über die Scheidung eines Prominenten darf also im Prinzip genauso berichtet werden wie zuvor über die Hochzeit – nur eben nicht mit Fotos. Gerne würde Richter Neuschild dieses Eigeninteresse der Prominenten auch bei Fotoveröffentlichungen berücksichtigen – doch das sei wegen des Kunsturhebergesetzes fast unmöglich. Es stammt, so Neuschild, aus einer Zeit, „als die Herstellung jedes Fotos noch eine handwerkliche Glanzleistung war“.
Mit dieser anachronistischen Gesetzesklausel ist es Rechtsanwalt Prinz sogar gelungen, der FAZ ein simples dpa-Porträtfoto von Prinz Ernst August von Hannover verbieten zu lassen, weil sie es zur Illustration einer Glosse über dessen Liaison mit Caroline benutzt hatte. Wenn dieses Beispiel Schule mache, könne der Spiegel sein Fotoarchiv einstampfen, meint dessen Verlagsleiter Fried von Bismarck. Und die taz, die auch viel mit Symbolfotos illustriert, könnte sich anschließen. Presserichter Neuschild zuckt mit den Schultern: Solange der Gesetzgeber das Kunsturhebergesetz nicht streiche, könne er daran nichts ändern. Und BGH-Richter Lepa antwortet auf die Frage, was denn die Journalisten angesichts der jüngsten Rechtsprechung tun sollten: „Im Zweifel das Bild nicht veröffentlichen.“
Allerdings fühlt Lepa sich nicht nur in seinen Entscheidungen vom Gesetzgeber „alleingelassen“, sondern auch von vielen Prominenten verschaukelt. Auf dem Bonner Hearing mußte er sich jedenfalls von den Chefredakteuren einiger Boulevardzeitungen anhören, wie diejenigen, die sich über ihre „Zwangskommerzialisierung“ durch Medien beschweren, ihre Persönlichkeitsrechte zur besseren Vermarktung nutzen.
Michael Spreng von Bild am Sonntag beobachtet nicht nur, daß Prominente sich immer häufiger neben Interviewtexten und Fotos auch Überschriften und das Seitenlayout vorlegen lassen wollen (was BamS, sagt er, nicht tut, aber so manches Magazin...). Vor allem agierten die Stars immer häufiger nach dem Motto „Hahn auf – Hahn zu“: Dient es dem Image, werden Fotos angeboten, wenn nicht, droht der Anwalt mit einer Unterlassungsverfügung.
Ohne Furcht vor den Künsten des Matthias Prinz nennt Spreng auch die Fälle: Ulrich Wickert, der sich mit seiner jeweiligen Lebensgefährtin gern ablichten läßt, im Verlauf der folgenden Trennung dann die Fotos sperrt, bis das Spiel mit einer neuen Frau von vorne losgeht. Oder Hans Meiser, der Bilder von seiner neuen Beziehung durch das Hamburger Landgericht verbieten läßt, um wenig später eine ebensolche Fotogeschichte im Stern zu plazieren. „Da haben wir uns auf den Arm genommen gefühlt“, empört sich Richter Neuschild. Sein Kollege Lepa ergänzt, im Zivilprozeß sei man „auf den Sachverstand der Parteien angewiesen“ und gegen solche Fälle gebe es nur ein Mittel: Man müsse den Prominenten „Rechtsmißbrauch“ nachweisen.
Doch das fällt den betroffenen Boulevardmedien schwer. Und sie wollen es sich wohl auch nicht zu sehr mit ihren Stars verderben. Auch wenn ihnen deren Goldgräbermentalität und noch mehr die ihrer Anwälte entsetzlich auf die Nerven geht. Michael Rediske
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