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Trabende Wildpferde Von Holger Wicht

Als ein lieber Kollege einmal an allen Lektoren vorbei etwas über einen Katheter-Sozialisten in eine Zeitschrift hineingeschrieben hatte, wurde ich nachdenklich. Jung, sehr jung war ich damals, gerade hatte ich die ersten Randnotizen für wöchentlich erscheinende Umsonstblätter verfassen dürfen, und schon war mir klar: Wer schreibt, muß Obacht walten lassen.

Als ich einige Jahre später, willens einer gründlichen Anamnese, von meiner Hausärztin eine umfassende Amnesie verlangt hatte, stand mein Entschluß fest: Wollte ich nicht Karriere beim Hohlspiegel machen, mußte eine Sicherheit her, ein präventives Korrektiv, das mich der Abhängigkeit von launigen Redakteuren entheben würde. Bis heute glaube ich leicht paranoid, daß Angehörige dieses Berufsstandes es sich im Falle erschöpfter Kaffeereserven bisweilen angelegentlich sein lassen, kompromittierende Wortverwechslungen passieren zu lassen.

Damals gebar meine ängstliche Anfänger-Psyche jenes Hilfsmittel, das heute auf keinem professionellen Schreibtisch mehr fehlt: die Liste leicht verwechselbarer Wörter. „Habe ich von Kathetern oder Kathedern gesprochen? Und habe ich hinsichtlich möglicher Verwechslungen Obacht walten lassen?“ So etwas fragen sich heute Autoren nach der Fertigstellung von Texten überall auf der Welt, denn „Katheter“ und „Katheder“ sind laut Liste sogenannte leicht verwechselbare Wörter. So wird nie wieder ein Professor mit den Worten zitiert werden: „Ich stand also auf meinem Katheter, und...“

Natürlich stehen nicht nur zwei Wortpaare auf der Liste. Es stehen drei Wortpaare auf der Liste. Wer das mariniert findet, hätte besser auf die Liste geschaut und es manieriert gefunden – und schon wäre die Kritik gegenstandslos gewesen. „Mein Gott“, denkt der Kritiker, „fast hätte ich eine Liste mariniert gefunden – das hätte niemand je geschluckt.“ Dankbarkeit der Erleichterung durchströmt den ehemaligen Anwürfling.

Wer immer noch kritisch ist – bitte schön: Es gibt nichts Manierierteres als trabende, also dezidiert nicht galoppierende Wildpferde. Wer da noch am Verhängnis zweifelt, das die Verwechslung insbesondere in TierschützerInnenkreisen heraufbeschwören kann, läuft ins Verderben.

Oder aber Heringe. Die Verwechslung von „mariniert“ und „manieriert“ kann potentielle Ehen gefährden. Das weiß jeder, der einmal den geliebten Menschen zum Heringsessen einlud und seiner Absage am Nachmittag entgegenhielt: „Es ist schon alles manieriert.“

Hier ist noch eine kleine Warnung zum Thema Wildpferde und übereilte Umkehrschlüsse am Platze: Trabende Wildpferde sind manieriert. O ja. Aber: Manierierte Menschen sind nicht – wie trabende Wildpferde – von der Kultur vergewaltigte Naturwesen. Wo Mensch und Tier verglichen werden, begeben wir uns auf das schmierig-glitschige Terrain der semantischen Verwechslung, aber das ist eine andere Geschichte und steht auf einer anderen Liste.

P.S.: Leicht verwechselbare Wörter sind meldepflichtig. Verdachtsfälle werden vor der Aufnahme auf die Liste von einer Expertenkommission überprüft. Auf der Liste eventuell leicht verwechselbarer Wörter befindet sich zur Zeit das Wortpaar „integrieren/intrigieren“.

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