: Bitte nicht auf die Robben treten
Immer mehr Touristen zieht es in die bisher weitgehend unberührten Eiswüsten der Antarktis. Doch mit den Menschen kommen auch schädliche Viren und Bakterien, die die einzigartige Tierwelt der Südpolarregion gefährden. Antarktisexperten wollen jetzt noch strengere Schutzmaßnahmen durchsetzen lassen ■ Von Wiebke Rögener
Antarktis – damit verbindet sich die Vorstellung von schneeweißer, unberührter Weite, die bis heute weitgehend unbeeinflußt durch menschlichen Aktivitäten blieb. Zwar beanspruchten seit den vierziger Jahren einzelne Staaten jeweils Teilgebiete der Antarktis. Mitten in den Zeiten des Kalten Krieges gelang es jedoch 1961 ein einzigartiges Dokument internationaler Zusammenarbeit aufzusetzen: Mit dem Antarktisvertrag wurden alle territorialen Ansprüche auf Eis gelegt und militärische Aktivitäten auf diesem Kontinent verboten. Erlaubt sind dagegen wissenschaftliche Tätigkeiten und der Tourismus.
Inzwischen übersteigt die Zahl der Touristen in der Antarktis die der Wissenschaftler um mehr als das Doppelte. Nachdem auch die abgelegensten Winkel der Erde vom Massentourismus erreicht wurden, bietet eine Kreuzfahrt in die Antarktis noch den gewissen Kick – zu sein, wo nur wenige zuvor ihren Fuß hinsetzten. Die einzigartige Tierwelt und die grandiose Landschaft locken, und auch die Hinterlassenschaften der legendären Polarforscher sind Touristenattraktionen.
Allein, die Exklusivität schwindet, der Tourismus boomt. Mehr als 40.000 Urlauber haben seit 1957 den südlichsten Kontinent besucht. Das klingt, über die Jahrzehnte verteilt, recht mäßig. Doch die Steigerungsraten sind dramatisch: Allein in der vergangenen Saison kamen gut 10.000 Menschen. Für das kommende Jahr werden schon rund 14.000 Besucher erwartet. In den 45 Forschungsstationen der Antarktis halten sich zudem während des Polarsommers etwa 4.000 Wissenschaftler nebst Personal auf.
Die zunehmende menschliche Präsenz bleibt nicht ohne Folgen. Es mehren sich Berichte über eingeschleppte Mikroorganismen und Krankheitserreger, die in den Lebensgemeinschaften rund um den Südpol bislang unbekannt waren. Australische Wissenschaftler stellten im vergangenen Jahr bei zwei Arten antarktischer Pinguine Infektionen mit einem Virus fest, das sonst typischerweise in Haushühnern vorkommt. Dieses Infectious Bursal Disease Virus (IBDV) übersteht Hitze ebenso wie Trockenheit und verschiedene Chemikalien so gut, daß neue, besonders ansteckende Stämme sich in der Geflügelindustrie der nördlichen Hemisphäre rasch ausbreiten konnten.
Das Virus unterdrückt die Immunabwehr der Vögel und macht sie für weitere Krankheiten anfällig. In der Antarktis war die Infektion nur bei Pinguinen nachweisbar, die in der Nähe einer Forschungsstation brüteten. Bis zu zwei Drittel aller Jungtiere von Kaiserpinguinen enthielten Antikörper, die eine Ansteckung mit IBDV anzeigen. Kolonien an abgelegeneren Orten blieben verschont. Die Forscher gehen davon aus, daß die unsachgemäße Beseitigung von Geflügelabfällen die Quelle für diese Infektion sind. Raubmöwen sorgen möglicherweise für die weitere Verbreitung des Virus; aber auch an Kleidung, Stiefeln oder Ausrüstungsgegenständen von Forschern und Touristen haftend könnte es seinen Marsch in die Eiswüsten antreten.
