: Türkische Eltern, deutscher Fußball und eine eigene Karriere
Am Samstag steht Mustafa Dogan im deutschen Aufgebot für das EM-Qualifikationsspiel in Bursa gegen die Türkei. Derzeit spielt der Profifußballer bei Fenerbahce in Istanbul ■ Von Jürgen Gottschlich
Der Mann hat wirklich eine Bombenkondition. Nach zwei Stunden Laufen, Gymnastikeinlagen inklusive wildem Gebolze in Abwechslung mit diszipliniertem Wiederholen von Standardsituationen kommt er, ohne im mindesten nach Luft zu schnappen, ganz lässig vom Platz geschlendert, um am Spielfeldrand ein Fernsehinterview zu geben. Routiniert spult er ein paar Sätze runter, dreht sich auf dem Absatz um und verschwindet in der Kabine.
„Bei Fenerbahce lernt man, mit den Medien umzugehen“, sagt Mustafa Dogan. „Am Anfang hab' ich ja auch noch jeden Scheiß mitgemacht, mich für ein Foto in ein Go-Kart gesetzt und so weiter, aber damit ist schon lange Schluß. Man muß Grenzen ziehen, sonst wollen die immer mehr.“ Sein Privatleben möchte der 22jährige Dogan keinesfalls in der türkischen Boulevardpresse ausgebreitet sehen. Seit einigen Wochen ist er Vater, „jetzt wollen alle, daß ich mich mit meinem Baby fotografieren lasse“. Das ist für Dogan aber kein Thema: „Meine Familie bleibt da raus.“
Zur Zeit macht er jedoch noch eine neue Medienerfahrung. „Die deutsche Presse ist nicht viel besser als die türkischen Zeitungen. Die wollen auch nur, daß man ihre Klischees bedient.“ Das deutsche Interesse an Mustafa Dogan hatte einen simplen Grund – Dogan ist ein Unikat. Er ist der erste Sohn türkischer Einwanderer, der, da mittlerweile eingebürgert, im Aufgebot der deutschen Nationalmannschaft steht.
Noch war er nicht im Einsatz, aber bei den Berti-Vogts-Abschiedsspielen auf Malta saß er auf der Bank. „Ich war im Team, und das war eine tolle Erfahrung.“ Die Mobilität heutiger Fußballprofis hat allerdings für eine kuriose Situation gesorgt: Der Einwanderersohn spielt gerade in der Heimat seiner Vorfahren. Seit zwei Jahren ist Dogan bei Istanbuls Nobelclub Fenerbahce unter Vertrag.
Nicht weil es ihn unbedingt hierher gezogen hat, sondern weil Fenerbahce nach dem Abstieg von Bayer Uerdingen, wo Dogan zuletzt in der Bundesliga kickte, das beste Angebot gemacht hat und auch bereit war, die 2,3 Millionen Mark Ablöse zu zahlen. „Ich wäre auch nach Italien oder Frankreich gegangen, das war eine rein professionelle Entscheidung.“ Professionell ist das Wort, das Dogan am häufigsten benutzt, um seine Einstellung zum Sport, aber auch zum Leben ganz allgemein zu beschreiben. Zum Beispiel fände er es unprofessionell, sich öffentlich zu politischen Fragen zu äußern.
