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Rückkehr ins Unaussprechliche

Früher gab es Heteras und Lesben und Schwule. Die anderen, das waren Paschas und Machos. Um Männern Privilegien streitig zu machen, wurde um Gleichberechtigung gekämpft. Heute reicht das womöglich nicht mehr. Unter dem aus den USA importierten Begriff „Queer“ soll nun die heterosexuelle Norm exorziert werden. Ein Fortschritt oder nur neuer Mumpitz aus der Werkstatt der politischen Korrektheit?  ■ Von Reinhard Krause und Paula Meisel

Der Dialog klang wie eine Szene aus dem absurden Theater. Eine Journalistin des amerikanischen Magazins Rolling Stone hatte den Auftrag bekommen zu recherchieren, ob Professor Eve Sedgwick, eine der Begründerinnen der queer studies, nun tatsächlich, wie in einem Artikel behauptet wurde, heterosexuell veranlagt sei. Ein Anruf sollte Aufschluß bringen.

Journalistin: Professor Sedgwick, in Staceys Artikel steht, Sie seien hetero – sind Sie hetero?

Sedgwick: Hat Stacey gesagt, ich sei hetero? Ich hab ihr das nicht gesagt.

Journalistin: Also, hier steht, Sie sind hetero. Stimmt das?

Sedgwick: Nun, in einem bestimmten diskursiven Rahmen könnte ich als „queer“ bezeichnet werden.

Journalistin: Gut. Sie sind nicht hetero. Also sind Sie lesbisch?

Sedgwick: Ich habe Stacey nicht gesagt, ich sei lesbisch.

Journalistin: Gut. Sie haben aber doch gerade gesagt, Sie seien „queer“. Ist das nicht das gleiche wie lesbisch?

Sedgwick: Nun, wie ich schon zu erklären versuchte, in einem bestimten diskursiven Rahmen...

Journalistin: Schauen Sie, Professor Sedgwick, Sie sind verheiratet, nicht wahr? Also sind Sie hetero.

Sedgwick: Ich habe Stacey nie gesagt, ich sei verheiratet.

Wer hätte es für möglich gehalten, daß nach mehr als einem Vierteljahrhundert neuer feministischer und schwullesbischer Bewegungen wieder so verschwiemelt über Sexualität geredet wird? Nichts hätte dagegen gesprochen, die Frage der Interviewerin als indiskret abzulehnen oder schlicht mit Ja oder Nein zu beantworten.

Doch das neue Geziere aus Amerika hat Methode. Die Vertreter und Vertreterinnen der queer studies wollen gerade den Eindruck vermeiden, sie stellten eine Form der sexuellen Orientierung über die andere. Für sie kommt das einer Frage der politischen Glaubwürdigkeit gleich.

Wieso, fragt man sich in Europa ein wenig verwundert, ist gerade in den letzten Jahren in den USA, wie auch in den meisten europäischen Gesellschaften, eine neue Homosexuellenbewegung entstanden? Eine, die nicht mehr aus Hinterzimmern heraus versucht, Lobbyarbeit zu betreiben, sondern auch mutig öffentlich Flagge zeigt? Und hat es nicht gerade in den Jahren seit Aids einen nachhaltigen Bewußtseinswandel gegeben? Ist es nicht heute viel einfacher, lesbisch oder schwul zu sein – zumindest im urbanen Raum?

Und gibt es nicht inzwischen sogar die „Hamburger Ehe“, die Möglichkeit, eine gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft registrieren und rechtlich besser schützen zu können? Mehr noch: Die neue rot-grüne Koalition wird aller Voraussicht nach gleichgeschlechtliche Partnerschaften rechtlich legalisieren. Es geht, so scheint es, doch kontinuierlich aufwärts.

In den USA freilich, das betonen die VertreterInnen der „Queer Studies“, gehen die Uhren anders. Stärker als in Europa sei die Liberalisierung der Geschlechterbeziehungen unter dem Signum der geschützten Privatsphäre erfolgt. Auch habe sich das Leben von nichtheterosexuellen Frauen und Männern entspannen können. Diese Errungenschaften allerdings seien seit einiger Zeit bedroht.

In New York etwa sei eine lesbische Konferenz an einer Universität öffentlich lächerlich gemacht worden. Darüber hinaus eroberte dort der Walt-Disney-Unterhaltungskonzern am Times Square in Manhattan soviel Platz, daß die Bars und Kneipen der Nichtheterosexuellen keinen Platz mehr hätten. Queer-Theoretikerinnen wie Lisa Duggan, Dozentin für lesbischwule Theorie an der New York State University, halten für einen Skandal, daß gegen diese Entwicklung – Häme, Verspottung, Ausgrenzung – fast niemand aus dem linken Spektrum des liberalen Milieus in den USA protestiert habe.

Ihr ist das ein Beleg, daß es eben nicht reicht – wie zum Beispiel im US-Staat Hawaii –, die Homoehe zu etablieren. „Damit werden wir als Minderheiten behandelt.“ Tatsächlich habe eine Homopolitik, die es vornehmlich darauf absieht, heterosexuelle Rechte für sich einzufordern, aus dem Blick verloren, daß auf diese Weise alle Menschen weiter ausgegrenzt bleiben, die nicht heiraten wollen.

