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Kontrapunkt zum dominanten Umweltdiskurs

In einer kritischen Bilanz sieht Jörg Bergstedt bei den Bündnisgrünen und der Umweltbewegung Anpassung und Schmusekurs gegenüber Staatsmacht und Industrie. Allerdings droht der Autor in linke Sterotype und Verschwörungstheorien zu verfallen  ■ Von Peter Nowak

Die Verhandlungen für ein rot- grünes Regierungsprogramm laufen auf Hochtouren. Doch eine originär grüne Thematik, die Ökologie, könnte dabei unter die Räder kommen. Schon im Wahlkampf haben die Bündnisgrünen den umweltpolitischen Aspekt nicht mehr besonders herausgestellt, nachdem ihnen der politischen Gegner nach dem Magedeburger Parteitag im Frühjahr das Fürchten lehrte. Dort hatten sie sich taktisch ungeschickt, aber der Substanz nach richtigerweise für kräftige Benzinpreiserhöhungen ausgesprochen und sahen sich durch die anschließende Kampagne von CDU/CSU und Autolobby schon unter die Fünfprozentgrenze gedrückt.

Eine Neuauflage der Kampagne droht jederzeit. Schon wenige Tage nach der Wahl gab das deutsche Atomforum einen Vorgeschmack, als es mit hohen Schadenersatzforderungen für den Fall drohte, daß auch nur ein AKW vorzeitig stillgelegt wird. So schnell sind die Anti-Atom-Initiativen nicht. Sie wollen sich erst Mitte Oktober auf einen bundesweiten Treffen in Berlin mit der neuen Situation nach dem Regierungswechsel befassen.

Vielleicht könnte den AktivistInnen Jörg Bergstedts radikalökologische Kritik an rot-grüner Umweltpolitik nützlich sein. Illusionslos stellt er fest: Die großen Umweltverbände haben sich seit Jahren überwiegend auf Schmusekurs mit Politik und Wirtschaft begeben. Begriffe wie Zukunftsfähiges Deutschland, Nachhaltigkeit, Agenda 21 und der Dialog mit Wirtschaft und Politik haben einen großen Teil der Umweltbewegung so handzahm gemacht, daß selbst Umweltskandale großen Kalibers kaum noch Widerstand auf der Straße produzieren. Das ist das Fazit eines Buches, in das Bergstedt sein aus jahrelangen ehrenamtlichen Umweltaktivitäten gesammeltes Faktenwissen, aber auch den dabei angesammelten Frust eingearbeitet hat. Bergstedt interessiert sich in erster Linie für die Etablierungsprozeße in der Umweltbewegung und nicht für deren rechten Rand, den AutorInnen wie Oliver Geden und Jutta Ditfurth in den letzten Jahren ausgiebig beleuchtet haben. Der erste Teil ist ein „Who 's who“ der Umweltbewegung. Von den autonomen Anti-AKW-Initiativen über Robin Wood, Grüne Liga bis zum Worldwide Fund of Nature (WWF) und Naturschutzbund Deutschland (NABU) reicht die Palette der vorgestellten Organisationen und Verbände. Eigene Abschnitte widmet Bergstedt den Landkommunen, Projekt- und Ökowerkstätten und ganz zum Schluß den Parteien. Bergstedts Befund ist ernüchternd, Etablierung und Anpassung aller Orten.

Die hat Bergstedt besonders in der Jugendumweltbewegung ausgemacht, die Anfang der 90er Jahre unter dem Label „praxisorientiert, pragmatisch, ideologiefrei“ frischen Wind in die Ökoszene bringen wollte. Gerade sie haben auf der Jagd nach Dialogrunden und Industriesponsoring ein solches Tempo an den Tag gelegt, daß dies sogar altgediente Umweltfunktionäre aus dem Bund Umwelt- und Naturschutz (BUND) wie den jeder Radikalität unverdächtigen Vorsitzenden Hubert Weinzierl erschreckte. Dem Kapitel merkt man das persönliche Engagement des Autor in der Jugendumweltbewegung an. Hier frönt er besonders seiner Vorliebe für detailreiche, manchmal episodenhafte Schilderungen. Da wird uns mitgeteilt, daß dieser unbekannte Jugendumweltfunktionär kritische Plakate persönlich entfernt und jene ebenso unbekannte Linksökologin andere Linke von einem Ökotreffen ausschließen wollte. Sogar der Ausschlußantrag, den ein Funktionär der Naturschutzjugend (DBV) 1990 gegen den Autor gestellt hat, wird auszugsweise dokumentiert. „Die wichtigsten Gründe für von mir beantragten Ausschluß sind: 1. Jörg Bergstedt bewegt sich mit seinen Ansichten nicht mehr auf den Boden der demokratischen Grundordnung, zu der sich der DBV bekennt...“

Zwei Umweltevents im Jahr 1992 markieren für Bergstedt den Anpassungstrend. Der Deutsche Umwelttag in Frankfurt/Main und der UNO-Umweltgipfel von Rio de Janeiro. Agenda 21, ökologische Steuerreform, Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit hießen seitdem die heiligen Kühe der Umweltbewegung, die Bergstedt im folgenden Kapitel schlachtet. „Die Umweltverbände sind durch die Agenda nun in scheinbar wichtigen Zirkeln dabei und feiern es als Erfolg.“ Dabei scheinen sie der Inhalt des Agendatextes nicht zu stören. „Eine klare Befürwortung der Gentechnologie und eine positive Haltung zur Atomkraft. Selbst das Versenken des Atommülls im Meer wird in der Agenda als noch zu klärende Frage offengelassen.“

Anders als viele Umweltverbände sieht auch Bergstedt auch nach einem Wechsel zu Rot-Grün für die Umwelt schwarz. Denn eine „rot-grüne Nachhaltigkeits-Seilschaft“ stehe schon auf dem Sprung, die Themen Agenda und Nachhaltigkeit dann endgültig zum Regierungsprogramm zu machen. Als Köpfe dieser Seilschaft hat Bergstedt neben dem Leiter des Wuppertaler Instituts Ernst Ullrich von Weizsäcker (SPD), Reinhard Loske (Bündnisgrüne) und den umweltpolitischen Sprecher der SPD, Michael Müller, ausgemacht. Die Seilschaftsmethapher hat einen verschwörungstheoretischen Anklang und weist auf Bergstedts problematischen Staatsbegriff hin, der auch durch weitere Stellen belegbar ist. Es sind im wesentlichen Umweltfunktionäre, die durch Sponsoring, der Verleihung von Umweltpreisen oder einfach der schnöden Verlockung, mit dem Mächtigen zu talken, die Bewegung ins staatstreue Fahrwasser steuern. Mit dem Theorem von der eigentlich rebellischen Basis, die von den korrupten FunktionärInnen ruhiggestellt wird, haben Linke jahrzehntelang das reale Verhalten vieler ArbeiterInnen zu erklären versucht. Die Übertragung auf die Umweltbewegung und implizit auch auf Frauen- und Eine-Welt-Bewegungen macht diese Theorie nicht überzeugender. Bergstedt müßte selbst auffallen, daß der von ihm konstatierte Drang der Jugendgruppen zu pragmatischen Lösungen damit nicht erklärbar ist.

Die letzten beiden Seiten des Buches „Die Basis der Verbände: Kritiklos und lokal verfilzt“ müßten eigentlich Bergstedts These aufsprengen. Doch auch hier werden die Gründe in Abhängigkeiten und Filz gesucht. Die Frage, ob vielleicht das apokalyptische Bild, das in den Hochzeiten der Umweltbewegung gepflegt wurde, nur die Kehrseite des realpolitischen Umschlags sein könnte, stellt sich Bergstedt nicht. Vor diesem Hintergrund darf man auf Perspektiven im zweiten Band gespannt sein. Diese Kritik sollte niemand von der Lektüre des Buches abhalten, schon weil er im Umweltdiskurs einen notwendigen Kontrapunkt jenseits von rot-grüner Euphorie und konservativen Benzinkosten-Angstkampagnen setzt.

Jörg Bergstedt: „Agenda, Expo, Sponsoring. Recherchen im Naturschutzfilz. Bd.1.: Daten, Fakten, historische und aktuelle Hintergründe“. IKO-Verlag, Frankfurt 1998, 400 Seiten, 39,80DM

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