: Nigerias Ölfördergebiete in Aufruhr
Immer mehr Ölförderinstallationen im Niger-Flußdelta werden von bewaffneten Einheimischen besetzt und geschlossen. Nigerias Ölproduktion ist wegen der Gewalt um über ein Fünftel gesunken. Hauptopfer: Shell ■ Von Dominic Johnson
Berlin (taz) – Die Ölfördergebiete Nigerias erleben derzeit die schwersten Unruhen seit Jahren. Angriffe bewaffneter Jugendgruppen auf Ölförderinstallationen führen dazu, daß immer mehr Pumpstationen schließen. Die nigerianische Ölförderung und der Ölexport sind inzwischen um mehr als ein Fünftel gesunken. Über 440.000 der zwei Millionen täglich geförderten Barrel Öl können derzeit nicht aus den Bohrtürmen abgepumpt werden und fallen aus. Besonders schwer ist offenbar der Ölmulti Shell betroffen, auf dessen Anlagen nach Konzernangaben 308.000 Barrel des täglichen Produktionsausfalls entfallen. Shell hat auch eine Ölplattform, zwei Hubschrauber und drei Schnellboote an die Protestierenden verloren.
Nigeria, größter Ölexporteur Afrikas, fördert sein Erdöl im sumpfigen Delta des Niger-Flusses. Die Bewohner dieser Region leiden seit Jahrzehnten unter den ökologischen Auswirkungen der Ölförderung und bekommen von den Milliardeneinnahmen des nigerianischen Staates aus dem Ölexport so gut wie nichts. 1995 wurde der Schriftsteller Ken Saro- Wiwa hingerichtet, der Massenproteste des Ogoni-Volkes gegen diese Ausbeutung angeführt hatte. Seitdem besetzen immer wieder bewaffnete Gruppen Ölinstallationen und nehmen Geiseln. Sie haben sich inzwischen zum Dachverband „Chikoko“ zusammengeschlossen, der im Mai dieses Jahres – kurz vor dem Tod des Diktators Sani Abacha – ankündigte, ab 1. Oktober die nigerianische Zentralregierung nicht mehr anzuerkennen und die Macht im Niger-Delta zu übernehmen.
Obwohl Abachas Nachfolger Abdulsalam Abubakar eine politische Öffnung eingeleitet hat, machen die bewaffneten Gruppen ihre Ankündigung nun offenbar wahr. Nach Darstellung der Ölkonzerne richten sich die Proteste nicht gegen sie, sondern stehen in Zusammenhang mit der seit Wochenbeginn laufenden Neuerfassung der Wahlregister in Nigeria. Neben den Besetzungen gibt es tatsächlich seit einigen Wochen schwere Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Völkern des Niger-Deltas, die 30.000 Menschen in die Flucht getrieben haben. Doch die neuen Protestaktionen sind von einer neuen Qualität.
„Wir sind nicht in der Lage, einen Verantwortlichen für die Aktionen zu benennen, weil die Teams sich von einem Ort zum anderen bewegen“, sagte Shell-Manager Joshua Udofia in der Provinzhauptstadt Warri. „Wir versuchen, die Gemeinschaftsführer zu erreichen, um sie um ein Eingreifen zu bitten.“ „Chikoko“-Führer Douglas Oronto rief in New York die Ölkonzerne auf, das Niger- Delta zu verlassen.
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