"Die PDS ist einfach unersetzbar"

■ Gregor Gysi, der zukünftige Fraktionschef der PDS im Bundestag, über den Abgang von Helmut Kohl, Gerhard Schröders rot-grüne Regierung, die Arroganz der Grünen im Osten und die Rolle der PDS als einzige l

taz: Herr Gysi, hat sich Schröder bei Ihnen schon gemeldet?

Gregor Gysi: Nein.

Rechnen Sie mit einem Anruf?

Eher nicht. Die SPD hat im Moment andere Sorgen. Erst wenn Rot-Grün steht, werden sich die Sozialdemokraten mit der Frage beschäftigen, ob und wie man gelegentlich auch die Unterstützung einer anderen Fraktion bekommt.

Warum sollte die SPD überhaupt mit der PDS reden?

Wegen Mecklenburg-Vorpommern, auch wegen der Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im nächsten Jahr. Ich bin sicher, daß die SPD mit uns das Gespräch sucht. Sie wird gegenüber der PDS eine Phase der Normalisierung einleiten müssen, um nicht wieder in die Situation zu kommen, daß im Osten eine Große Koalition die einzige Regierungsmöglichkeit ist. Auf die Dauer ist das keine kluge Politik.

Gilt diese Normalisierung nur für den Osten oder auch für Bonn?

Wenn die Genossen in der Baracke nur einen Gedanken an 2002 oder 2006 verschenken würden, dann wüßten sie, daß es ein Fehler wäre, nicht auf die PDS zuzugehen. Irgendwann hat sich das Feindbild PDS erledigt, und dann kann es für die SPD nur gut sein, viele Koalitionsmöglichkeiten zu haben. Auf Dauer auf die Grünen angewiesen zu sein, schränkt den Spielraum der SPD unnötig ein.

Sie haben erklärt, daß Schröder bei der Kanzlerwahl die Stimmen der PDS bekommt, wenn er sie braucht; wenn er sie nicht braucht, bekommt er sie nicht. Die SPD will Ihre Stimmen aber gar nicht. Warum also dieser Eiertanz?

Ich will nur die Position der PDS deutlich machen: Schröder ist nicht unser Kanzlerkandidat. Wenn er eine Mehrheit jenseits der PDS hat, dann ist es nicht unsere Mehrheit. Es gibt überhaupt keinen Grund, ein solches Ergebnis durch unsere Stimmen zu verwässern. Dann würden wir doch nur für alles mithaften, was Schröder macht.

Rot-Grün braucht nicht Ihre Stimmen. Das heißt umgekehrt, die PDS hat einen Machtwechsel in Bonn nicht verhindert. Sind Sie froh darüber?

Einerseits schon. Andererseits hat mich der Vorwurf, wir würden Rot-Grün verhindern, nicht sonderlich belastet. Wer ausgrenzt, trägt die Verantwortung, nicht derjenige, der ausgegrenzt wird. Es hätte an Selbstaufgabe gegrenzt, wenn wir zur Wahl von SPD und Grünen aufgerufen hätten.

Aber wohl gefühlt hätten Sie sich trotzdem nicht, wenn es heute geheißen hätte, Rot-Grün ist wegen der PDS nicht möglich.

Bestimmt nicht. Aber das Wahlergebnis zeigt mehr denn je: Die PDS ist einfach unersetzbar. SPD und Grüne strahlen eine politische Kultur aus, die mit der Kultur der PDS nur wenig zu tun hat. Ich finde es merkwürdig, wie man so wenig gesellschaftsstrategisch denken kann. Wie man innerlich ernsthaft sagen kann, wir wünschen uns, daß zwanzig Prozent der Ostdeutschen nicht im Parlament vertreten sind, und wie man das aus wahltaktischen Gründen auch noch als völlig normal empfindet – das geht mir nicht in den Kopf. Wenn die PDS gescheitert wäre, hätten SPD und Grüne ein schlechtes Gewissen haben müssen. Einer wie Trittin, der in seiner Denkweise so durch und durch westlich ist, kann mit seiner Partei den Osten nie und nimmer repräsentieren. Trittin fährt durch den Osten, als hätte er persönlich zehn Jahre in Bautzen gesessen.

Worüber freuen Sie sich mehr: Über das Ende der Ära Kohl oder über das Ergebnis Ihrer Partei?

Ich freue mich viel mehr über unser Ergebnis. Kohls Abgang befriedigt mich; aber über Niederlagen freue ich mich nie.

Empfinden Sie Respekt vor der Lebensleistung Kohls?

Ich muß ungeheuer aufpassen, daß in mir kein Mitleid mit ihm aufkommt, denn an seinem Abgang ist nur einer schuld: Kohl selbst. Warum in aller Welt hat er vor zwei Jahren nicht seinen Rücktritt erklärt? Er hätte sich das jetzt alles nicht antun müssen. Aber er wollte es ja unbedingt noch einmal wissen. So organisiert man sich seine eigenen Niederlagen.

Das klingt, als täte Ihnen Kohl leid.

Das nicht, aber Helmut Kohl hat mir am Sonntag eine wichtige Lehre erteilt, obwohl er das nicht vorhatte: Man soll seine eigene Zeit nie überziehen.

Es gibt in Deutschland eine klare Mehrheit links von der Mitte. Ist das schon die Berliner Republik, von der Sie immer reden?

Ja, dieses Ergebnis ist Ausdruck einer Zeitenwende. Die Linke in Europa ist wieder attraktiv geworden. Der Zusammenbruch des kommunistischen Systems hat zu einer Marktradikalität und zu einem Sozialabbau geführt, der im Westen noch vor ein paar Jahren nicht für möglich gehalten wurde. Früher war der Osten ein Gegenpol, der das soziale System im Westen so halbwegs im Gleichgewicht gehalten hat. Jetzt haben die Menschen begriffen, daß man die Kräfte gegen den neoliberalen Kurs in den eigenen Ländern organisieren muß, sonst geht es sozial den Bach runter.

Und den Wahlkreis in der Mitte dieser Berliner Republik hat ausgerechnet die PDS gewonnen.

Darauf bin ich besonders stolz. Der grandiose Sieg von Petra Pau ist genau das richtige Symbol für die neue Republik.

Vier Direktmandate und über fünf Prozent der Zweitstimmen – was bedeutet dieses Ergebnis für die PDS?

Es ist eine Zäsur für die Partei. Daß wir mit einer eigenen Fraktion in den Bundestag einziehen, ist ein Qualitätssprung. Er wird dazu führen, daß wir im Westen anders wahrgenommen werden. Darin liegt die Chance, unseren Anspruch, eine bundesweite sozialistische Partei zu sein, endlich einzulösen. Die zweite Zäsur betrifft unsere Rolle als linke Opposition einer rot-grünen Regierung. Wären wir eine von drei Oppositionsparteien unter einer Großen Koalition, stünden uns vier schwierige Jahre bevor. Als einzige linke Oppositionspartei werden wir aufblühen, auch im Westen. Interview: Jens König