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Prozeßbeginn gegen mutmaßliche Kopfgeldjäger

■ Eine türkische Bande soll einen Bauunternehmer entführt und um 650.000 Mark erpreßt haben. Einigen der Angeklagten werden Verbindungen zu den „Grauen Wölfen“ nachgesagt

Unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen hat gestern im Kriminalgericht Moabit ein Prozeß gegen zehn mutmaßliche Mitglieder der sogenannten türkischen „Kopfgeldjägerbande“ begonnen. Der Prozeß ist der fünfte in einer Reihe von Verfahren gegen Bandenmitglieder, von denen einige Anhänger der rechtsextremen türkischen Organisation „Graue Wölfe“ seien sollen.

Bei dem jetzigen Prozeß geht es um die Entführung und Erpressung eines Berliner Bauunternehmers. Laut Anklage wurde Rainer S., der sein Büro am Kurfürstendamm mittlerweile aufgegeben hat, um insgesamt 650.000 Mark gebracht. Im Sommer 1996 hatte der 44jährige die beiden Hauptangeklagten, die damals Inhaber einer Baufirma waren, mit der Fertigstellung eines Bauvorhabens beauftragt. Als Sicherheit für einen Materialkostenvorschuß ließ er sich einen Wechsel von 50.000 Mark ausstellen. Wenige Monate später kreuzten die beiden Angeklagten laut Staatsanwaltschaft bewaffnet im Büro des Bauunternehmers auf und forderten den Wechsel zurück. Im Juni 1997, so die Anklage weiter, sei Rainer S. unter einem Vorwand in die Weddinger Geschäftsräume der türkischen Baufirma gelockt worden. Dort sei er unter Schlägen unter Druck gesetzt worden und sollte verraten, wo er sein Vermögen aufbewahre. Noch in der selben Nacht sei er auf einen Bauernhof bei Oranienburg entführt worden. Auf dem Gehöft sei er sieben Tage lang festgehalten und so lange „gefoltert“ worden, bis er sich den Bedingungen der Täter gebeugt habe. Unter anderem sei er mit gefesselten Händen in den Wald geführt worden, wo eine Scheinhinrichtung mit einer Pistole inszeniert worden sei. Ein anderes Mal sei er mit einer Plastiktüte über dem Kopf bis zur Bewußtlosigkeit gewürgt worden.

Der Bauunternehmer wurde laut Staatsanwaltschaft freigelassen, als er sich zur Zahlung von 650.000 Mark bereit erklärt und seine Firma zu einem symbolischen Kaufpreis von einer Mark zu 90 Prozent auf einen der Hauptangeklagten überschrieben hatte. Danach hätten sich die Angeklagten weiter regelmäßig in der Firma aufgehalten. Nach Angaben des Nebenklagevertreters hatte sich der Bauunternehmer aus Angst nicht der Polizei anvertraut.

Die Bandenmitglieder selbst sorgten dafür, daß ihnen die Polizei auf die Spur kam. Beim Teilen der Beute zerstritten sich die beiden Köpfe der Bande so, daß sie gegeneinander Mordkomplotte schmiedeten. Im August 1997 wurde dabei die deutsche Begleiterin eines der beiden Chefs getötet. Bei einem Gegenschlag wurde eine unbeteiligte Frau am Bein verletzt. Im Laufe der Ermittlungen wurden 24 mutmaßliche Bandenmitglieder verhaftet. Einige von ihnen hatten bereits länger wegen Drogenhandels, Beihilfe zum Totschlag und Raubes im Knast gesessen. Der jetzige Prozeß ist bis April nächsten Jahres terminiert. Am Freitag kommender Woche wird das Verfahren fortgesetzt.

Gestern wurde nur die Anklageschrift verlesen. Ein Teil der kräftig gebauten Angeklagten, die aus Sicherheitsgründen hinter Panzerglas saßen, will sich zu den Vorwürfen äußern. Die einzige Frau unter ihnen wird vermutlich eine zentrale Rolle spielen. Die 25jährige Türkin war bereits Kronzeugin in einem anderen Prozeß gegen ihre früheren Komplizen. In dem Verfahren, das zeitgleich vor einer anderen Kammer des Landgerichtes stattfindet, geht es um einen geplanten Sprengstoffanschlag auf ein kurdisches Café in Neukölln im März dieses Jahres. Tatmotiv sollen Auseinandersetzungen zwischen den „Grauen Wölfen“ und der PKK gewesen sein. Die Kronzeugin war damals Serviererin in dem Café und sollte den Sprengstoff deponieren. Vor Gericht hatte sie ausgesagt, daß zwei weitere Anschläge auf kurdische Einrichtungen geplant gewesen seien. Sie selbst sei vom Chef dazu bestimmt worden, bei den „Grauen Wölfen“ in der Türkei eine Ausbildung zur Terroristin zu absolvieren. Die Zerschlagung der Bande verhinderte dies. Plutonia Plarre

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