piwik no script img

Staatschefs der Welt streicheln Schröder

■ Westeuropas Regierungen freuen sich über den SPD-Sieg, nur die Polen trauern Kohl nach

Berlin (taz/AFP) – Die sozialdemokratischen Regierungen Westeuropas haben den Wahlsieg der SPD durchweg begrüßt. Die britische Labour-Regierung wünscht sich eine enge Zusammenarbeit mit der neuen rot-grünen Regierung in Deutschland. Es werde „definitiv“ eine enge deutsch-britische Kooperation in Wirtschaftsfragen innerhalb der EU geben, sagt Ed Balls, Chefberater des Finanzministers Gordon Brown, gestern der taz.

Österreichs sozialdemokratischer Bundeskanzler Viktor Klima sprach von einem „historischen Erfolg“. Mit dem SPD-Sieg in Deutschland entstehe ein „sozialdemokratisches Europa“, ein „Europa der Beschäftigung“. Schwedens Ministerpräsident Göran Persson zeigte sich „glücklich und überrascht“. Portugals sozialistischer Ministerpräsident Antonio Guterres äußerte die Hoffnung, daß die neue deutsche Regierung eine „Vertiefung der europäischen Union“ im Geist der „Solidarität und Demokratie“ herbeiführen werde. Die italienische Linke sah in Schröders Sieg eine Chance für ein soziales Europa, während das Mitte-Rechts-Bündnis sein Bedauern über die Niederlage Kohls ausdrückte. Spaniens Sozialisten wollen von Deutschland lernen. Der konservative Regierungschef in Madrid, José Maria Aznar, „steht jetzt allein da“, jubelt der von den Sozialisten zu ihrem Spitzenkandidaten ernannte Josep Borrell.

In Rußland ist man offensichtlich zu sehr mit der Bildung seiner eigenen Regierung beschäftigt – selbst Boris Jelzin fand noch keine Zeit, den Fall seines Busenfreundes Kohl zu kommentieren. Lediglich Kommunistenchef Gennadi Sjuganow freute sich öffentlich über den „Linksruck der Stimmung in Deutschland“ und nutzte die Gelegenheit für einen Seitenhieb: „Die Deutschen sind sehr enttäuscht, daß ihre 40 Milliarden Investitionen für die Entwicklung der russischen Wirtschaft in die Hände von Betrügern geraten sind.“ Sjuganow erwartet nun „eine Stärkung der deutschen Beziehungen mit Rußland und konkrete Programme und Investitionen, die sowohl den Investoren, als auch denen, die hier leben und arbeiten, Nutzen bringen.“

In Polen hingegen wollte Wladyslaw Bartoszeweski, ehemaliger Außenminister Polens und großer Freund Deutschlands, das Wahlergebnis erst gar nicht kommentieren, so enttäuscht war er: „Für uns Polen bedeutet das den Verlust eines glaubwürdigen und verläßlichen Partners.“ Zwar müsse eine SPD-geführte Regierung nicht zwangsläufig weniger zuverlässig sein. „Entscheidend für Polen sind aber die Ansichten der Koalitionspartner zur Osterweiterung von EU und Nato.“ Bartoszewski befürchtet, daß der Einfluß der Grünen zu einer Verschlechterung der deutsch-polnischen Beziehungen führen konnte. Immerhin stelle ein Teil der Grünen die Interessen Moskaus über die der mitteleuropäischen Staaten.

In Washington hingegen überwog die Zuneigung: US-Präsident Bill Clinton erklärte, Deutschland sei einer der wichtigsten Verbündeten der Vereinigten Staaten. Er freue sich auf die Zusammenarbeit mit Gerhard Schröder.

Den chinesischen Medien ist nur Kohl eine Schlagzeile wert – zu Schröder hielten sie sich auffällig zurück. Kein Wunder, denn Schröder ist in China ein unbeschriebenes Blatt. Allerdings hat man wohl verstanden, daß der neue Mann nicht für radikale Veränderungen steht. Deshalb erkundigten sich chinesische Diplomaten vor allem nach dem zukünftigen deutschen Außenminister. Könnte wirklich ein Grüner dieser Rolle übernehmen? Da hatten es die bekannten SPD-Mitglieder in Peking gestern schwer, ihren Befragern die Bedeutungslosigkeit des Bonner Außenministers zu erklären. Außenpolitik werde ohnehin im Kanzleramt gemacht, ließ man verlauten. Die chinesischen Deutschlandexperten staunten. rw, gl, kg, gb, d.j.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen