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Käseglocke über der Stadtteil-Insel

Nach 20 Jahren wird die Sanierung in St. Georg demnächst abgeschlossen. Manche befürchten eine weitere Yuppisierung des Viertels und fordern eine Soziale Erhaltungssatzung  ■ Von Christine Holch

Die Lange Reihe vor 20 Jahren: Mitten durch das Gründerzeitquartier brettern Lkws, beladen mit Containern, die grüne Welle garantiert schnelles Durchkommen. Schmale Bürgersteige führen an alteingesessenen Läden wie Betten-Sass oder der Buchhandlung Wohlers vorbei, an Spielhallen und Rotlicht-Etablissements. Kein Grün weit und breit. Der zentrale Platz ist vollgeparkt. Dunkel sind die Wohnungen, die zu dicht bebauten Hinterhöfen hin gelegen sind. 36 Prozent haben weder Bad noch Dusche.

Jahrelang hat hier kein Hausbesitzer mehr investiert. Schließlich plante in den 60er Jahren die Neue Heimat, das Viertel abzureißen und statt dessen das „Alsterzentrum“ zu bauen mit 63geschossigen Wohntürmen. Daraus wurde nichts. Es folgten Jahre der Planungsunsicherheit, das ärmliche Viertel wurde vollends zum Sanierungsfall. Viele Alteingesessene zogen fort. Ihren Platz nahmen StudentInnen und ausländische Familien ein. 1979 schließlich wurden die Lange Reihe und ihre beiden Parallelstraßen Greifswalder Straße und Koppel zum Sanierungsgebiet erklärt. Ende dieses Jahres nun wird das Projekt abgeschlossen.

Die Lange Reihe heute: Langsam fahren PKW durch die stark verwundene und verschmälerte Straße, gebremst zudem durch mehrere Ampeln. Auf dem zentralen Carl-von-Ossietzky-Platz, stehen statt Autos Gemüse-, Klamotten- und Bratwurststände. In den Hinterhöfen gibt es Gärten und Spielplätze. Die Wohnungen sind hell, mehr als 30 Prozent wurden modernisiert. Auf den breiten Gehwegen flanieren die Menschen an türkischen Gemüseläden vorbei, an Betten Sass und der Buchhandlung Wohlers. Spielhallen und Sexshops sind verschwunden, neu dagegen sind zum Beispiel das Lagerhaus mit modischen Wohnaccessoires oder das Restaurant Cox, wo es „krosse Ente aus dem Ofen in Honigjus mit Kürbis-Ingwer-Gemüse und Sesamplätzchen“ gibt.

Alles wunderbar also? Nein, meint Michael Joho vom „Einwohnerverein St. Georg von 1987“. Er sieht „eine deutliche Tendenz zur Aufschickung“. Das St. Georg der kleinen Leute werde verschwinden. Immer mehr Gutverdienende zögen zu und kauften sich eine der vielen frisch umgewandelten Eigentumswohnungen. Zugleich eröffneten teure Läden und Lokale: „Mit denen kann ein Hausbesitzer eben mehr Geld machen als mit einem Schneider.“ Alteingesessene Geschäfte seien eingegangen, etwa der letzte Schlachter und der letzte Fischladen in der Straße.

Hinzu komme, daß immer mehr Häuser, die mit öffentlichen Geldern saniert wurden, aus der Mietpreisbindung herausfielen. Die gilt meist nur für 12 Jahre. Vor wenigen Jahren noch hätten die Mieten in St. Georg unter dem Hamburger Durchschnitt gelegen, heute müßten Neumieter 16 Mark und mehr pro Quadratmeter zahlen, sagt Joho.

Andreas Pfadt, Geschäftsführer beim Sanierungsträger, der Arbeitsgruppe für Stadtplanung und Kommunalbau (ASK), bestätigt das Auslaufen der Mietpreisbindung. Aber weil der Wohnungsmarkt derzeit entspannt sei, rechne er nicht damit, „daß jetzt gleich der Wilde Westen ausbricht.“

Ohnehin könne Stadterneuerung nicht auf Dauer eine Insel der Glückseligkeit außerhalb des Kapitalismus schaffen, dazu habe sie nicht das Instrumentarium, und das sähen auch weder das Städtebauförderungsgesetz noch das Baugesetzbuch vor. Ziel sei vielmehr, Stadtteile, die aus dem Prozeß selbstgesteuerter Erneuerung herausgefallen sind, wieder in den „normalen marktgesteuerten städtischen Entwicklungsprozeß hineinzuheben“.

Nur für die Zeit der Sanierung selbst wird dem Viertel eine „Käseglocke“ übergestülpt, damit sich die Aufwertung eines Quartiers nicht geradewegs in Mieterhöhung und Umwandlung niederschlägt: Hausbesitzer dürfen für ein paar Jahre nicht frei über ihren Besitz verfügen, also Mieten stark erhöhen oder ohne Einwilligung der Stadt ihre Häuser verkaufen. Dafür, so der Deal, bekommen sie Geld zur Modernisierung, und sie werden steuerlich entlastet.

