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Es funkt zwischen Kohl und Juhnke

■ Deutschlands bekanntester Krimineller, Arno Funke, stellte gegenüber vom Landgericht sein Buch "Mein Leben als Dagobert" vor. Die Anwesenden wollten "Dagobert" fürs Album - und bekamen ihn

Arno Funke zwischen Harald Juhnke und Helmut Kohl. Seit Mittwoch abend steht Deutschlands berühmtester Verbrecher zwischen zwei nicht minder bekannten Männern der Zeitgeschichte. Doch ganz freiwillig ist er da nicht hingekommen. Zwei hartnäckige Autogrammjäger überredeten Arno Funke dazu, seinen Schriftzug auf ihren Trabant (Baujahr 1964) zu setzen. Oben aufs Dach, wo auch Norbert Blüm, Theo Waigel und Regine Hildebrandt stehen.

Am Mittwoch abend hatte der 48jährige Funke, der seit 1994 wegen der versuchten Erpressung des Karstadt-Konzerns im Gefängnis sitzt, Ausgang. Den verbrachte er im Scheinwerferlicht von Dutzenden von Fernsehkameras in den Räumen der Dorotheenstädtischen Buchhandlung in der Turmstraße in Moabit. Viele von ihnen hatten Arno Funke alias Dagobert schon 1996 gefilmt: im Landgericht gegenüber, wo er zu neun Jahren verurteilt worden war.

Nun waren sie wieder da und umstellten ihn wie damals die Polizei bei seiner Festnahme. Denn Dagobert alias Arno Funke hat ein Buch geschrieben: „Mein Leben als Dagobert“. Das im Christoph Links Verlag erschienene Werk stellte er gestern vor. „Ein interessanter Blick in die soziale Situation von jemandem, der verzweifelt ist, und ein Einblick in den Gefängnisalltag“, lobte der Verleger Christoph Links den Autor. Kritik dagegen übte er an den Strafverfolgungsbehörden, die Funkes Medienpräsenz nicht besonders mögen. Ein pensionierter Hamburger Kriminalhauptkommissar, der nach Funkes Festnahme die erste Vernehmung durchführte, ist der Einladung zur Premiere nicht gefolgt.

Widerstand gibt es auch vom Karstadt-Konzern, der von Funke fünf Millionen Mark Schadensersatz fordert. Zwar schickte er ihm kürzlich einen Pfändungsbeschluß über 1,5 Millionen für alle zu erwartenden „Dagobert“-Honorare, doch verkaufen will er das Buch nicht. Begründung: Es enthalte Anleitungen zu Erpressungen und zum Bombenbau.

„Es gibt große Vorbehalte, ob man einem Kriminellen ein Podium geben soll“, schilderte Links die Skepsis vieler Kunden gegenüber dem populären Autor. Dessen Taten würden keineswegs verherrlicht, meint der Verlag. Die Startauflage beträgt 10.000 Exemplare. Bisher orderte der Buchhandel 1.600 Stück.

Doch das Interesse galt am Mittwoch abend weniger dem Buch. Viele Dagobert-Fans waren gekommen, für die die Veröffentlichung in erster Linie der Schlüssel zum Dagobert-Familienalbum- Foto ist. „Stell dich doch mal neben ihn“, drängelte ein Mann mit rötlichem Krausehaar seine Frau und trieb sie mit einem eilig unter den Arm geklemmten Exemplar des Buches in Funkes Arme. Dieser hatte kurz zuvor gesagt, nach seiner Scheidung „wieder zu haben“ zu sein. Bereitwillig signierte, lächelte und schäkerte Funke. Es ist oberflächlich. Aber es funkt. Ein distinguiert wirkender Mann mit Wollmantel und Aktentasche betrachtete das Spektakel aus einigen Metern Entfernung. Ein Analytiker. Dagobert als Fall. Funke als „Kuriosum“. Der Psychologe bezweifelt, daß ein Buch „die richtige Therapie“ sei. Außerdem sei es „banal“. Funke sei keiner, der in der Kommunikation seine Befriedigung finde. Vielmehr in der Kreativität.

„Der Mann erschöpft sich schnell“, stellte der Fachmann mit einem scharfen Blick über den Brillenrand fest. Spannend ist für den Analytiker „das offene Ende“ der Geschichte: „Wie geht es weiter, wenn kein Wind mehr weht“, legte er Funke schon mal auf die Couch. Funke, der hofft, im April 2000 entlassen zu werden, hatte zuvor gesagt: „Meine persönliche Entwicklung hat noch kein Ende gefunden. Ich bin immer noch am Lernen und kann keinen abschließenden Bericht geben.“ Barbara Bollwahn

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