Den Aufruf des türkischen Ministerpräsidenten an die aus der Türkei eingewanderte wahlberechtigte Bevölkerung in Deutschland, bei der Bundestagswahl Gerhard Schröder zu wählen, will er auch im nachhinein „lieber nicht kommentieren“. Man müsse eben, das hat er ja gerade erfahren, auch gegenüber den deutschen Medien vorsichtig sein. „Wer weiß, was ihr daraus macht.“
Zum Beispiel der Stern. „Wir waren zusammen mit ein paar Mannschaftskollegen essen, und ein Reporter vom Stern war dabei. Erst hat er meinen Kollegen Taifun, der auch in Deutschland groß geworden ist und jetzt in der türkischen Nationalmannschaft spielt, auf seine Uhr angesprochen, und als der dann sagte: Ja, das ist 'ne Rolex, hat er dann mich gefragt. Ich hab' gesagt, ja, meine ist auch 'ne Rolex. Hätte ich denn sagen sollen, ist 'ne Swatch? Und was schreibt der dann im Stern? Mustafa Dogan protzt gegenüber jedem mit seiner Rolex.“ Dogan schüttelt den Kopf. „So ein Unsinn, hätte ich etwa lügen sollen?“
Tatsächlich ist Dogan ganz und gar nicht der Glamour-Typ, dem es eine besondere Genugtuung ist, Reichtum zur Schau zu stellen. Vielmehr hält er einen gewissen Standard in der Liga, zu der er mittlerweile zählt, schlicht und einfach für selbstverständlich. Er gehört bei Fenerbahce nicht einmal zu den Spitzenverdienern, aber der diensteigene BMW und die Wohnung am Marmarameer, die ebenfalls der Verein stellt, gehören zur Grundausstattung.
Fenerbahce sind die „Bayern“ der Türkei, und der neue Vereinsvorstand, der es in dieser Saison unbedingt wissen will, hat zu Summen im Ausland eingekauft, von denen auch deutsche Vereine nur träumen können. Die absoluten Stars, erzählt man hier, bekommen für einen Zweijahresvertrag drei Millionen – Dollar, versteht sich.
Über die Stern-Geschichte hat sich Dogan nur geärgert, die Bild- Zeitung hat ihm dagegen echte Probleme bereitet. Als die Springer-Leute forsch titelten „Mustafa Dogan: Ich habe immer von unserer Nationalelf geträumt“ und dem deutschen Publikum den Einwanderersohn mit dem angeblichen Bekenntnis „Ich fühle mich viel mehr als Deutscher denn als Türke“ meinten nahebringen zu müssen, gingen in der Türkei die Wogen der Empörung hoch. „Was Patriotismus angeht, sind die hier ja auch ziemlich empfindlich“, weiß Dogan mittlerweile, aber vor allem: „Ich hab' das nie gesagt.“
Er sah sich gezwungen, richtigzustellen und vor der türkischen Presse zu betonen, wie sehr es ihm in Istanbul gefällt. Der Bild gegenüber, erzählt er, habe er dasselbe gesagt, was er immer sage: „Ich lebe in beiden Kulturen, ich habe von beiden Kulturen etwas abbekommen, und das empfinde ich als Bereicherung.“ Warum auch solle er nationale Bekenntnisse ablegen oder darüber grübeln, ob sich seine Identität eher aus deutschen oder türkischen Wurzeln speist?
Mustafa Dogan ist erfolgreicher Fußballprofi, und das ist ihm als Identität vollkommen genug. Als solcher lebt er auch in Istanbul nicht viel anders, als er in Köln oder München leben würde. „Bloß das Wetter ist hier besser, das macht das Leben doch angenehmer.“ Die meisten Reporter, die nach seiner Nominierung für die Nationalmannschaft aus Deutschland anreisten, konnten das nicht verstehen. „Die wollten von mir immer irgend etwas Exotisches, Orientalisches. Als wir in den Kneipen waren, in die ich hier gewöhnlich gehe, sagten die ganz enttäuscht, das sieht ja aus wie in Deutschland. Mehrmals haben mich deutsche Fernseh- und Zeitschriftenteams extra auf die europäische Seite geschleppt (Fenerbahce liegt auf der asiatischen Seite Istanbuls, die Red.), um vor der Kulisse der Hagia Sophia Fotos zu machen. In den zwei Jahren, die ich jetzt hier lebe, war ich vorher nicht ein einziges Mal dort.“ Wie es sich für einen Profi gehört, lächelt Dogan abgeklärt über diese Potemkinschen Dörfer, die eben dazugehören, wenn man eine Story verkaufen will. Auch die Versuche, ihn mittels seiner Biographie zu einer Ausnahmeerscheinung zu verklären, amüsieren ihn.