Aber war nicht 1979 auch der Erhalt der Sozialstruktur versprochen worden? „Das ist oft falsch verstanden worden“, sagt Stadtplaner Pfadt. Gemeint gewesen sei, daß niemand durch die Sanierung gegen seinen Willen verpflanzt werde – das sei auch gelungen, dank ausreichender Ausweichwohnungen für Sanierungsbetroffene und dank der Mietpreisbindung. Nicht gemeint sei mit dem Erhalt der Sozialstruktur, daß immer genau dieselbe Art Leute im Viertel wohne: „Sie haben in einer Stadt immer einen Wechsel von Überalterung und Verjüngung.“

Aber nehmen die Yuppies nicht allmählich überhand? Da muß Pfadt lachen, denn viele dieser Gutverdienenden seien nicht neu Hinzugezogene, sondern ehemalige Studenten. Sie gehörten einst zur „Pionierbevölkerung“, die Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre in das verwahrloste und damit preiswerte Altbauviertel zog, „eine hochmobile Bevölkerung im Übergangsstadium, die jetzt nach 15 Jahren Ausbildung gottseidank zu Geld gekommen ist“.

Allerdings gibt es tatsächlich eine Reihe gutverdienender Neu-St. Georgianer, häufig Schauspieler oder Leute aus der Medien- und Werbebranche. Zogen Besserverdienende einst als erste an den grünen Stadtrand, so zieht es sie heute häufig in attraktive Innenstadtquartiere. Ihre Kaufkraft lockt höherwertigen Handel und Gastronomie an.

„Aber wenn nun die Leute jammern wegen der verschwundenen alten Läden, kann ich nur sagen: Es ist ein Wunder, daß das hier überhaupt noch so aussieht“, meint Pfadt. „Der traditionelle Einzelhandel ist woanders längst über die Klinge gesprungen.“ Die Inselsituation habe sich möglicherweise, wie im Schanzenviertel, deshalb lang gehalten, weil neben den Anwohnern viele hier Berufstätige im Viertel einkaufen. Außerdem habe man durch den Bebauungsplan das Eindringen großer Supermärkte sowie von Spielhallen und Sexshops verhindert, die mit ihren hohen Umsätzen die eigentlichen Mietpreistreiber und damit Feinde des klassischen Einzelhandels seien. „Einen weiteren Einfluß auf die Struktur der Läden haben wir nicht“, sagt Pfadt.

Und die zunehmende Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, die der Einwohnerverein in St. Georg beobachtet? Zum Beispiel an der Schmilinskystraße oder an der St.-Georg-Straße, wo die Immobilienfirma Haueisen mehrere Häuser saniert hat und jetzt verkauft. „Da war der Schimmel drin, da mußte man fürchterlich viel Geld reinstecken“, erklärt Pfadt, „da wären wir gern reingegangen, aber das war außerhalb des Sanierungsgebietes.“ Das endet nämlich an Schmilinskystraße und Spadenteich.

Haueisen, der Name ist bekannt im Viertel. Geschäftsführer Karl-Heinz Ramke profitiere gut von der Aufwertung des Viertels, fast sei er eine Art „Kriegsgewinnler“, heißt es. Andererseits investiere er in Projekte, die kein anderer anfassen wolle – er bebaue etwa eine äußerst schmale Baulücke in der Greifswalder Straße oder habe eins der ältesten Häuser in der Langen Reihe saniert, in dem jetzt die Künstlerpension Sarah Petersen residiert.

Es ist viel erreicht worden in St. Georg. Doch für die Zukunft des Viertels sehen nicht nur der Einwohnerverein, sondern auch Stadtplaner Pfadt drohendes Ungemach: Wenn die „Käseglocke“ abgehoben wird, würden mit zeitlicher Verzögerung Wenigerverdienende dann doch vertrieben werden. Diese Entwicklung könne man nicht gänzlich verhindern, aber man müsse und könne sie deutlich begrenzen. Die Stadt solle, meint Pfadt, durch Nachsorge die Erfolge der Sanierung sichern, und zwar durch eine Soziale Erhaltungssatzung – wie sie auch für Eimsbüttel gilt. Dadurch werden exorbitante Mietsteigerungen verhindert, und Grundbesitzer müssen sich Luxusmodernisierungen und Verkäufe genehmigen lassen.

„Wir würden gern eine soziale Erhaltungsordnung durchsetzen“, sagt Ina Klotzhuber, Sprecherin der Stadtentwicklungsbehörde, „aber dann muß man auch das Geld haben, um im Zweifel vom Vorkaufsrecht der Stadt Gebrauch machen zu können, wenn jemand trotzdem verkaufen will. Wir prüfen das zwar, aber wir können nicht die ganze Stadt mit dem Paragraphen 172 des Baugesetzbuches überziehen. Die Stadt ist nicht der Goldesel, der Mieterhöhungen ewig verhindern kann.“

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