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Neue Offensive gegen die Taliban

In Afghanistan fordern Raketenangriffe von Taliban-Gegnern auf Kabul zahlreiche Tote. Iran will morgen ein neues Militärmanöver in der Grenzregion durchführen  ■ Von Thomas Ruttig

Berlin (taz) – Fast 200 Tote oder Verletzte hat nach Angaben der Taliban gestern und am Wochenende schwerer Raketenbeschuß der afghanischen Hauptstadt Kabul gefordert. Andere Quellen sprachen von 66 bis 100 Toten. Allein am Sonntag traf es nach Taliban-Angaben beim folgenreichsten Angriff seit mehreren Jahren 180 Zivilisten, als insgesamt acht Raketen sowjetischer Bauart – ein Erbe der zehnjährigen Besetzung des Landes – in einem dichtbesiedelten Viertel im Norden sowie in einem belebten Markt im Westen Kabuls einschlugen. Gestern wurde ebenfalls ein Wohngebiet von Raketen getroffen, wobei mehr als zehn Menschen starben.

Die Raketen wurden etwa 30 Kilometer nördlich von Kabul abgefeuert. Dort, in der Kohdaman- Ebene mit dem früheren Kabuler Militärflughafen Bagram, befinden sich die vorgeschobenen Stellungen der Mudschaheddin Ahmad Schah Masuds, des letzten ernsthaften Gegners der Taliban. Ziel der Raketenangriffe war offensichtlich der nahe mehreren Wohngebieten liegende frühere Zivilflughafen Kabuls. Er war bereits in den Vorjahren mehrmals von Raketen verfehlt worden, wobei stets Zivilisten zu Schaden kamen.

Masud, im Kampf gegen die Sowjets als „Löwe vom Pandschirtal“ bekanntgeworden, kontrolliert das einzige geschlossene Gebiet, das die Taliban noch nicht erobern konnten. Es umfaßt neben Teilen der Kohdaman-Ebene das nördlich anschließende Pandschirtal – seine Hochburg – sowie die dünnbesiedelten Provinzen Badachschan und teilweise Tochar entlang der Grenze zu Tadschikistan. Diese letzte Landverbindung zur Außenwelt drohen die Taliban jetzt zu durchtrennen, Masud wehrt sich dagegen mit allen Mitteln. Einen eigenen Flugplatz besitzen die Taliban-Gegner seit dem Verlust Bamians vor über einer Woche nicht mehr. Noch am Donnerstag hatte Masud den Taliban „Völkermord“ bei der Eroberung der Städte Mazar-e Scharif und Bamian vorgeworfen. Iran schloß unterdessen gestern die Verlegung von weiteren 200.000 Soldaten an die Grenze zu Afghanistan ab, wo ab morgen ein weiteres Großmanöver stattfinden soll. Im Manövergebiet waren nach vorangegangenen Übungen bereits 70.000 weitere Soldaten verblieben. Am Rande der UN-Generalversammlung in New York sollte gestern die sogenannte 6+2-Gruppe tagen: die Nachbarländer Afghanistans einschließlich der Rivalen Pakistan und Iran plus USA und Rußland.

In der Geiselkrise warf Teheran den Taliban vor, bei der Einnahme der zentralafghanischen Stadt Bamian zwei weitere Iraner gefangengenommen zu haben.

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