: Mit Sicherheit ins parteipolitische Nirwana
Auch im Wahlkampf ist die Berliner FDP hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt. Rechtsaußen Alexander von Stahl rührt mit seiner Kampagne an den fragilen Waffenstillstand mit der liberalen Mehrheitslinie. Nach der Wahl werden die internen Konflikte wieder aufbrechen ■ Von Ralph Bollmann
Nur ein einziges Mal geriet der Bundeswirtschaftsminister an diesem Abend wirklich in Wallung. Eine Stunde lang hatte Günter Rexrodt, eher gelangweilt als engagiert, vor nicht einmal fünfzig Getreuen die FDP-Linie für die letzte Wahlkampfphase heruntergespult: Am Sonntag ist „Schicksalswahl“, Rot-Grün würde das zarte Pflänzchen der ersten Reformen wieder zerstören, die die Liberalen dem schwerfälligen Koalitionspartner nach 16 Jahren endlich abgerungen haben.
Doch dann fragt ein Zuhörer, scheinbar harmlos, ob der Minister nicht „die Leute in die Hände der Rechtsradikalen“ treibe, wenn beispielsweise eine englische Gartenbaufirma in Berlin zu Billiglöhnen arbeiten dürfe. „Die Grenzen dichtzumachen“, entgegnet Rexrodt scharf, „führt in eine Sackgasse.“ Eine solche Forderung sei „nicht mehr liberal“, führe in einen „gefährlichen Bereich“.
Die Dünnhäutigkeit des Ministers kommt nicht von ungefähr. Schließlich droht der Clinch mit dem nationalliberalen Parteiflügel um den früheren Generalbundesanwalt Alexander von Stahl das Berliner Wahlergebnis gründlich zu vermasseln. Rund drei Prozentpünktchen geben Meinungsumfragen den Berliner Liberalen, nur halb soviel wie im Bundesdurchschnitt. Selbst für Rexrodt, auf dem vermeintlich sicheren Platz eins der Landesliste plaziert, könnte es eng werden. Doch Sozial-, Wirtschafts- und Nationalliberale streiten um die Parteipöstchen in der Splitterpartei, als gehe es um die Macht in der Republik.
Die Zeiten, in denen die FDP einmal eine Rolle spielte in der Stadt, lassen sich nur noch als ferne Erinnerung an den Biographien der Kandidaten ablesen: „1985 bis 1989 Senator für Finanzen“, steht da unter Rexroths Namen zu lesen, „von 1975 bis 1989 Staatssekretär der Justizverwaltung“, heißt es bei von Stahl.
Seit dem Landesparteitag im Frühjahr herrscht ein Waffenstillstand, der bis zum Wahlsonntag befristet ist. Bei der Aufstellung der Bundestagskandidaten sprachen sich rechter und linker Parteiflügel ab – zu Lasten des damaligen Landesvorsitzenden Martin Matz, der nicht einmal den aussichtslosen dritten Listenplatz erhielt und zurücktrat. Ein „Bündnis von Blüm und Bismarck“, so klagte er, habe ihn gestürzt. Jetzt tritt der smarte 33jährige unter dem Slogan „Das Auge wählt mit“ als Direktkandidat im medienwirksamen Wahlkreis Mitte/Prenzlauer Berg an, wo die Partei vor vier Jahren 1,0 Prozent der Erststimmen erhielt. Doch zeigt sich Matz optimistisch, daß der Stimmenanteil „in irgendeiner Form steigt“.
Den zweiten Platz der Landesliste, hinter dem obligaten Rexrodt, erhielt die Linksliberale Carola von Braun. Dafür gestand der Parteitag den vier rechten Hochburgen eigene Direktkandidaten zu: Alexander von Stahl höchstselbst in Spandau, Alexander Fritsch in Tempelhof, Axel Hahn in Neukölln und Herbert Lompe in Reinickendorf. Die Wahlkreisgrenzen mutierten zu Waffenstillstandslinien. „Ich würde Herrn von Stahl nicht empfehlen, in meinem Wahlkreis Kreuzberg/Schöneberg aufzutreten“, markiert von Braun die Grenzen der innerparteilichen Toleranz. Der Tempelhofer Kandidat Fritsch jedoch, moniert der Ex- Landesvorsitzende Matz, habe als Berliner Wahlkampfkoordinator gleichzeitig einen „Separatwahlkampf“ organisiert. Für Ärger sorgten die Nationalliberalen vor allem damit, daß sie in ihren Wahlkreisen das Konterfei Alexander von Stahls samt Aufschrift „Deutschland. Sicher“ auf die Plakattafeln klebten – obwohl die Partei doch eigentlich nur Günter Rexrodt als Gesamtberliner Kandidaten bewerben wollte. „Das wird nach der Wahl noch Diskussionen geben“, droht Carola von Braun. Allenfalls „aus Kostengründen“ hätten einige Wahlkreise auf eigene Plakate verzichtet, beteuert hingegen Fritsch.
Der frühere Landesgeschäftsführer Knut-Michael Wichalski, der den Wahlkampf von Stahls organisiert, zeigt sich weniger darauf bedacht, die Parteilinie wenigstens formal einzuhalten. Der Spandauer FDP-Kandidat sei „das, was früher Lummer war“, frohlockt er. Erst seit von Stahl statt der „gestanzten Formulierungen“ des offiziellen Parteiprogramms lieber „holzschnittartiger und radikaler“ argumentiere, habe er im Wahlkampf „was erreicht“.
Direktkandidat Matz, der noch im FDP-Bundesvorstand sitzt, hofft unterdessen auf das Unterscheidungsvermögen der Wähler. „Bundespolitische Motive“ gäben am Sonntag den Ausschlag. Daß die Berliner Liberalen ein „problematischer Haufen“ seien, hält er allenfalls für einen „Störfaktor“. Wenn seine Bonner Termine es zulassen, tingelt deshalb auch der Wirtschaftsminister, vor drei Jahren als Landesvorsitzender kläglich gescheitert, mit seinem ganzen bundespolitischen Gewicht durch den Berliner Wahlkampf. Obwohl die FDP stets die kleinsten Säle mietet, tun sich in den Stuhlreihen meist bedenkliche Lücken auf. Rexrodt plaudert dann nur ein wenig, denn mit einer richtigen Rede will er es vor solch einem „überschaubaren Kreis“ lieber „nicht übertreiben“.
„Es gibt keine einfachen Rezepte“, erhebt er dann die Konzeptionslosigkeit zum Programm. Aber weil „das ja eine Wahlkampfveranstaltung ist“, findet er doch noch tadelnde Worte für Gerhard Schröder: „Der Mann will zur Macht. Sonst nichts.“
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