„Das oberste Prinzip ,queeren' Lebens“, schrieb im letzten Jahr eine Gruppe von Queer-AktivistInnen in Sex Panic, „ist die Achtung gegenüber sexueller Vielseitigkeit und gegenüber Menschen, die Scham und Stigma überwunden haben, um zu sich selbst zu finden. Diese Lektion muß Amerika erst noch lernen.“

Nach Aussagen amerikanischer Queer- Aktivisten hat sich die politische Situation für Lesben und Schwule in den letzten Jahren deutlich verschlechtert. Mittel zur Aids-Prävention seien gestrichen, Antidiskriminierungsgesetze unterlaufen worden – immer mit Hinweis auf die angespannte Haushaltssituation. Zudem seien in den meisten US-Bundesstaaten sexuelle Praktiken wie Analverkehr noch verboten. An dieser Situation habe die „konservative US-Homobewegung nichts ändern wollen“, sagt Lisa Duggan.

Abgenommen habe auch der Zusammenhalt der Lesben- und Schwulenbewegung. Was kein Wunder sei, wie es in einem Papier zum „Queer-Kongreß“ in Berlin heißt: „Lesben und Schwule stehen nicht als bedauernswerte, unschuldige Opfer außerhalb der Macht, sondern sind aktiv in diese verwickelt. Sie wiederholen und produzieren ihrerseits Kategorisierungen, mittels derer welche als ,Andere' markiert werden. Damit befinden sie sich nicht nur weiterhin in Reichweite traditionell wohl etablierter Formen der Kriminalisierung, Pathologisierung, Überwachung oder Gewalt. Auch innerhalb lesbischwuler und transgeschlechtlicher Kontexte entstehen so Kriterien der Zugehörigkeit und des Ausschlusses, Normalisierungen und Hierarchien.“

Eine sympathische Sichtweise, so lassen sich zunächst die Überlegungen zur „Queer-Theorie“ bündeln. Wer will schon Ausgrenzung, wer würde sich zu irgendeiner Hierarchie bekennen, wer wollte bestreiten, daß es nach wie vor Diskriminierungen gibt – hierzulande und sowieso in den USA?

Was allerdings ein wenig aus dem Blick gerät, ist, daß die Lebenssituation von Transexuellen, Transvestiten, Schwulen und Lesben in den USA allemal besser ist als die in Rumänien, im Iran, Afghanistan oder Nord-Korea. Ein Mann, der gerne Frauenkleider trägt, kann, wenn er es im US-Bundesstaat Texas, eingekeilt von machohaften Ranchern, nicht mehr aushält, wenigstens in eine Metropole wie Los Angeles, San Francisco oder Miami fliehen – Möglichkeiten, die es in den meisten islamischen Staaten nicht gibt. Anders formuliert: Christlichen Fundamentalisten, die in den USA – nicht zuletzt im Falle der Affäre Bill Clintons mit Monica Lewinsky – eine Macht sind, kann man entfliehen – den Taliban in Afghanistan gewiß nicht.

Was vor allem eine Frage der demokratischen Struktur einer Gesellschaft ist. Und hier liegt momentan die Hauptschwäche der „Queer-Theorie“. Sie unterscheidet nicht zwischen subtilen Diskriminierungen – gehässige Blicke –, die mit der Zeit verschwinden können, und Repressionen – Androhung von Todesstrafe zum Beispiel –, bei denen es ums Leben geht. Aber Fragen des Rechts, also der demokratischen Einflußnahme, interessieren die VordenkerInnen der „Queer-Theorie“ nicht: „Es ist kein Ansatz, der parlamentarisch umgesetzt werden kann, eher einer der kritischen Herangehensweise“, sagte Lisa Duggan vorigen Dienstag bei ihrem Vortrag in Berlin.

Insofern ist „Queering“ eine Theorie, die rund um Universitätsplätze eine gewisse Relevanz haben mag, im politischen Nahkampf, wie momentan in Bonn um einen rot-grünen Koalitionsvertrag, jedoch eher hinderlich ist – nicht zuletzt deshalb, weil selbst Minderheitenbegehren wie das Recht, also nicht die Pflicht, auf die Homoehe schwer genug gesellschaftlich durchzusetzen sein werden.

Daß die Erlaubnis zur Homoehe die heterosexuelle Institution schlechthin schleift, ist unstrittig – das bekunden nicht zuletzt Bischöfe wie Johannes Dyba. Ehrlicherweise muß indes eingeräumt werden, daß eine Garantie nicht gegeben werden kann, schon weil sie juristisch nicht formulierbar ist: Häme und Spott gegen Menschen, die von Normen abweichen, werde nicht mehr vorkommen.

Aggressionen dieser Art zum Verschwinden zu bringen, kann Politik, kann aber auch Theorie nicht leisten. Hier mehr Offenheit zu erreichen hängt davon ab, im Alltag präsent zu sein, Kränkungen zurückzuweisen – und einige davon auch auszuhalten, ohne gleich die atmosphärischen Fortschritte, die schon erzielt werden konnten, aus dem Blick zu verlieren. Daß da gelegentlich ein klares Wort hilfreich ist, weiß jedeR. Das selbstbewußt ausgesprochene Bekenntnis „Ich bin lesbisch“ oder „Ich bin schwul“ macht es Heteros leichter, sich an Lebensverhältnisse zu gewöhnen, vor denen ihre Vorfahren nur Horror hatten.

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