„Offenbar wollen die Leute immer wieder diese Geschichte vom Tellerwäscher zum Millionär lesen. Warum würden sie sonst so ein Aufheben davon machen, daß mein Vater als Schlosser bei Krupp in Rheinhausen gearbeitet hat?“ Dogans Vater kam 1972 aus Anatolien als Gastarbeiter nach Deutschland, arbeitete zunächst auf einer Baustelle, dann bei Krupp in Duisburg-Rheinhausen und fährt jetzt als Stahlbauer auf Montage. Seine Frau und die Kinder holte Burmus Dogan nach, als Mustafa zwei Jahre alt war. Zwanzig Jahre später, als die Familie die deutsche Staatsbürgerschaft annahm, war ihm längst klar, daß für sie kein Weg mehr in die Türkei zurückführte. Außer dem, den sein Sohn Mustafa nun gegangen ist – und der hat, wie der Weg der Eltern, vor allem mit harter Arbeit zu tun. Denn daß Mustafa etwas geworden ist, hängt nicht mit seiner Herkunft zusammen, sondern mit seinem Talent, seiner Ausdauer, seiner Disziplin. Seit seiner frühesten Jugend hat er im wesentlichen Fußball gespielt, mit 16 hat er seinen ersten Profivertrag unterschrieben, hat sich gequält, hat jeden Tag trainiert.
Außerdem ging er in Duisburg zur Gesamtschule, hat nach der 10. Klasse in der gymnasialen Oberstufe weitergemacht, aber dann, nach der 12. Klasse, doch aufgehört: „Da trat mein erster Profivertrag in Kraft, und ich war so viel unterwegs, daß es mit dem Abi einfach nicht mehr ging.“ Bis heute hat er das Abitur auch nicht vermißt. „Ich stehe ja hoffentlich noch am Beginn meiner Karriere und kann noch zehn, vielleicht sogar 15 Jahre spielen“, sagt er auf die Frage nach beruflichen Alternativen zum Fußball.
Tatsächlich hat Dogan allen Grund, optimistisch zu sein. Wenn er in der Nationalmannschaft spielen sollte, wird das seinen Marktwert weiter steigern. Erste Werbeverträge stehen in Aussicht. In Fenerbahce fühlt er sich ausgesprochen wohl. Die Mannschaft ist eine internationale Truppe – „hier spielen Nationalspieler aus sechs Ländern“ –, und seit der deutsche Trainer Joachim Löw bei Fenerbahce das Zepter schwingt, erinnert Dogan vieles wieder an seine kalte Heimat. Fußballerisch kommt ihm das sehr entgegen.
Denn er ist kein südländischer, ballverliebter Dribbelkünstler, sondern ein Abwehrspieler nach dem Geschmack des Ex-Bundestrainers Berti Vogts: Ausdauer, diszipliniertes Mannschaftsspiel und kompromißloses Reingrätschen – so wie ein guter Abwehrspieler sein soll. Ob ihn der neue Teamchef Erich Ribbeck ebenfalls schätzt und bald einmal aufstellt oder einwechselt? Womöglich schon morgen, wenn die deutsche Fußballnationalmannschaft in Bursa ihr EM-Qualifikationsspiel gegen die Türkei bestreitet? „Ich hätte kein Problem, auch gegen die Türkei in der deutschen Mannschaft zu spielen“, meint Dogan. „Was soll das, das ist doch wie Blau gegen Rot.“
Ob seine türkischen Fans das auch so sehen würden? Der Profi Dogan zuckt mit den Schultern. „Mein Verein Fenerbahce ist da sehr tolerant. Als ich für das Kader der deutschen Nationalmannschaft nominiert wurde, waren die hier auch ein bißchen stolz.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen