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Benzinpreis als rot-grüne Hürde

Nach Verhandlungen über Steuerreform weiterhin Fragen offen. Schröder fixiert auf 6 Pfennig Zuschlag für Benzin. Erhöhung bei Strom- und Heizöl  ■ Aus Bonn Markus Franz

Die gegenseitige Rücksichtnahme zwischen den rot-grünen Verhandlungspartnern könnte größer kaum sein. SPD-Chef Oskar Lafontaine und Grünen-Parteichef Jürgen Trittin stehen am Donnerstag abend vor den Mikrofonen, jemand stellt eine Frage, Trittin lacht auf, nimmt dann die Hand vor den Mund und entschuldigt sich: „Das war ein bißchen zu laut.“ Auch sonst gibt der Vertreter einer Partei, die langfristig einen Benzinpreis von fünf Mark anpeilt, während die Verhandlungspartner sich auf eine maximale Erhöhung um sechs Pfennig festlegen, für die SPD keinen Anlaß zur Klage. Auf Fragen nach konkreten Zahlen oder gar Streitpunken in der Steuerpolitik antwortet Trittin so vage, daß Lafontaine aus dem zustimmenden Kopfnicken gar nicht mehr herauskommt.

Sprachmeister Trittin und Lafontaine

Aber in einem Punkt ist Trittin irgendwann doch der gemeinsamen Sprachregelung entwischt. Beide Parteien wollen die Lohnnebenkosten von heute 42,3 Prozent in vier Jahren auf unter 40 Prozent drücken und damit die Arbeitnehmer um rund 54 Milliarden Mark entlasten. Die Gegenfinanzierung will die künftige Koalition laut Trittin komplett durch die Ökosteuer aufbringen. Als Lafontaine später auf die Äußerung seines Kollegen angesprochen wird, versucht er auszuweichen, indem er von einem moderaten ersten Schritt spricht, in dem die Sozialversicherungsbeiträge um einen Prozentpunkt gesenkt werden, um dann auf erneute Nachfrage zu antworten: „Auf keinen Fall.“ Noch kämpfen die Grünen darum, eine Benzinpreiserhöhung von wenigstens zehn Pfennig hinzubekommen. Schließlich bringt eine Erhöhung um sechs Pfennig lediglich rund 4,5 Milliarden Mark pro Jahr. Und Trittin wies zu Recht darauf hin, daß es im europäischen Vergleich noch „viel Luft“ gebe. So beträgt der Preis pro Liter Benzin in den Niederlanden, Großbritannien und Italien 1,90 Mark und mehr. Aber der künftige Kanzler Gerhard Schröder hat sich nun einmal auf maximal sechs Pfennig festgelegt. „Mein Wort gilt“, hatte er der Bild am Sonntag gesagt. Zwar halten das auch viele Genossen für zuwenig, aber, heißt es bei der SPD, Schröder habe nun einmal sein Wort gegeben, und deswegen handele es sich nun nicht mehr nur um eine inhaltliche, sondern auch um eine „politische Frage“, die im Sinne der SPD entschieden werden müsse. Bleibt die Erhöhung anderer Energiesteuern. Der Heizölpreis soll nach bisherigem Stand um vier und der Strompreis um zwei Pfennig erhöht werden. Das brächte weitere zehn Milliarden Mark ein. Ein Punkt der Rentenversicherung kostet rund 18 Milliarden Mark.

Außerdem ist die Streichung von Subventionen vorgesehen. 60 bis 65 Subventionstatbestände, sagt Trittin, würden vermindert, etwa 30 ganz wegfallen. Laut Berechnungen der SPD könnten auf diese Weise um die 40 Milliarden Mark eingespart werden.

Geld, das dringend gebraucht wird, schließlich soll ja auch die Einkommensteuerreform umgesetzt werden, die Lafontaine nun, wie die alte Regierung, „große Steuerreform“ nennt. Zur Zeit sieht es nach folgender Übereinkunft aus: Am Ende der Wahlperiode soll eine vierköpfige Familie durchschnittlich um 2.500 Mark im Jahr entlastet werden. Ein Facharbeiter mit einem Bruttoeinkommen von 55.000 bis 60.000 Mark im Jahr wird sogar 2.700 Mark im Jahr mehr verdienen. Das Existenzminimum soll um 1.000 Mark auf 14.000 im Jahr 2002 und das Kindergeld von 220 auf 250 Mark angehoben werden. Der unterste Steuersatz soll Anfang 1999 auf 23,9 und 2002 auf 21,9 Prozent und der Spitzensteuersatz im Jahr 2000 auf 51 Prozent und zwei Jahre später auf 49 Prozent gesenkt werden. Aber in diesen Zahlen ist noch Bewegung drin. Schließlich muß bei den Ergebnissen der Verhandlungen deutlich werden, daß auch die Grünen eigene Vorstellungen durchsetzen konnten und das es nicht so ist, wie Gerhard Schröder nach den Verhandlungen am Mittwoch sagte: „Wenn der Joschka sein Hemd hochhebt, kann man die vielen blauen Flecke sehen.“ Und so ist noch eine Kindergelderhöhung auf 270 Mark im Gespräch, könnte der Spitzensteuersatz mittelfristig auf 47 Prozent sinken und ist die Einführung einer sogenannten Kappungsgrenze bei der Entfernungspauschale wahrscheinlich. Die SPD wollte die Pauschale ursprünglich ab dem ersten Kilometer zahlen, wird sich mit den Grünen aber wohl auf den elften Kilometer einigen.

SPD: Sonntagszuschläge bleiben steuerfrei

Tabu ist die Besteuerung der Schicht-, Nacht- und Sonntagszuschläge. Stolz verkündet Lafontaine, die künftige Regierungskoalition werde die Steuerreform binnen weniger Wochen in die Wege leiten. Die vorherige Regierung habe das mehrere Jahre vergebens versucht. Natürlich kein Wort davon, daß die Kohl-Regierung nur an der SPD-Mehrheit im Bundesrat scheiterte. Und wen interessiert es noch, daß sich die SPD mit den Grünen auf einmal auf eine Nettoentlastung in Höhe von zehn Milliarden Mark verständigt, während sie in den Verhandlungen mit der Union auf eine einkommensneutrale Reform gepocht hatte, die einerseits entlastet, andererseits aber den Staat unterm Strich nichts kostet. Die jetzigen Verhandlungen mit den Grünen zeigen aber auch, daß sich die SPD weitgehend treu geblieben ist und vor der Wahl nicht nur taktisch operiert hat. Sie verfolgt strikt ihre Linie, insbesondere die unteren und mittleren Einkommen zu entlasten, um die Binnenkaufkraft zu erhöhen und angesichts von unkalkulierbaren Haushaltsrisiken eine solide Finanzierung anzustreben. Vor der Wahl hatten selbst Genossen geglaubt, die Forderung nach mehr Kindergeld und die Beschränkung auf einen Spitzensteuersatz von 49 Prozent seien lediglich ein taktisches Manöver. Kommentar Seite 12

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