: "Ich bin kein Korinthenkacker"
■ Wie die konkrete Arbeit eines Juristen aussieht, erfahren die meisten erst am Ende ihres Studiums
Wenn eine Auseinandersetzung zwischen zwei Betrunkenen vor dem Bierzelt in einer Schlägerei gipfelt, dann freuen sich zumindest die Anwälte. Eine Streitsituation wie viele – herrlich konkret. „Ein Jurastudium könnte spannend sein“, befand Kathrin noch vor etwa sechs Jahren, als sie ihr Studium der Rechtswissenschaft begann. Heute arbeitet sie als Referendarin für einen Richter, befaßt sich mit schlecht gestrichenen Fußbodenleisten, kaputten Heizkörpern und verrottenden Elektrokabeln. Die erste Berührung mit der Berufspraxis hat der 28jährigen vor allem eines gezeigt: „Ich bin kein Korinthenkacker, und Erbsenzähler bin ich auch nicht.“
Zu dieser Erkenntnis wäre die junge Referendarin gerne schon viel früher gelangt. „Während des Studiums konntest du dich jahrelang durchmogeln“, erzählt sie. Anstrengend wurde es erst mit dem ersten Staatsexamen, nach acht Semestern. Doch um das zu schaffen – denn die Durchfallquote beträgt immerhin 40 Prozent – leisten sich rund 95 Prozent der Studenten teuer bezahlten Nachhilfeunterricht, das private Repetitorium. Kostenpunkt: 200 Mark monatlich. Und wie die konkrete Tätigkeit eines Juristen am Ende aussieht, erfährt man erst nach dem sehr allgemein und theoretisch ausgerichteten Studium. Über die berufliche Spezialisierung wird erst nach dem zweiten Staatsexamen entschieden. Doch so etwas wie Zukunftsangst läßt Kathrin sich zumindest nicht anmerken. „Du bist in der Ausbildung nicht festgelegt – also stehen dir auch viele Bereiche offen.“
Das kann man auch anders sehen. „Die Grundausbildung für Juristen im allgemeinen ist in Ordnung“, findet Mike. „Doch die Ausbildungssituation speziell für Anwälte ist miserabel.“ Heute ist Mike selbständiger Anwalt für Arbeitsrecht, seine Kanzlei betreibt er derzeit noch aus dem Wohnzimmer heraus. Doch der junge Jurist ist nicht aus Not Anwalt geworden. Er wollte immer schon als Rechtsanwalt arbeiten, dennoch mußte er für das zweite Staatsexamen Inhalte lernen, die eigentlich auf den Posten des Richters zugeschnitten waren. „Man sollte auf einen bestimmten juristischen Beruf hin ausgebildet werden“, findet Mike. „Das ist etwa so, als wenn man erst Englischlehrer werden muß, um dolmetschen zu dürfen.“
Das zweistufige Ausbildungsmodell für Juristen, nach dem auf vier bis fünf Jahre theoretischen Studiums erst die Praxis folgt, soll nun überdacht werden. Ein Modell der Bundesrechtsanwaltskammer sieht vor, nur in den ersten fünf Referendariatsmonaten allgemein juristisches Wissen zu vermitteln. Anschließend soll direkt die berufliche Ausrichtung des Referendars erfolgen. Nach einem anderen Modell soll sich der Student bereits vor dem Referendariat entscheiden, ob er Anwalt oder Richter werden oder in die Verwaltung gehen will. Das Modell des Deutschen Anwaltsverbandes (DAV) will den StudentInnen vom ersten Semester an nebenbei praktische Erfahrungen vermitteln.
Das Rüstzeug und Know-how, das ein Anwalt braucht, hat Mike im deutschen Einheitsstudium jedenfalls nicht mitbekommen. Statt dessen hat er nun schon die dritte Fortbildung hinter sich gebracht. „Es wäre hanebüchen, wenn ich nicht jede Chance wahrnehmen würde, mich zu qualifizieren.“ Kirsten Niemann
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