: Eine politische Somatikerin
■ T. Knierims liest aus ihrem Roman über eine 48er Revolutionärin
Wer war Marie Mindermann? Eine Bremer Revolutionärin und – schriftstellerische – Autodidaktin? Oder eine emotionale, manchmal versponnene Weltverbesserin, die sich durch revolutionäre Forderungen nach Demokratie und gleichem Wahlrecht bewegt, zur Parteinahme für die politisch Entrechteten einfach hinreißen ließ?
Die Frage ist aus mehreren Gründen aktuell. Gerade pünktlich zum 150. Jahrestag der 1848er Revolution hat die Bremer Autorin Truxie Knierim ein Buch über Marie Mindermann herausgegeben. In „Die Revolution von Fräulein Mindermann“ versucht sie, den für damalige Verhältnisse ungewöhnlichen Lebensalltag der eigenwilligen Tochter des Drechslermeisters Mindermann nachzuzeichnen. Die konnte schon als Sechsjährige schreiben und lesen; später, im heiratsfähigen Alter, lehnte sie Vaters Gesellen, der die Meisterwerkstatt samt Tochter übernehmen sollte, als Heiratskandidaten ab – und zog stattdessen zu ihrer zehn Jahre älteren Freundin, einer Musiklehrerin, in die Neustadt, wo sie als Heimatschriftstellerin von der Veröffentlichung und dem Vortrag beschaulicher Reime lebte.
Doch bei HistorikerInnen oder SchriftstellerInnen wie Truxie Knierim wecken vor allem die politischen Werke Mindermanns Neugierde. So hatte Mindermann 1851, als die Forderungen des Volkes nach Demokratisierung nicht verstummen wollten, politische Streitschriften zugunsten des damals stadtbekannten revolutionären Pastors Dulon anonym verfaßt – und veröffentlicht. Als sie erwischt wurde, ging sie dafür sieben Tage in den Knast; bis heute gilt sie als einzige Bremerin, die zu den revolutionären Forderungen nach Gleichheit – auch der Geschlechter – damals schriftlich Stellung bezogen hat. Und bis heute wird immer wieder mit Erstaunen bemerkt, wie wenig diese politischen Arbeiten der übrigen, harmlosen Dichterei Mindermanns entsprechen.
Der Widerspruch ist ungelöst – was zu Projektionen verleitet. Aus Mangel an historisch Verwertbarem hat auch die Romanautorin Truxie Knierim mit reichlich Erfundenem gearbeitet, um den historischen Alltag der unangepaßten Mindermann zu beschreiben. Doch sie ist gescheitert. Als hätte sich Knierim nicht entscheiden können, wer diese Marie nun war, die offenkundig ein weitgehend selbstbestimmtes, nach außen hin aber unauffälliges Leben führte und dabei doch politische Schriften verfaßte, zeichnet sie das brüchige, nicht schlüssige Bild von einer politischen Somatikerin.
Auf knapp 200 Seiten präsentiert sie uns die Mindermann als einigermaßen verhuschtes, weltfremdes Wesen, ständig verlegen, lächelnd oder beschämt – und unerklärlich lange mit den Nachwehen vom Kuß eines 17jährigen Bengels aus besserem Hause beschäftigt. Dazu paßt, daß Truxie Knierim der Mindermann auch dann keine politische Haltung zugesteht, als diese das anonyme und politisch riskante Traktat zur Ehrenrettung des Revolutionärs Dulon verfaßt. Symptomatisch für ihr Mindermann-Bild läßt sie deren Herz im besten Rosamunde Pilcher-Stil höher schlagen, als diese begreift, daß „sich kein Mann für Dulon stark macht“. Knierims Heldin denkt nicht mit dem Kopf. Das Ende einer politischen Hoffnung von Demokratisierung wird nicht reflektiert. Stattdessen läßt Knierim Gefühle wallen. Es „legt sich ein übler Druck auf ihre Brust“ und „sie starrt auf das tintenverschmierte Blatt, auf die Buchstaben, bis sie vor ihrem Auge zu tanzen beginnen.“ Die Widersprüchlichkeit eines revolutionären Frauenlebens von 1848 wird so nicht aufgelöst. ede
Buchpremiere & Lesung heute, 20h in der Stadtbibliothek Neustadt
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