Vor allem politisch unkorrekt

Einschärfungen im Dutzend. Eine Berliner Veranstaltungsreihe widmete sich dem Werk Thomas Bernhards zwischen Schreiben, Politik und Existenzpolitik  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Im Februar 1989 ist Thomas Bernhard gestorben. Schade eigentlich. So wird einem der auf den zehnten Todestag bezugnehmende Satz versaut, mit dem man sonst obligatorisch einen Artikel über die von der Peter-Weiss-Stiftung für Kunst und Politik initiierte Berliner Veranstaltungsreihe „thomas bernhard – eine einschärfung“ hätte beginnen können.

Den ganzen September über beschäftigte man sich also mit dem Werk des großen Pessimisten, schaute sich diverse Filme mit oder über Bernhard an; es gab Lesungen, Podiumsgespräche, Theaterstücke, Musikinstallationen, Performances und auf dem internationalen Kongreß unter dem etwas hochtrabenden Titel „Thomas Bernhard und die Weltliteratur – Intertextualität, internationale Rezeption und kulturelle Perspektiven“ wurde dann alles beredet.

In 71 Vorträgen ging es um Bernhards Verhältnis zu den anderen Künsten, um „Erinnerungsarbeit“, „Krankheit als Metapher“, „Kunsthaß und Kanonbildung“, „Theater – Lebensform und Weltmodell“, Bernhard-Rezeption im Ausland, die „Anatomie der Disziplinarmächte, „Positionen und Strategien“ in kargen „Text-Räumen“, „(Auto-)Biographische Rudimente“, „Misogynie“, „Misanthropie“ und immer mal wieder um Politik.

Darüber, ob des Sprachgiganten Haß auf den klerikal-faschistischen österreichischen Staat nun eher der Ästhetik oder doch der Politik zuzuordnen ist, wurde rege diskutiert. Der Bernhard-Spezialist Günther Nenning sagte, es gebe nur einen Bernhard, und „der ist politisch“. Sein Staatsideal sei das von Platon gewesen. Wie alle avantgardistischen Dichter der Moderne sei Bernhard zutiefst antidemokratisch gewesen. Der Verleger Jochen Jung (Residenz Verlag) „behauptete mal frech“ das Gegenteil. Der wesentlich unpolitische Dichter habe sich vor allem politisch unkorrekt verhalten wollen. Der Philosoph und Foucault- Übersetzer Walter Seitter sprach dagegen von der Bernhardschen „Existenzpolitik“. Mit dem Schreiben in kierkegaardscher Tradition habe er sich das Leben erwirklicht.

Auf einem Parkplatz vor dem Literaturhaus stand eine zerbrochene Badewanne. Im Fontanejahr könnte man sagen, die Bernhard-Experten seien „stutzerhaft“ angezogen. Jemand sagt: „Ich habe Schwierigkeiten mit dem Begriff der Körperlichkeit“; ein anderer betont, daß das Weibliche bei Bernhard nur eine Metapher sei. Weil Unglück doof ist, bestanden manche darauf, daß Bernhard ein lebensfroher Mensch gewesen sei; weil Literaturwissenschaftler die normale Lektüre verachten, bestritten einige leidenschaftlich, daß es eine Verbindung zwischen Autor und Text gebe. In einer älteren Fernsehdiskussion mit dem Wiener Bernhard-Experten Wendelin Schmidt-Dengler hob Marcel Reich-Ranicki hervor, daß Bernhard eine völlig gestörte Sexualität gehabt habe bzw. asexuell gewesen sei. Ob er einen einzigen Dichter mit einer normalen Sexualität kennen würde, entgegnete daraufhin der pfiffige Germanist.

„Es wurde zuviel über das Pathologische gesprochen“, monierte die ukrainische Germanistin Tatjana Komarniytska, die in Bernhard einen umgedrehten Heimatdichter erkannte. Die Japaner schätzten an Bernhard gerade das autobiographische Element, berichtete Hisako Kuwahara; in Norwegen läsen vor allem Schriftsteller den Schriftsteller, so Sverre Dahl, und der Chef des rumänischen Germanistenverbandes versuchte über die Bernhard-Rezeption in einem Land zu sprechen, in dem kein einziges Buch des Dichters erschienen ist und lediglich vor zwanzig Jahren mal ein Bernhard- Stück kurz aufgeführt wurde.

Lang sprach man auch über das Testament des Dichters, in dem er verfügt hatte, keins seiner Werke dürfe mehr auf österreichischen Bühnen aufgeführt, keins seiner Bücher dürfe noch einmal in einem österreichischen Verlag erscheinen, und aus dem Nachlaß solle auch nichts veröffentlicht werden. Während viele auch seiner deutschen Bewunderer von dem Testament begeistert gewesen waren, auch wenn sie es noch viel besser gefunden hätten, wenn Bernhard das gleiche Verbot auch für Deutschland ausgesprochen hätte, waren österreichische Theaterleute und Verleger verärgert.

Mittlerweile fand man eine Möglichkeit, den Willen des Autors zu umgehen. Formalrechtlich ist es nämlich so, daß nur die Nachlaßverwalter – Bernhards Bruder Dr. Peter Fabian und Siegfried Unseld, sein Verleger – an das Bernhardsche Verdikt gebunden sind. Die Erben übertrugen also die Rechte, die sie selber nicht gebrauchen konnten, an eine von ihnen initiierte „Thomas Bernhard Privat Stiftung“, die am 15. 7. 98 gegründet wurde und mit den Rechten machen kann, was sie will. Das verstehe wer will und gefiel auch nicht jedem. Während Peter Turrini und Elfriede Jelinek sich über die Mißachtung des Autorenwillens empörten, regten sich andere darüber auf, daß Siegfried Unseld, der beratend mit der Stiftung „lediglich zusammenarbeitet“, nun quasi über ein Bernhardsches Gesamtwerkveröffentlichungsmonopol verfüge. Die international besetzte Stiftung hob das Österreichverbot zwar auf, bestimmt aber darüber, von wem und in welcher Form auch in Österreich Bernhard-Texte veröffentlicht oder aufgeführt werden können.

Das ärgert die, die selber Texte von Bernhard in Österreich herausgeben wollen. Etwa Günther Nenning, der eine Anthologie mit drei Bernhard-Texten herausgegeben hat. Das hat ihm die vom österreichischen Staat bezuschußte Bernhard-Stiftung untersagt und sich dabei witzigerweise auf Thomas Bernhard berufen, der es in „seinen letzten Jahrzehnten“ (Fabian) immer abgelehnt hätte, in Anthologien vertreten zu sein. Die Angelegenheit soll nun im Parlament erörtert werden.

Eine Freundin erzählt, daß die Bernhard-Lektüre ihr in ihren schlimmsten Depressionen geholfen hätte. Dies durchrhythmisierte Nebeneinander von Selbsthaß und Welthaß ist gute Medizin, wenn einem Selbst und Welt im Unglücklichsein grade abhanden kommen.