Auch Bakterien, die wahrscheinlich vom Menschen eingeschleppt wurden, sind mehrfach bei Lebewesen der Südpolarregion nachgewiesen worden. Schwedische Forscher fanden seit 1996 Salmonellen in den Ausscheidungen von Robben, Pinguinen, Möwen und Albatrossen. Auf den Auckland-Inseln starben zu Beginn dieses Jahres rund 1.400 Seelöwen an einer Infektionskrankheit. Bei ihnen wurden ebenfalls Salmonellen sowie ein weiteres, nichtidentifiziertes Bakterium entdeckt. Auf der antarktischen Halbinsel verendeten Möwen an einer dort bislang unbekannten Pilzkrankheit.
Obwohl letzte Beweise für die Herkunft der Erreger ausstehen, gilt eine Verbreitung durch menschliche Aktivitäten als höchst wahrscheinlich. Bisher jedenfalls werden Abfälle vieler Antarktisstationen in einer Art und Weise „entsorgt“, die der Ausbreitung von Mikroorganismen keine Schranken setzt. Eine biologische Kläranlage, wie sie 1997 in der deutschen Neumayerstation installiert wurde, ist noch die Ausnahme. Abwässer der amerikanischen McMurdo-Station – mit etwa 1.000 Bewohnern die größte Ansiedlung in der Antarktis – gelangen ungeklärt ins Meer. Da überrascht es nicht, daß Wissenschaftler im Bereich des Abwasserauslaufs massenhaft Darmbakterien fanden. Der Bazillus Clostridium perfringens, Indiz für die Belastung eines Gewässers mit menschlichen Fäkalien, ist hier allgegenwärtig. Am Boden lebende Muscheln, Seegurken und Manteltiere enthalten große Mengen dieser Bakterien. Noch viele hundert Meter vom Auslauf entfernt sind die Spuren menschlicher Anwesenheit nachweisbar.
Wo jedes weggeworfene Taschentuch für die Ewigkeit konserviert wird, sehen Naturschützer den anschwellenden Touristenstrom mit einiger Besorgnis. Mancher befürchtet, die Besucher könnten die Antarktis bald „zu Tode lieben“. Die einschlägigen Reiseveranstalter, seit 1991 zusammengeschlossen in der „International Association of Antarctica Tour Operators“ (IAATO), verweisen dagegen auf ihre freiwilligen Selbstbeschränkungen. Danach sollen nicht mehr als 100 Touristen gleichzeitig an Land gehen, die Vegetation ist zu schonen, und zu Tieren sind Mindestabstände einzuhalten.
Wissenschaftler des Scott Polar Research Institute in Cambridge registrierten 1994 das Verhalten von Reisegruppen und stellten fest: Die Führer der Besuchertrupps interpretieren die IAATO-Richtlinien offenbar sehr unterschiedlich. Wo der eine auf Abstand zu brütenden Pinguinen bestand, ließ ein anderer seine Gäste ungehindert durch die Vogelkolonie laufen.
Das New Zealand Department of Conservation erforschte zwischen 1990 und 1995, wie die Antarktistouristen selbst die Umweltprobleme einschätzen. Den vorgeschriebenen Abstand von fünf Metern zu Robben und Vögeln hielten mehr als zwanzig Prozent für zu groß. Da erscheint es nicht mehr ganz so absurd, wenn ein deutsches Mitglied der IAATO in seinen Richtlinien darauf hinweist, Touristen sollten vermeiden, auf brütende Vögel und die nicht immer ganz ungefährlichen Pelzrobben zu treten.
Experten bezweifeln, daß freiwillige Beschränkungen ausreichen. Ende August trafen sich in Hobart, Tasmanien, fünfzig Antarktisspezialisten, um über wirksamere Maßnahmen zu beraten. Ihre Vorschläge wollen sie auf dem nächsten Treffen der Antarktisvertragsstaaten im Mai 1999 vorlegen. Demnach dürfte nur noch Geflügel aus nachweislich krankheitsfreien Beständen eingeführt werden. Menschliche Fäkalien müßten künftig abgekocht werden. Regionen, in die bereits Infektionen eingeschleppt wurden, wären unter Quarantäne zu stellen. Nur Wissenschaftler in spezieller Schutzkleidung dürften sie betreten. Vorschläge, die deutlich über das zu Beginn dieses Jahres in Kraft getretene Umweltschutzprotokoll zum Antarktisvertrag hinausgehen.
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