„Ich bitte um Aufklärung!“

■ Eine Einführung in den Lokaljournalismus / 12. Lektion: LeserbriefschreiberInnen

Wir lieben Sie. Das bringt der Beruf des Journalisten quasi so mit sich. Aber zuweilen sind Sie – der Leser – durchaus ein lästiges Geschöpf.

Natürlich: Nach nichts anderem trachtet all unser Streben als danach, Sie tagtäglich – Sonntaz allerdings nie – glücklich zu machen. Und in aller Regel klappt das besser als in jeder durchschnittlichen Liebesbeziehung: Wir faseln Sie ununterbrochen zu, und Sie bezahlen uns noch dafür und halten ansonsten Ihren Mund. Das nennt man vollkommene Harmonie. Doch immer wieder wird diese innige Zweisamkeit überschattet von Störenfrieden, die meinen, sie müßten ihre wodurch auch immer hervorgerufene schlechte Laune abreagieren. Und in einer solchen Stimmung haben diese Typen – scheint ein Naturgesetz zu sein – immer Papier, Bleistift und die taz zur Hand und verfassen Leserbriefe, die sie uns zu allem Unglück auch noch unaufgefordert zusenden.

Der Herr Daniel Röhrig zum Beispiel. Er liest, was durchaus für ihn spricht, die Kulturseite unserer Zeitung. Und dort, so schreibt er uns, hat er kürzlich folgenden Satz entdeckt: „Schön, daß nach so viele Zerstörungen öffentlicher Kunstwerke, diesen Optimismus nicht zerstören konnten.“

Zugegeben: Der tiefere Sinn dieser Aussage erschließt sich dem unbedarftem Leser nicht unmittelbar. Man könnte gar soweit gehen zu behaupten, daß auch der bedarfte Leser Mühe haben dürfte, den propositionalen Gehalt dieses Satzes mit eigenen Worten wiederzugeben. Aber anstatt das als bewußt gestreute Herausforderung an die intellektuellen Fähigkeiten des Lesers zu begreifen und sich daher ganz still in die Ecke zu setzen und mit hermeneutischem Wohlwollen zum Kern jener gewagten These vorzustoßen, greift sich der Herr Röhrig einen Zettel und fleht darauf kleinmütig: „Ich bitte um Aufklärung!“ Um Aufklärung bitten: Ja wo sind wir denn? Im 18. Jahrhundert, Herr Röhrig? Noch nie was von Postmoderne, Dekonstruktivismus, Helge Schneider und dem ganzen Zeug gehört? Lesen Sie etwa Zeitungen, um die Welt besser verstehen zu können? Erwarten Sie gar, daß Journalisten überhaupt etwas sinnvolles sagen wollen? Ach ne, Herr Röhrig, schon mal darüber nachgedacht, daß Menschen wie Sie bereits vor langer Zeit ausgestorben sind?

Zu unserer Beruhigung versichert uns Herr Röhrig, er sei kein Abonnent, so daß wir nicht zu befürchten hätten, er wolle aus Verärgerung sein Abo kündigen. Ach Herr Röhrig – oder besser, in Anlehnung an die Anrede, die der Herr Röhrig für uns gewählt hat – lieber Genosse Nichttazabonnent Röhrig, wir halten es da ähnlich wie die Gallier: Allenfalls fürchten wir, daß uns der Himmel auf den Kopf fällt. Und daß jemand tatsächlich unsere Texte liest und anschließend ernsthaft darüber sinniert, was wir wohl sagen wollen.

Sie können sich vorstellen, angesichts solcher überzogener Erwartungshaltungen entwickeln sich bei uns totale Schreibblockaden. Keinen Satz, nicht mal einen durchschnittlich unvernünftigen wie den oben zitierten, kriegen wir da noch aufs Papier. Wenn das so weiter geht, wird die taz bald nur noch aus leeren Seiten bestehen. Und die hoffnungsvollen Nachwuchslokaljournalisten, die wir seit Wochen schon auf ihren neuen Job vorbereiten, werden traumatisiert sein, noch ehe sie ihre neue Profession richtig ausüben konnten. Alles nur wegen derart pingeligen Menschen wie Ihnen.

Also, lieber Daniel Röhrig, lassen Sie es uns ganz unmißverständlich auf den Punkt bringen: Schäbig, daß nach so viele Kirschstreusel zwischen Sofaritzen, diese Vision eines besseren Lebens so gnadenlos abkackt in den Rührteig aufgehen bis bald. Sie verstehen schon, was wir meinen. zott