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„Erst Brent Spar – jetzt brennt Hamburg“

Shell-Belegschaft protestiert gegen Kahlschlagplan des Vorstandes  ■ Von Florian Marten

Die Alpträume von Ruth Lange, der kämpferischen Betriebsratsvorsitzenden der Deutschen Shell AG, haben sich gestern nicht erfüllt: „Ich dachte, wir würden vor leeren Bänken sprechen. Doch jetzt hätten wir noch die Hälfte mehr dazustellen können.“ Tatsächlich fand sich gestern nachmittag fast die gesamte 850-köpfige Shell-Belegschaft zum „sit out“ vor dem Konzernhochhaus in der City Nord ein. Mit dieser außerordentlichen Betriebsversammlung unter freiem Himmel protestierte die Belegschaft gegen den Beschluß der internationalen Konzernzentrale, das Hamburger Hauptquartier zu verkaufen und die deutsche Shell-Verwaltung erheblich zu verkleinern.

Das Unverständnis über diesen gegen den Willen des Deutschen Shell-Vorstandes gefaßten einsamen Beschlußes prägte auch die gestrige Versammlung. Ruth Lange sprach von „schierer wirtschaftlicher Unvernunft“ und einer „totalen Verunsicherung“ der Shell-Kunden: „Was sind das für Kaufleute? Sie sollten lieber Monopoly spielen, als über das Schicksal realer Menschen zu entscheiden.“

Dem konnte auch der deutsche Shell-Boß Rainer Laufs nur wenig entgegensetzen: „Ich verstehe ihre Sorgen und Emotionen.“ Konkrete Neuigkeiten hatte er nicht mitgebracht: Erst „Ende des Jahres“ werde es ein „endgültiges Konzept“ und damit „Klarheit für jeden geben“.

Der Verkauf der Zentrale steht unverrückbar fest, unklar ist aber offensichtlich, ob nicht vielleicht doch ein Teil der „stolzen Shellisten“, die „dies auch in Zukunft bleiben wollen“, wie ein Plakat verriet, in der alten Zentrale bleiben kann. Denn der Auszug aus der City Nord ist auch wirtschaftlich Unsinn, wie der deutsche Vorstand ermittelte. Hinter den Kulissen bemühen sich deshalb Vorstand, Betriebsräte und Gewerkschaft, den Schaden möglichst gering zu halten. Ziel ist, wie SPD-Wirtschaftssenator Thomas Mirow betonte: „Wir wollen uns für eine starke Deutsche Shell am Standort Hamburg einsetzen.“

Zwar konnte Mirow der Belegschaft keine handfeste Hilfe anbieten, doch kritisierte er mit ungewöhnlich scharfen Äußerungen die Konzern-Führung: „Wenn Globalisierung nicht zerstören soll, dann müssen gerade internationale Unternehmen auch Verantwortung zeigen.“ Shells Führung habe „Vertrauen“ beschädigt und irre sich, wenn sie glaube, eine Schwächung nationaler Gesellschaften sei die richtige Strategie. Dies zeigten die Probleme von Opel und Ford in Deutschland, bei denen es ähnliche Fehlentwicklungen gebe.

Mit versteinertem Gesicht verfolgte der sichtlich gealterte Ex-Umweltsenator und Neu-Shell-Vorstand Fritz Vahrenholt (SPD) die Protestveranstaltung. Auf die Reporterfrage: „Wird jetzt alles eingerissen, was sie bei Shell aufgebaut haben?“ stieß er nur ein kurzes „Ja“ hervor. Beziehungsvoll mahnte ein handgemaltes Plakat: „Erst Brent Spar – jetzt brennt Hamburg.“

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