Brandenburg will bei Stahl-Verkauf mitreden

■ Bieter aus Frankreich: Europas größter Konzern soll auch an der Oder geboren werden

Potsdam (taz) – Der in den letzten Jahren zur Schau getragene Optimismus scheint beendet: Der westeuropäischen Stahlindustrie machen die Wirtschaftskrisen in Rußland und Asien zu schaffen. Ruprecht Vondran, Präsident des deutschen Stahlverbandes, rechnet zumindest mit einer deutlichen Beruhigung der Nachfrage. Die amerikanische Investmentbank Merrill Lynch sieht 1999 für Europas Stahlindustrie sogar eine tiefe Rezession voraus.

Gleich in zweifacher Hinsicht ist die hiesige Stahlindustrie von den Krisen getroffen. Einerseits geht die Nachfrage in Südostasien nach hochwertigen oder veredelten Produkten zurück. Länder wie Thailand, Indonesien, Malaysia – aber auch Rußland – haben kein Geld mehr, solche Produkte zu bezahlen. Andererseits bringen die Krisenländer mit ihren gefallenen Währungen ihrerseits Massenstahl billigst auf den Weltmarkt und machen so die Preise kaputt.

Nur noch ein Angebot, auch für Eko Stahl

Ausgerechnet vor diesem Hintergrund setzen sich zur Zeit französische und belgische Stahlmanager zusammen, um über die Übernahme der Aktienmehrheit von Cockerill Sambre mit Sitz in Lüttich zu verhandeln. Der französische Stahlkoloß Usinor – mit einer Jahresproduktion von über 16 Millionen Tonnen Stahl der drittgrößte in Europa – gab im September ein Übernahmeangebot für den belgischen Konkurrenten ab. Derzeit hält die wallonische Regierung noch 79 Prozent der Aktien. Nach dem Rückzug der bisherigen Nummer eins im EU-Stahlmarkt, Thyssen Krupp, war nur noch Usinor als Interessent übriggeblieben.

Vom Ausgang der Verhandlungen – Mitte Oktober soll die Entscheidung bekanntgegeben werden – ist auch die Eko Stahl GmbH in Eisenhüttenstadt betroffen. Das größte ostdeutsche Stahlwerk gehört seit 1994 mehrheitlich zu Cockerill. Der Standort mit 2.600 Beschäftigten zählt nach der milliardenschweren Investition – überwiegend von der öffentlichen Hand bezahlt – heute zu den modernsten integrierten Stahlwerken Europas. Allein das Land Brandenburg investierte rund 300 Millionen Mark in diese Entwicklung.

„Wir möchten jetzt natürlich sicherstellen, daß dieses Geld gut angelegt ist“, erklärte Brandenburgs Wirtschaftsminister Burkhard Dreher (SPD) gegenüber der taz. Deshalb sieht sich der potentielle Interessent Usinor nicht nur mit Bedingungen des Mutterhauses Cockerill konfrontiert. Eko darf beispielsweise nicht verkauft, die belgischen Standorte Lüttich und Charleroi müssen erhalten werden. Zudem besteht die wallonische Regierung darauf, eine 25prozentige Sperrminorität zu behalten. Auch das Brandenburger Wirtschaftsministerium möchte einige „Essentials“ durchsetzen.

Brandenburg fordert, der Käufer schweigt

„Vier sind es“, erklärte Dreher und nennt die Sicherung der Arbeitsplätze als erstes. „Zweitens muß der Ausbau von Eko, insbesondere im Bereich der Weiterverarbeitung, gesichert bleiben. Drittens muß die Ostkompetenz von Eko erhalten werden. Das geht nur, wenn die unternehmerische Selbständigkeit auch künftig besteht“, sagte Dreher. Viertens: Eko muß ein juristisch eigenständiges Unternehmen mit eigener Ergebnisverantwortung bleiben. „Dadurch wollen wir absichern, daß Eisenhüttenstadt nicht irgendwann zur verlängerten Werkbank wird.“

Die wallonische Regierung räumte Brandenburg inzwischen ein Mitspracherecht bei den Verhandlungen ein. „Alle haben verstanden, was wir wollen, und uns signalisiert, daß sie die Entwicklung auch dahingehend unterstützen werden“, so Dreher. Der Minister will derzeit nicht über Druckmittel für den Fall spekulieren, daß die Brandenburger Forderungen keinen Widerhall finden. Dreher: „Wir verstehen uns als Partner mit einem gemeinsamen Interesse.“

Wie Usinor auf dieses Bedingungsgemenge reagiert, ist nicht bekannt. Die Vertragspartner haben Stillschweigen über den Verhandlungsstand vereinbart. Bekannt ist nur, daß Usinor im Falle einer Übernahme von Cockerill Investitionen von zwölf Milliarden belgischen Franc (600 Millionen Mark) in Belgien plant. Die Brüsseler Zeitung Le Soir berichtete zudem unter Berufung auf Gewerkschaftskreise, Usinor wolle bis zu 4.000 neue Arbeitsplätze innerhalb der nächsten sieben Jahre schaffen. Gewiß ist derzeit nur eines: Sollten die Verhandlungen erfolgreich sein, hat die europäische Stahlliga einen neuen Spitzenreiter. Nick Reimer