piwik no script img

Ehrerbietung

■ Armer Gérard! Gerhard Schröder ist es trotz aller Bemühungen nicht gelungen, Helmut Kohl im Herzen der Franzosen zu entthronen

In diesem Deutschland der Vorwahlzeit ist es eine Wohltat, Französin zu sein! Helmut Kohl, der immer wieder demonstrieren muß, wie viele der Großen der Welt er zu seinen Duzfreunden zählt – dieser (Mann von Welt) Helmut Kohl erinnert sich bei jeder Gelegenheit wehmutsvoll an seine enge Beziehung zu „François“. Und er lobt die deutsch-französische Freundschaft über den grünen Klee.

Gerhard Schröder hingegen hatte eher einen schlechten Start: Als er vor einigen Monaten erklärte, in Zukunft solle man die Achse Bonn-Paris zu einem Dreieck Bonn-Paris-London erweitern, ging ein eisiger Schauder durch die Pariser Elite. Das Mißtrauen wuchs noch, als er den Euro als „kränkelnde Frühgeburt“ bezeichnete.

Aber Schröder hat sich seither zumindest alle Mühe gegeben, den skeptischen Franzosen zu beweisen, daß auch bei seinem Amtsantritt die deutsch-französische Freundschaft nicht gefährdet ist. Schröders erste Meisterleistung: die Nominierung von Brigitte Sauzay, der ehemaligen Dolmetscherin Mitterrands, zur außenpolitischen Beraterin in Sachen deutsch- französischer Beziehungen. Die deutsche Presse bekam sich gar nicht mehr ein: Eine Französin! Eine neue Madame de Staäl, noch dazu Mutter dreier Kinder! Eine „Madame France“, elegant, gebildet, die die Deutschen von ihrem notorischen schlechten Gewissen freispricht. Denn sie fordert sie expressis verbis auf, sich nicht mehr zu schämen: Seid Deutsche, sagt sie, seid entspannt, werft die Komplexe über Bord, niemand wird es euch verübeln! Eine gute Wahl, Herr Schröder! Schon spüre ich, wie mir vor Nationalstolz die Brust schwillt.

Schade nur, daß dieser Enthusiasmus in Paris keine Anhänger findet. Das Außenministerium ist nachgerade empört, denn angeblich hat es von der Nominierung durch die Nachrichtenagentur AFP erfahren. Im Quai d'Orsay zweifelt man an Schröders Diplomatie. Eine französische Regierungsbeamtin, die, obgleich sie der Geheimhaltungspflicht unterliegt, dem Kandidaten der Opposition mitten im Wahlkampf zur Seite tritt, das geht einfach nicht. Also wird Madame France beurlaubt.

Schröders zweite Meisterleistung: Er bittet den ehemaligen Kulturminister Frankreichs, Jack Lang, in Berlin ein großes Festtreffen europäischer Intellektueller anzuleiern. „Mein Engagement richtet sich keineswegs gegen Helmut Kohl“, beeilt sich Jack Lang ein wenig verschämt zu versichern. Die ewigen Säulen der Pariser Abendgesellschaften sind sogleich zur Stelle: Bernard-Henri Levy, der getreu seinem Ruf (“das schönste Dekolleté von Paris“) das Hemd bis zum Bauchnabel offen trägt. Jean Michel Jarre, im schwarzen Leinenanzug mit lilafarbenem Seidenschlitz im Rücken. Und dann die vielen anderen: Françoise Giroud und Jean Daniel, Viviane Forrester und Jacques Julliard. Aus dem Büro von Jack Lang verlautet, natürlich ging es um die Unterstützung von „Gérard“ Schröder. Doch einige der Geladenen wundern sich nicht wenig, daß sie im Wahlkampf der SPD gelandet sind. Sie insistieren, daß sie wegen der europäischen Kultur gekommen seien. In Frankreich verdreht man nur die Augen: „Ganz Saint-Germain-des-Prés versammelte sich in Berlin“, schreibt Libération. „Die Mottenkiste der Pariser Linken!“ urteilt ein Kollege vom Point. Die „Kaviarlinke“ höhnt der Radiosender France-Inter.

Frankreich ist auf diesem Berliner Großereignis das große Vorbild: Es ist das Land, das einen Kulturminister hat. Es ist das Land, in dem die Sprache für sich genommen bereits Kultur ist. Volker Schlöndorff entschuldigt sich, daß er in der Sprache Goethes über Kultur redet. Die Sprache Molières sei ihm da geläufiger, sagt er, aber wegen der vielen Menschen im Raume wolle er sich nun durchringen... Der polnische Filmregisseur, der nach Schlöndorff redet, verzichtet auf derlei Samthandschuhe: Freundlich entschuldigt er sich einleitend auf deutsch, daß er seine Rede auf französisch halten werde. Soviel Ehrerbietung ist mir langsam peinlich. Diese Faszination für den angeblichen Hort der schönen Worte und Künste ärgert mich.

Da ist es wieder, dieses mangelnde Selbstvertrauen der Deutschen, das mich so oft nervt. Hat nicht Schröder erst jüngst mit großem Medientamtam einen Schattenminister für Kultur nominiert. Hätte es da nicht nahegelegen, daß Michael Naumann in Berlin den Zeremonienmeister abgibt. Er sei, so liest man in den Zeitungen, eiligst aus New York rangeholt worden. Das schafft Prestigepunkte. Ein Kandidat für ein Kulturministerium, der aus Frankfurt oder Stuttgart käme, würde ziemlich bieder wirken. Aber aus New York... Das ist ja fast, als käme er aus Paris! Weltklasse für Deutschland!

Die Deutschen träumen von einem Kanzler, der namhafte Intellektuelle, Schriftsteller und Architekten um sich schart. Nur zu gerne würden sie ihren Kohl, der die Kochbücher seiner Frau herausgibt, gegen einen Mitterrand eintauschen, der die Künste liebte, Paris neu erbaute und die Worte so elegant zu wählen wußte. Selbst ein Giscard mit seinem Akkordeon und seinem kleinen Liebesroman, der die Pariser Salons zu erheitern wußte, wäre besser als ein Kandidat Schröder, der von sich sagt, daß keine gute Fee ihm Kultur in die Wiege gelegt habe.

Gerhard Schröder ist es also trotz der Meisterleistungen nicht gelungen, Helmut Kohl im Herzen der Franzosen zu entthronen. Nichts erbost die deutschen Intellektuellen so sehr wie die Achtung ihrer französischen Kollegen für Kohl. Denn in diesem Wahlkampf hat die französische Presse dem Kanzler Ehre erwiesen. Le Monde fragt sich: „Gibt es ein Projekt Schröder?“ Und Libération, die man auch nicht als prokonservativ verdächtigen kann, beschreibt Schröder als einen, „der bereits über alle Themen schon fast alles gesagt hat, inklusive des jeweiligen Gegenteils, und der sich nun zu keiner Stellungnahme mehr hinreißen läßt, um nicht hinterher daran gebunden zu sein“. Le Point konstatiert, „Schröders Überzeugungen sind nicht gerade durchschlagend, und seine Ideen variieren je nachdem, woher der Wind weht. Für einen Kandidaten ist das sicher brauchbar, doch für einen Kanzler fehlt es ihm an Masse.“ Das Wirtschaftsmagazin L'Expansion versetzt den Gnadenstoß – es dankt im vorhinein dem „Churchill des Jahrhundertendes“ – und meint Kohl, den großen Architekten der deutschen und europäischen Einheit. Armer Gérard! Pascale Hugues

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen